Mit "Im Westen nichts Neues" gelang dem in Wolfsburg geborenen Regisseur Edward Berger der große Oscar-Clou. Ganze vier der wichtigsten Awards der Filmbranche erhielt das Kriegsdrama nach dem Roman von Erich Maria Remarque bei der Verleihung im Jahr 2023. Mit "Konklave" von Robert Harris hat sich der Regisseur nun einen weiteren Bestseller vorgenommen.

Ein Interview

Darüber, wie hoch nun die Erwartungshaltung nach dem riesigen Erfolg des Vorgängerfilms ist, wie man Details über die wohl geheimste Versammlung der Welt herausfindet und ob er nicht doch vielleicht eventuell möglicherweise dem bekanntesten Geheimagenten der Welt zu neuen Ruhm verhelfen wird, hat er mit uns im Interview gesprochen.

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Herr Berger, Ihrem aktuellen Kinofilm "Konklave" wünsche ich natürlich viel Erfolg – aber was bedeutet das für Sie nach dem vierfachen Oscar-Gewinn von "Im Westen nichts Neues" eigentlich? Gibt es da eine neue Fallhöhe, muss es jetzt mindestens ein Oscar sein?

Nein. Ich möchte mit jedem Film neu anfangen und dann schauen, ob er sein Publikum findet, wie er bei ihnen "landet". Es kann durchaus frustrierend sein, wenn man einen Film macht und er wird nicht angenommen. Dazu ist es zu viel Arbeit und es sind es zu viele Menschen involviert, die ihre Zeit und ihr Herz investieren. Wenn dann das Publikum genauso groß ist wie das Team, ist das für mich schwierig. Man übergibt seinen Film auch irgendwann, ab der Premiere gehört er mir nicht mehr, sondern vielmehr unserem Publikum. Wenn da aber niemand ist, dem ich den Film geben kann, dann ist alle Mühe vergebens. Das ist eigentlich der Maßstab von Erfolg: ob ich das Gefühl habe, dass er bei den ZuschauerInnen landet oder nicht. Alles andere ist dann sekundär. Jeder Film ist anders. Auch nicht jeder Film ist ein Oscar-Film. Nicht jeder Film muss einen Oscar bekommen. Wird er auch nicht.

Kardinal Lawrence (Ralph Fiennes) während eines Wahlganges. © Leonine

Edward Berger: "Es ist unsere Version des Vatikans"

Na, schauen wir mal. Wie sind Sie auf das Material gestoßen? Kannten Sie bereits den Roman?

Ich habe einen Anruf von Tessa Ross, der Produzentin, bekommen. Das ist vielleicht sechs Jahre her. Wir wollten schon länger einen Film zusammen machen, bis sie schließlich sagte: 'Ich glaube, ich habe ein Drehbuch für dich, das dich interessieren könnte.' Als ich fragte, wer es geschrieben habe, antwortete sie: Peter Straughan. Ich habe Peter Straughan schon immer geliebt, er ist ein ganz fantastischer Drehbuchautor, also wollte ich es dann unbedingt lesen. Mich hat gefesselt, dass er erstens – und das schafft Peter immer – einen spannenden politischen Thriller in einer Welt geschrieben hat, die ich so noch nicht kenne, in der ich mich auch unsicher fühle. Immer, wenn ich mich auf unsicherem Terrain bewege, dann versuche ich besonders gut zu sein. Genau das war hier der Fall. Und zweitens schreibt Peter immer auch eine tiefere Ebene in den Film. Das war in "Konklave" die Reise des Zweifels von Ralph Fiennes' Figur. Diese Reise hat mich besonders interessiert. Ralph hält im Film eine Rede über die Essenz des Zweifels, über das Fatale übermäßiger Sicherheit. Damit konnte ich mich sehr gut identifizieren. Und gerade über diese innere Reise wollte ich eigentlich einen Film machen. Das ist für mich die Seele unseres Films.

Film ist immer eine erschaffene Realität. Nichts ist wirklich wahr.

Wie verlief denn die weitere Recherche? Das Bild der meisten Menschen ist ja geprägt von Thrillern wie "Da Vinci Code". Haben Sie sich also durch dicke Wälzer in verstaubten Bibliotheken gearbeitet?

