- Im letzten Kampf ihrer Karriere hat Ringerin Aline Rotter-Focken Gold bei Olympia geholt.
- Im Gespräch mit unserer Redaktion schildert sie, wie es ihr seither ergangen ist.
- Ihr Karriereende bereut sie überhaupt nicht.
Frau Rotter-Focken, seit dem Gewinn der Goldmedaille ist jetzt einige Zeit vergangen - haben Sie schon begreifen können, was Sie da geschafft haben?
Aline Rotter-Focken: Das wurde ich bislang jeden Tag gefragt und habe es bisher immer mit Nein beantwortet. So langsam kommt es ein bisschen, aber bis es komplett durchgesickert ist, wird es schon noch ein bisschen dauern. Aber je mehr ich darüber spreche und je mehr ich danach gefragt werde, desto mehr kommt es in den Kopf hinein.
Es ist also eher ein langwieriger Prozess, bis ein Olympiasieg voll ins Bewusstsein durchdringt?
Auf jeden Fall. Wahrscheinlich merke ich es erst dann bei den nächsten Olympischen Spielen. (lacht) Das war aber auch schon bei vorherigen Erfolgen so, dass ich diese erst Jahre später wirklich begreifen konnte.
Was ging Ihnen unmittelbar nach dem Sieg im Finale durch den Kopf?
Ich kann mich daran gar nicht genau erinnern. Bei solchen Kämpfen ist es oft der Fall, dass man danach gar nicht mehr nachvollziehen kann, was dort passiert ist. Im Kampf selbst hatte ich irgendwann das Gefühl, dass ich es schaffen kann. Als es dann aber so weit war, war ich einfach nur sehr überfordert und wusste nicht, welchen Gedanken ich fassen sollte. Ich habe mich einfach gefreut, aber in meinem Kopf war vermutlich einfach nur ganz viel Leere.
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Wie hat Ihre Familie reagiert?
Wenn wir beieinandersitzen, schauen wir uns an und können es alle zusammen kaum glauben. Sie waren in der Heimat und konnten sich, vermutlich, auch ein bisschen mehr freuen als ich, die emotional überfordert war. Aber auch für sie ist es noch wie ein Film.
Was hat sich seither alles verändert?
Die mediale Aufmerksamkeit ist extrem. Gerade als Ringerin ist man so etwas nicht gewohnt. Ich bin im Moment von Termin zu Termin unterwegs, das möchte ich aber auch nutzen, um meine Sportart noch ein Stück weit zu präsentieren. Außerdem gibt es wildfremde Menschen, die mich umarmen und dabei Tränen in den Augen haben. Die sind emotional überfordert und ich denke mir, dass ich doch immer noch die Gleiche wie vorher bin. Bis auf meine beiden kleinen Neffen denken die Menschen, dass ich jetzt jemand anderes bin. Dabei ist das nicht so.
Was denken Sie, woran liegt das?
Es ist zum einen historisch, da es die erste Ringergoldmedaille durch eine Frau ist. Und es war mein letzter Kampf.
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Warum hören Sie auf und haben Sie Ihre Entscheidung schon bereut?
Ich habe immer genau davon geträumt, dass ich so aufhören kann. Ich wusste, dass ich auf gar keinen Fall noch einen Olympia-Zyklus mitmachen werde, weil Ringen einfach körperlich sehr hart ist und das nicht ein Leben lang betrieben werden kann. Ich habe immer aus Spaß gesagt, dass ich das Drehbuch für meinen Film des Lebens selbst schreibe, sodass der Höhepunkt am Ende ist. Dass alles so gekommen ist, war unglaublich. Für mich war dann erst recht klar, dass ich aufhöre. Wenn ich so etwas erreiche, bestreite ich danach kein Turnier mehr, weil ich will nicht mehr verlieren. Einfacher als jetzt kann es gar nicht sein, aufzuhören. Natürlich werden mir das Ringen und die Menschen dort fehlen.
Wie schwierig war die Verschiebung der Olympischen Spiele für Sie?
Natürlich war es auf eine gewisse Weise hart und man war geschockt, aber man arbeitet nicht nur vier Jahre auf Olympia hin, sondern ein ganzes Leben. Es war klar, dass ich das mitmache und im Endeffekt konnte ich das zusätzliche Jahr gut nutzen. Ich habe hart trainiert und bin besser geworden.
Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus?
Zunächst einmal versuche ich das Ringen und insbesondere das Frauenringen noch ein Stück besser zu präsentieren. Anfang nächsten Jahres werde ich auch beim Deutschen Ringer-Bund einsteigen und dort meine Expertise weitergeben. Außerdem bin ich angestellt als Gesundheitsmanagerin in einem Industriebetrieb, dort steige ich bald wieder ein. Es wird sich weiterhin viel um den Sport drehen, aber ich will nicht mehr ganz so viel an und auf der Matte sein. Ich werde eher als Co-Trainerin anfangen und meinen ehemaligen Teamkolleginnen helfen. Im Verband werde ich zunächst administrative Aufgaben übernehmen.
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