Vor zehn Jahren gewann Tom Neuwirth alias Conchita Wurst mit dem Song "Rise Like A Phoenix" den ESC für Österreich. Nun will der heute 35-Jährige gemeinsam mit Rea Garvey ein Talent suchen, das am deutschen Vorentscheid teilnehmen wird.

Ein Interview

In der sechsteiligen Docutainment-Serie "Ich will zum ESC!" (ab 25. Januar in der ARD-Mediathek) begleiten Conchita Wurst und Rea Garvey ihre Talente bis zum Finale, das am 8. Februar live in der ARD-Mediathek und im NDR zu sehen ist. Im Interview spricht der Österreicher über die neue Show, die Konkurrenz zu seinem Co-Coach und das deutsche Abschneiden der vergangenen Jahre.

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"Ich will zum ESC!" klingt nach einer Mischung aus Casting und Gesangstraining. Was genau ist Ihre Aufgabe?

Conchita Wurst: Wir nennen es Eurovision-Coaching-Show. Rea und ich coachen unsere Talente, die durch ein Casting-Verfahren zu uns gekommen sind. Die haben vor uns performt und wir haben gesagt: "Dich hätte ich gern." Das Talent hat dann gesagt, ob es zu einem möchte oder nicht. Wir haben aus bekannten Formaten ein paar Elemente zusammengetan und trainieren unsere Talente bis zum Schluss. Teilweise wurden neue Songs geschrieben.

Rea Garvey und Conchita Wurst
Rea Garvey und Conchita Wurst (r.) sind die Coaches der Sendung "Ich will zum ESC!". © NDR/André Kowalski

Die ersten Folgen sind abgedreht, der Sieg wird in einem Live-Finale vergeben. Haben Sie einen klaren Favoriten oder eine Favoritin ausmachen können, wer den letzten Platz fürs deutsche Finale bekommt und vielleicht sogar nach Malmö fliegt?

Ich bin wie eine Mutter. Ich kann meine Kinder nicht ranken, aber ich habe jeden Tag ein anderes Lieblingskind.

Wie lief die Zusammenarbeit mit Rea Garvey? Sie beide wirken auf den ersten Blick recht unterschiedlich.

Ich liebe Rea. Er ist so ein entspannter Typ, so lustig und für jeden Spaß zu haben. Er ist extrem professionell. Es ist die reine Wonne, mit ihm zu arbeiten und mit ihm abzuhängen. Es hat für uns fast keinen Unterschied gemacht, ob die Kamera lief oder nicht.

Conchita Wurst über Rea Garvey: "Wir ergänzen uns gut"

Die Sendung ist auch ein Duell der Coaches. Was kann Rea Garvey besser oder schlechter als Sie?

In der Eurovision-Bubble bin ich fast unschlagbar. Weil ich gewonnen habe und er nicht. Als Musiker schätze ich ihn extrem, weil er einen Mega-Hit hatte, den ich in der Form nicht hatte. Von daher gleicht sich das auch aus. Er ist sehr lange im Geschäft, länger als ich, er hat eine andere Reife und Erfahrung. Wir ergänzen uns gut, aber der große Unterschied, wo ich eine Nasenlänge vorne bin, ist die Thematik Eurovision Song Contest. Ich habe das alles durchlebt.

Was ist das Rezept, um beim ESC erfolgreich zu sein?

Das eine Rezept gibt es natürlich nicht, sonst würden alle den ersten Platz machen. Es gibt gewisse Tricks, mit denen man das Publikum emotionalisieren kann. Doch bei aller Taktiererei, worauf man achten könnte, ist es am Ende so: Es gewinnt das Gesamtpaket. Das beste Lied, die beste Performance, die strahlendste Bühnenpräsenz. Es gewinnt immer der Star. Wenn man das Glück hat, jemandem zu begegnen, bei dem es diesen berühmten X-Faktor gibt, dann kann man sich alle zehn Finger abschneiden.

Kann man Showtalent lernen? Können Sie das Ihren Talenten beibringen?

