Rassistische Vorfälle sind seit Jahrzehnten ein steter Begleiter des Fußballs. Auch in der noch jungen Saison gab es bereits mehrere Vorkommnisse hierzulande, die für Aufsehen gesorgt haben. Ein Ende ist nicht in Sicht, auch wenn die Opfer mittlerweile mehr Unterstützung erfahren als früher.
In den Achtziger- und Neunzigerjahren war Rassismus in Fußballstadien zu einer Art Massenphänomen geworden. "Dann ist es in den späten Neunzigern gelungen, das in den Griff zu bekommen, dass eben nicht mehr ganze Fankurven rassistische Affenlaute gemacht haben", sagt Jonas Gabler. "Dennoch, wenn man in die jüngere Geschichte schaut und eine Presseanalyse macht, würde man immer wieder Vorfälle finden."
Gabler ist ein bekannter Publizist und forscht seit mehr als einem Jahrzehnt zu Fankultur und den Ultraszenen. Aus seiner Sicht hat sich vor allem die Sicht- und Hörbarkeit von rassistischen Ausschreitungen im Spitzenfußball verändert. "Auch in den letzten Jahren gab es immer wieder Vorfälle, und natürlich sind mittlerweile mehr Mikrofone drumherum. Es existiert auch eine andere Sensibilisierung", sagt Gabler. In der jüngeren Vergangenheit beteiligten sich eben nicht ganze Teile eines Stadions, sondern in der Regel nur einzelne Personen oder eine Gruppe von Personen.
Ein Spiegelbild des lokalen Sozialraums
Darüber hinaus gibt es regionale oder vereinsspezifische Unterschiede. Beim FC St. Pauli oder Eintracht Frankfurt haben sich Fanszenen gebildet, die rassistische Auswüchse womöglich schneller unterbinden als andernorts. Borussia Dortmund zum Beispiel hatte einige Zeit mit eben solchen Auswüchsen zu kämpfen. "In Dortmund hat sich der Verein sehr stark dagegen engagiert. Aber es gibt regionale Spezifika. Es spiegelt sich auch immer der lokale Sozialraum wider. In Gegenden, wo man eine starke extreme Rechte hat, spiegelt sich das, was als Abwertung legitim ist und was nicht, auch in den Normen innerhalb der Fankurve wider", erklärt Gabler.
Besonders in manchen ostdeutschen Städten und Regionen ist dies zuweilen sichtbar, weil entweder die Entrüstung über rassistische Vorfälle kleiner ist oder aber die extreme Rechte grundsätzlich mehr Anerkennung erfährt. Dass jedoch Spieler und Vereine nun beispielsweise in den Sozialen Medien Stellung beziehen, war in Deutschland generell nicht immer gang und gäbe. Gerald Asamoah und andere haben in der Vergangenheit darüber berichtet, wie ihnen nahegelegt wurde, doch über derartige Vorkommnisse hinwegzusehen.
Boatengs Protest hatte Signalwirkung
Besonders der Protest von Kevin Prince Boateng, der 2013 während eines Testspiels mit dem AC Milan gegen Aurora Pro Patria den Ball nach hörbaren rassistischen Entgleisungen und einer ausbleibenden Reaktion des Schiedsrichters auf die Tribüne kickte und zusammen mit dem restlichen Team das Spielfeld verließ, hatte eine deutliche Wirkung in der breiten Öffentlichkeit und wurde von vielen, inklusive Italiens Nationaltrainer Cesare Prandelli, gelobt. Solche Reaktionen hätten sich dann wiederholt, "und daraus ist Stück für Stück so eine Bereitschaft entstanden, auch ganz andere Maßnahmen zu ergreifen. Wohingegen vor 15, 20 Jahren das Argument kam, wenn man das Spiel abbricht, dann gibt man denen erst recht die Bühne und die Macht", sagt Gabler.
Generell wehren sich die Opfer mehr als je zuvor, nutzen ihre Reichweite auf Instagram und anderen Plattformen und lassen sich nicht mehr so leicht einschüchtern. Trotzdem müssen gerade schwarze Fußballerinnen und Fußballer zuweilen viel ertragen und sehen sich – wie jüngst im Fall von Vinicius Jr. von Real Madrid – mit dem Vorwurf konfrontiert, sie würden die Beleidigungen mit ihrer Spielweise provozieren. Es findet de facto eine Schuldumkehr statt. Das mussten zuvor schon Spieler wie Mario Balotelli in Italien erleben. "Es gab in Italien aber auch Spieler wie Antonio Cassano, die einen streitbaren Charakter hatten. Wenn es ein weißer Spieler war, dann war das halt ein Charaktertyp und er war extrovertiert. Das wurde gerne als Qualität interpretiert", meint Gabler.
Generell ist es momentan utopisch zu glauben, Rassismus würde aus den Fußballstadien verschwinden. Dazu sind die Spielstätten des Volksports Nummer eins zu sehr ein Abbild gesellschaftlicher Tendenzen. Was sich jedoch im Fußball verändert hat, ist der Widerstand der Opfer wie auch die Solidarisierung von Mitspielern, Fangruppen und Funktionären, damit Rassismus in welcher Form auch immer nicht salonfähig wird.
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