Der steile Aufstieg eines Unbequemen: Sandro Wagners Karriere-Achterbahn

Sandro Wagner kommt als Siebenjähriger vom FC Hertha München in die Jugend des FC Bayern und durchläuft dort alle Mannschaften. 2006 rückt der lange Mittelstürmer in die zweite Mannschaft des deutschen Rekordmeisters auf und schafft 2007 den erhofften Sprung zu den Bundesligaprofis.

Dort, umgeben von Vize-Weltmeister Franck Ribéry und Weltmeister Luca Toni, kommt Frischling Wagner mit der Empfehlung eines Tors und einer Torvorlage beim 2:0 im Ligapokal beim VfB Stuttgart anschließend an den ersten vier Spieltagen 2007/08 zu seinen ersten vier Bundesligaeinsätzen. Noch aber bleibt er ohne Bundesligatreffer.

Da die Konkurrenz im eigenen Haus aber zu übermächtig und das Vertrauen in den erst 20-jährigen Wagner zu gering ist, beginnt der Stürmer, sich seine Meriten als Profi anderswo zu verdienen. Seine abwechslungsreiche Reise durch die Republik beginnt beim MSV Duisburg. Dort läuft es mit sieben Toren und acht Torvolagen schon in der Saison 2008/09 gut, und noch besser wird es für Wagner zu Saisonbeginn 2009/10 mit fünf Toren und einem Assist an den ersten vier Spieltagen.

Beflügelt hat Sandro Wagner der Gewinn der EM mit der U21 im Sommer 2009. Im Endspiel gegen England steuert der Torjäger zum 4:0 zwei Treffer bei. Er glänzt damals neben den späteren Weltmeistern Manuel Neuer, Jerôme Boateng, Mats Hummels, Mesut Özil und Sami Khedira.

Weil aber nach sechs Spieltagen der Saison 2009/10 Wagners Kreuzband im Knie reißt, verkauft ihn der MSV Duisburg zu Jahresbeginn an Werder Bremen, was kurioserweise Wagners Rückkehr in die Bundesliga bedeutet. In der kommt er - nach ein paar Drittligaspielen für Werder - 2010/11 zu seinem Comeback und sogar in der Champions League zum Einsatz.

Nach 30 Bundesligeinsätzen für Werder verleihen die Bremer Wagner zu Jahresbeginn 2012 für ein halbes Jahr nach Kaiserslautern. In elf Spielen bleibt er ohne Tor, die Roten Teufel müssen zurück in die 2. Bundesliga. Zurück in Bremen, hat er auch dort keine Zukunft. Die nächste Station, diesmal verkauft, heißt ab Sommer 2012 Hertha BSC.

Für die Alte Dame absolviert Wagner (M.) insgesamt 75 Pflichtspiele und trifft dabei achtmal. 2012 geht es aus der 2. Bundesliga mit dem Hauptstadtklub zurück ins Oberhaus.

Nach drei Jahren bei der Hertha schließt sich Wagner Bundesliga-Rückkehrer Darmstadt 98 an - und endlich wird er in der Bundesliga wahrgenommen, avanciert bei den Hessen zum Führungsspieler und Publikumsliebling. Wagner, inzwischen 26 Jahre alt, erzielt 14 Tore in 32 Bundesligaspielen und polarisiert immer wieder mit seinen selbstbewussten Aussagen. Darmstadt hält auch wegen Wagner überraschend die Klasse.

Darmstadt hält die Klasse, aber nicht Wagner: Der verbessert sich sportlich und finanziell zur Saison 2016/17 zur TSG 1899 Hoffenheim. Sein Lauf geht weiter: zwölf Tore in 33 Bundesligaspielen erzielt der selbst ernannte "beste deutsche Stürmer" in dieser Spielzeit. Unter Trainer Julian Nagelsmann erreicht Hoffenheim die Champions-League-Qualifikation. Und Wagner wartet auf seine Einladung zur Nationalmannschaft.

Tatsächlich: Am 6. Juni 2017 steht Wagner in Kopenhagen gegen Dänemark in der deutschen Startelf, debütiert im Alter von 29 Jahren in der A-Mannschaft, die 1:1 spielt. Keinen Monat später darf sich Wagner Confed-Cup-Sieger nennen, obwohl er nur zu Beginn des Turniers 23 Minuten mitgewirkt hat. Trotzdem macht sich der selbstbewusste Angreifer große Hoffnungen auf eine WM-Teilnahme 2018 in Russland.