Isabella Rossellini verkörpert die eiserne, aber respektvolle Schwester Agnes. © Leonine

Robert Harris ist ein fantastischer Rechercheur. Er hat uns die Materialien zur Verfügung gestellt, die er zu seinem Roman gesammelt hat. Weiterhin haben wir Kardinäle getroffen, die uns großen Einblick geben konnten. Aber was hinter den Türen des Konklaves geschieht, das durfte uns natürlich niemand verraten. Dafür stand mir aber täglich ein religiöser Berater zur Seite, Francesco Bonomo, ein fantastischer Religionslehrer aus Rom. Er kennt sich bestens aus mit allen Vorgängen in der katholischen Kirche, mit Gebeten, den Schwüren, der Versiegelung der päpstlichen Gemächer, das Prozedere der Wahlen und den Urnengängen. Er konnte uns vieles beschreiben. Dadurch hatten wir Pfeiler der Authentizität, die wir für uns nutzen konnten. Aber alles dazwischen? Dafür haben wir uns Freiheiten genommen. Ich habe ihn häufig gefragt, was in der Realität passieren würde. Und er sagte: "I don't know and no one knows." Aber Film ist immer eine erschaffene Realität. Nichts ist wirklich wahr. Ich habe die Lizenz zum Kreieren einer Wahrheit, in die ich die ZuschauerInnen für zwei Stunden entführen darf. Und in diesem Fall ist es unsere Version des Vatikans. Und die ist relativ nah an der Wahrheit, denke ich, aber natürlich mit Sicherheit nicht alles.

Kardinal Bellini (Stanley Tucci) ist einer der aussichtsreichsten Kandidaten für das Amt des Papstes. © Leonine

"Konklave" ist eine große internationale Produktion. Wie ist Ihr Eindruck von der deutschen Filmbranche? Alexandra-Maria Lara hat als Präsidentin der Deutschen Filmakademie zuletzt vom Stillstand gesprochen, von der Lähmung, dass da nichts geht, dass die Aufträge ausbleiben. Ist es so schlimm – oder gibt es auch noch Hoffnung?

Also ich finde, es geht immer um Hoffnung. Wenn wir die Hoffnung aufgeben, dann sind wir wirklich am Ende. Wir müssen die Ärmel hochkrempeln und der Zukunft mit Positivität begegnen. Dennoch, die fehlende Novellierung der Filmförderung ist extrem lähmend für die Branche. Es dauert alles viel zu lange, Filme werden nur mit größter Mühe finanziert. Wir brauchen die Reform so dringend, denn der Stillstand ist schon lange da.

"Ich bin mir sicher, dass Streaming eine Bereicherung für uns alle ist"

Für "Im Westen nichts Neues" hatten Sie die geballte Power auch und gerade finanziell von Netflix hinter sich. Sind die Streaming-Dienste Segen für Filmschaffende oder eher ein Fluch für die Kinobranche?

Ich glaube an den Segen, denn die richtigen Filme werden immer ihren Weg ins Kino finden. Die ZuschauerInnen brauchen Filme, für die sie ins Kino gehen können, wir müssen ihnen nur die richtigen bieten. Film hat etwas mit Theater zu tun – im Englischen spricht man gern von der Theatrical Experience. Der Vorhang geht auf, und dort oben auf der Bühne muss mir etwas geboten werden, was ich nirgendwo anders bekomme. Etwas, was zum kulturellen Zeitgeist gehört. Über das die Menschen abends reden können, über das sie zu ihren Freunden sagen: 'Dieser Film hat mich angefasst, er hat etwas in mir bewegt.' Es muss vielleicht auch nicht jeder Film ins Kino kommen, der eine oder andere wird in Zukunft ins Fernsehen relegiert werden oder in die moderne Version davon, das Streaming. Und ich mache da keinen Unterschied. Es gibt ein Interview mit den Coen-Brüdern, in denen der Journalist ihnen sagt, dass sie keine Fernsehregisseure seien, weil sie nur Kinofilme machen würden. Ihre Antwort lautet: 'Weshalb sind wir keine Fernsehregisseure? Die meisten Zuschauerinnen schauen unsere Filme auf dem iPad.' Das ist nun mal die Realität. Kino ist das erste Fenster, was im Fernsehen fortgesetzt wird. Ich bin mir demnach sicher, dass Streaming eine Bereicherung für uns alle ist. Und für Deutschland zum Beispiel ist es extrem wichtig, dass wir nicht nur auf zwei Sender zurückgreifen können, die unsere Filme machen möchten.

Lange Zeit dachte ich auch, dass Serien das Potenzial haben, Filmen den Rang abzulaufen. Das war aber eher zu Beginn des Booms, als irgendwie alle noch das Gleiche geschaut haben, "Mad Men", "Breaking Bad". Mittlerweile fehlt durch die schiere Masse einfach dieses von Ihnen angesprochene gemeinschaftliche Erlebnis. Ich bin zum Beispiel ein großer Fan von "The Terror" und verzeihen Sie dieses quasi Minuskompliment habe noch niemanden getroffen, der die Serie auch gesehen hat. Es ist unheimlich schwer, trotz oder wegen des riesigen Angebots, das Erlebnis zu teilen.

