Alexander Zverev hat wirklich alles versucht, hat gekämpft, geflucht, gezaubert und manchmal auch gezaudert. Der andere wusste darauf aber immer eine Antwort und war am Ende einfach physisch wie mental besser.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Stefan Rommel sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Alexander Zverev hat auch das zweite Grand-Slam-Finale seiner Karriere verloren, nach über vier Stunden und fünf hochemotionalen Sätzen war Carlos Alcaraz eine Kleinigkeit frischer und konzentrierter und darf sich nun mit 21 Jahren und 35 Tagen jüngster Grand-Slam-Sieger nennen, der auf allen drei Belägen - Sand, Gras und Hartcourt - triumphiert hat.

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Alcaraz findet die besseren Kniffe

Vier Stunden und 19 Minuten lieferten sich der Spanier und Zverev ein Match mit etlichen Höhen und Tiefen auf beiden Seiten. Beiden war die Nervosität deutlich anzumerken: Alcaraz unterliefen erstaunlich viele unerzwungene Fehler, Zverev haderte im ersten Durchgang mit seinem Aufschlag.

Als die Partie dann im zweiten Durchgang drehte und Zverev nicht nur sein Service wiederfand, sondern auch flüssiges und befreites Tennis bot und dann im dritten Satz nach einem 2:5-Rückstand fünf Spiele in Folge gewann und damit auch den Satz, zeichnete sich der erste Grand-Slam-Titel für den 27-Jährigen vermeintlich ab.

Allerdings zermürbte Alcaraz den Deutschen in der Folge mit zwei taktischen Kniffen: Immer wieder streute der Spanier Stopp-Bälle ein, versuchte lange Rallies zu vermeiden und stattdessen schnell und riskant auf den Punktgewinn zu gehen. Was oft genug auch gelang.

Alcaraz ließ sich Mitte des dritten Satzes einen Salzstreuer reichen, früher ein probates Mittel gegen Muskelkrämpfe. Von Müdigkeit oder Substanzverlust war dann im vierten und fünften Satz aber keine Spur mehr. Alcaraz ließ Zverevs Waffen nur noch sporadisch zum Einsatz kommen.

Mit vielen Schüssen auf die schwächere Vorhandseite des Deutschen und der Idee, sich bei Zverevs Aufschlag fast sechs Meter und damit beinahe auf die Füße des Linienrichters aufzustellen, raubte er seinem Widersacher die entscheidenden Stärken.

Zverev zeigt sich als guter Verlierer

Alcaraz‘ Strategiewechsel und seine körperliche Frische entschieden letztlich das Match, durch die letzten beiden Sätze rauschte Alcaraz förmlich und ließ Zverev lediglich noch drei Spiele gewinnen.

"Du hast jetzt schon eine herausragende Karriere hingelegt und bist jetzt schon eine Hall of Famer", sagte Zverev beim Interview noch auf dem Court Philippe Chatrier und zeigte sich als sehr aufgeräumter und fairer Verlierer. "Du hast jetzt schon so viel erreicht und bist doch immer noch erst 21 Jahre jung. Du bist einfach ein unglaublicher Spieler!"

Tatsächlich macht sich das spanische Wunderkind weiter daran, den Staffelstab von Rafael Nadal und Novak Djokovic zu übernehmen, deren Karrieren so langsam austrudeln.

Schwindende Kräfte und ein bisschen Pech

Alexander Zverev musste am Ende dann vielleicht doch den deutlich größeren Kraftanstrengungen auf dem Weg in dieses Finale Tribut zollen. Rund drei Stunden stand Zverev in den Runden davor länger auf dem Platz als sein Gegner. In den entscheidenden Momenten jedenfalls fehlte Zverev der nötige Punch, Chancen auf Breaks im vierten und fünften Satz waren zumindest da.

Und wurde er dann mal von Alcaraz mit einem vermeintlichen Doppelfehler eingeladen, hatte Zverev dann auch noch Pech: Hauptschiedsrichter Renaud Lichtenstein gab den zweiten Aufschlag des Spaniers noch gut, obwohl das Hawk Eye den Ball recht eindeutig im Aus darstellte.

Weil das technische Hilfsmittel bei den French Open aber nicht zugelassen ist und stattdessen der Schiedsrichter die finale Entscheidung trifft, gab es statt Break für Zverev einen neuen Aufschlag für Alcaraz - und am Ende den Punkt- und dann den Spielgewinn.

Zverev fehlen ein paar Kleinigkeiten

Wie schon bei seinem ersten Grand-Slam-Finale vor knapp vier Jahren in New York war Zverev wieder ganz nah dran an seinem großen Ziel. Damals verspielte er eine 2:0-Satzführung noch gegen Dominic Thiem noch. Nun war ebenfalls nach einem Fünf-Satz-Krimi Alcaraz die Endstation.

"Wenn nicht jetzt, wann dann?", hatte Zverev vor dem Finale noch gefragt. Der Hamburger ist seit Wochen in bestechender Form, gewann vor zwei Wochen die Generalprobe auf Sand in Rom. Und trotzdem reicht es schon wieder nicht für den ersten Triumph bei einem der vier wichtigsten Turniere der Welt.

"La victoire appartient au plus opiniatre", ist auf der Balustrade im Philipp-Chatrier in großen Buchstaben zu lesen, "der Sieg gehört dem Hartnäckigsten". Roland Garros wird das Zitat zugeschrieben, ein Luftfahrtpionier, der als Erster das Mittelmeer überflog und zahlreiche Wettbewerbe der noch jungen Luftfahrt gewann. Ein Draufgänger, der allen Widerständen trotzte.

Alexander Zverev hat am Sonntagnachmittag so viel Widerstand geleistet wie möglich, aber eben nicht immer auch sein bestes Tennis gezeigt. Nur damit kann der Traum vom ersten Grand-Slam-Titel aber doch noch wahr werden.

Immerhin eine gute Nachricht gibt es aber für den Deutschen: Die nächste Gelegenheit dazu bietet sich schon in drei Wochen. Dann starten die Lawn Tennis Championships in Wimbledon.

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