Wagner stellt sich für den Traum von der WM-Teilnahme bei seinem Jugendklub ins Schaufenster, spielt ab Jahresbeginn 2018 wieder für den FC Bayern München und überzeugt dort als jederzeit treffsicherer Stellvertreter des etatmäßigen Mittelstürmers Robert Lewandowski. Für neun Pflichtspieltore und zwei Torvorlagen benötigt Wagner nur 18 Einsätze, wovon nur vier über die volle Distanz gehen.

Doch Joachim Löw (l.) schlägt Wagner, der als Grund dahinter seine - vermeintlich - zu offene und ehrliche Art vermutet, die Tür zur WM in Russland vor der Nase zu. Daraufhin tritt der brüskierte Stürmer mit sofortiger Wirkung aus der Nationalmannschaft zurück. Was bleibt sind acht Einsätze mit immerhin fünf Toren. Für die U21 sind Wagner zuvor vier Tore in acht Partien gelungen.

Zwischen Januar 2019 und August 2020 lässt sich Wagner dann auf das Abenteuer China an. Dort, bei Tianjin Teda, kickt der nunmehrige Ex-Nationalspieler unter einem der Europameister von 1980, Uli Stielike. Mit zwölf Toren und zwei Torvorlagen in 26 Ligaspielen erreicht Wagner auch in China eine respektable Ausbeute.

Apropos Respekt: Sandro Wagner erwirbt ihn sich nach seinem Karriereende - dank seiner offenen und erfrischenden Rhetorik und seines Sachverstands - auch seitens der Zuseher des Streamingsdiensts DAZN und des ZDF. Als Experten gelingt es Wagner, die seitens der Sender in seine Analyse gesteckten Hoffnungen zu erfüllen.

Wagner aber beweist als Trainer, dass er nicht nur theoretisch etwas vom Fußball versteht. Nach einer kurzen Station beim DFB als Coach der Jugend-Auswahlstürmertrainer, von Oktober 2020 bis März 2021, beginnt der 1,94-Meter-Mann 2021 seine erste Aufgabe als Cheftrainer bei der SpVgg Unterhaching. In seiner zweiten Saison bereits gewinnen die Hachinger die Regionalliga Bayern.

In zwei Relegationsspielen um den letzten zu vergebenden Platz in der 3. Liga in der Saison 2023/24 setzen sich Wagners Jungs am 7. und 11. Juni 2023 gegen Nordost-Meister Energie Cottbus durch, wie Haching einst ein gallisches Dorf in der Bundesliga. Wagner geht, als es am schönsten ist. Doch sein Vertrag beim ZDF bleibt nicht sein einziger.

Wagner kommt ein zweites Mal beim DFB unter. Als Co-Trainer von Hannes Wolf soll er der U20 Beine machen. Plötzlich aber überschlagen sich die Ereignisse beim Aushängeschild des Verbands.

Die plötzliche Entlassung von Bundestrainer Hansi Flick nach dem 1:4 gegen Japan am 9. September sorgt für eine Vakanz. In die Bresche springt DFB-Sportdirektor Rudi Völler, wie schon zwischen 2000 und 2004. Als Trainer rücken Völler Wolf und Wagner (l.) zur Seite. Über Nacht sitzt Wagner, der 2018 im Groll als Nationalspieler schied, auf der Bank der DFB-Auswahl und verteilt Tipps.

Wagner (l.) darf als eines der Sprachrohre Völlers (r.) unter anderem auch seinem früheren Bayern-Kollegen Thomas Müller für wenigstens einen Abend sagen, wo es langgeht.

"Hauptberuflich" darf Wagner jetzt länger bleiben: Gemeinsam mit Benjamin Glück nimmt der neue Bundestrainer Julian Nagelsmann Wagner in seinen Assistenten-Stab auf. Fest steht, dass der DFB auf Wagners Expertise mehr Wert zu legen scheint als einst auf dessen Torriecher. Wagner quittiert deshalb sogar seine Anstellung als TV-Experte beim ZDF.