Aber glücklicherweise konsolidiert sich dieser Boom soeben, weil wir alle festgestellt haben, wie schwer es ist, solche Meilensteine wie "Mad Men", "Six Feet Under" oder "Sopranos" zu produzieren. Die AutorInnen und RegisseurInnen für diese großartigen Serien gibt es nicht an jeder Straßenecke, sie sind absolut einzigartig. Und deshalb bricht jetzt einmal wieder die große Zeit des Films an.

"Amerika ist ein chauvinistisches und rassistisches Land"

Beim Thema einer Wahl schaut man zwangsläufig auf aktuelle Ergebnisse, sprich die US-Wahl. "Konklave" erzählt von einer von Männern geschaffenen Welt, mit der die Männer aber eigentlich ebenso wenig klarkommen wie Frauen. Die US-Wahl wäre eine Chance für einen Systemwechsel gewesen – der war aber nicht gewollt.

Amerika ist ein eigenartiges Land. Diese Wahl hat offenbart, dass es in der Genderentwicklung extrem hinterherhängt, dass es ein chauvinistisches und rassistisches Land ist, wie wir es nicht zu fürchten gewagt haben. Dort schafft man es einfach nicht, eine Frau als Politikerin, als Anführerin zu wählen. Da bin ich sehr enttäuscht worden. Wir müssen das jetzt aber akzeptieren, denn das ist nun mal die Demokratie. Wir können uns nicht auf die Ebene von Trump begeben, wo wir Wahlergebnisse nicht wahrhaben wollen. Die Mehrheit des Landes hat so entschieden. Und es ist unsere Verantwortung, als Filmemacher dieser Welt, daran zu arbeiten, dass die Menschen sich das nächste Mal anders entscheiden, dass die Welt in 20 Jahren anders aussieht.

Vor der Wahl haben sich viele Filmschaffende politisch geäußert, gefühlt mehr als je zuvor. Das kam allerdings auch nicht immer gut an. Sollten Promis überhaupt Stellung beziehen?

Wenn Sie damit den Einfluss Hollywoods auf die Wahl thematisieren, denke ich, dass man da sehr aufpassen muss. Einen Film zu machen, ist immer auch politisch. Und wenn man eine Stimme hat, sollte man diese auch erheben. Aber gerade Kalifornien oder New York sind näher an Europa als am Rest ihres eigenen Landes, politisch und philosophisch betrachtet. Und wenn diese Menschen, die Julia Roberts' dieser Welt, versuchen, den Rest des Landes zu belehren, dann kann das auch das Gegenteil bewirken. Die Menschen fühlen sich bevormundet und sagen: 'Ihr in Hollywood habt keine Ahnung, wie es uns wirklich geht.' Es braucht eher koordinierte Maßnahmen.

Berger als neuer Bond-Regisseur? "Ich dementiere das sehr gerne!"

Auch wenn Sie die Frage vielleicht nervt: Werden Sie der neue Bond-Regisseur? Das Gerücht hält sich einfach. Nehmen Sie dies auch gerne als Gelegenheit für ein weiteres Dementi …

Ich dementiere das sehr gerne! Glauben Sie mir, ich wäre der Erste, der zugeben würde, wenn es Gespräche gäbe. Aber, wie es das Wort schon sagt, ist es wirklich nur ein Gerücht.

Aber ein sehr hartnäckiges das ist schon immer ein bisschen verdächtig.

Nun gut, dafür kann ich aber nichts. Ich würde es in jedem Fall sehr gerne aus der Welt schaffen.

Dann haben wir das ja hiermit vielleicht geschafft. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben!

Über den Gesprächspartner

  • Regisseur und Drehbuchautor Edward Berger wurde 1970 in Wolfsburg geboren. Zu seinen ersten Arbeiten gehörten Folgen der Krimi-Serie "KDD - Kriminaldauerdienst" und Werbefilme. Bei der fantastischen und absolut sehenswerten Serie "The Terror" führte er bei mehreren Folgen Regie. Seine Neuverfilmung von "Im Westen nichts Neues" wurde 2023 für neun Oscars nominiert und erhielt am Ende vier Goldjungen, unter anderem als Bester internationaler Film.
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Teaserbild: © Leonine