Dieses authentische Strahlen hat man oder hat man nicht. Mit Coaching und Erfahrungen und durch das Leben an sich kann man natürlich dazugewinnen und auch eine großartige Karriere machen. Ich versuche, meine Kandidat:innen abzuholen, wo sie sind, um sie so authentisch wie möglich, in den Qualitäten, die ich bei ihnen sehe, zu fördern. Wo auch immer sich das hinentwickelt, sieht man dann im Laufe der Sendung. Man erkennt aber auch gut: Mit dir komme ich so und so weit und mit dir nicht. Wir haben viele verschiedene Aufgaben und dadurch war relativ klar, welche Person ich eine Runde weiter nehme.

Ich bin so ambitioniert, dass ich wahrscheinlich aus allen Wolken falle, wenn nicht jemand aus meinem Team gewinnt.

Conchita Wurst

Wie ehrgeizig sind Sie, dass am Ende eine Person aus Ihrem Team gewinnt?

Ich bin sehr ehrgeizig. Ich bin so ambitioniert, dass ich wahrscheinlich aus allen Wolken falle, wenn nicht jemand aus meinem Team gewinnt. Rea macht das großartig und ich glaube an ihn, aber sorry, an mir kommst du nicht vorbei. Und auch an meinen Talenten nicht. Ich hoffe, dass ich nicht wahnsinnig sauer das Studio verlasse.

"Ich will zum ESC!" ist auch eine Form der Castingshow. Welche Castingshows schauen Sie privat gern an?

Meine Karriere hat damals in einer Castingshow begonnen, die habe ich damals gern geguckt. Ich habe alle Castingshows geguckt. Es ist der Wahnsinn, dass es "Deutschland sucht den Superstar" noch gibt. Ich habe aber mit Juliette Schoppmann aufgehört, denn als sie nicht gewonnen hat, war es für mich erledigt.

Könnten Sie sich vorstellen, an einem ähnlichen Format wie DSDS mitzuwirken?

Ich liebe das Showgeschäft. Wenn der Schuh passt, dann finde ich mich da gern wieder. Was ich für mich reflektiert habe, ist, dass ich keine andere Castingshow kenne, bei der der Preis so groß ist wie bei uns. Gibt es etwas Größeres, als potenziell zum ESC zu fahren? Ja, einen Plattenvertrag natürlich, aber eine Bühne mit 200 Millionen Zuschauenden gibt es sonst nicht.

Conchita Wurst: "Der ESC wird immer krasser"

Ihr ESC-Sieg jährt sich zum zehnten Mal. Wie bewerten Sie den Wettbewerb heute?

Der ESC wird immer krasser. Die Bühnenshows sind alle schon in sich wie die Halftime-Show beim Super Bowl. Was da an Requisiten reingetragen wird und auch was die Kandidat:innen im Vorfeld an Social-Media-Arbeit, an Pressearbeit machen, das ist alles so professionell. England schickt in diesem Jahr mit Olly Alexander einen sehr etablierten Sänger, da denke ich mir, jetzt kommen schon die Stars, um mitzumachen. Der Song Contest wird immer größer, was ich großartig finde. Loreen hat bei ihrem ersten Sieg den ESC plötzlich cool gemacht. Diese Nummer war ein Europa-Hit. Sonst hatte es immer diesen Camp-Faktor und die Songs waren relativ erwartbar. Mit Loreen hat es eine Wendung genommen. Wir alle wachsen weiter, unser Musikgeschmack wächst. Es bildet den musikalischen Zeitgeist ab.

Gibt es etwas, was Sie am ESC verändern würden?

Wenn ich die besten Fernsehformate dieser Welt aufzählen müsste, würden mir zwei einfallen: der Eurovision Song Contest und RuPaul's Drag Race. Das ist Fernsehen vom Feinsten. Was beim Song Contest viele Jahre auch nicht so im Vordergrund stehen musste, ist die Idee, dass es ursprünglich ein Friedensprojekt war. Diese Metaebene ist wichtiger denn je in unserer Welt. Wir kommen alle friedlich zusammen. Obwohl wir im Wettbewerb miteinander stehen, ist es immer noch respektvoll und voller Spaß und Liebe, auch wenn sich jeder wünscht, dass sein Land gewinnt. Es ist ein schönes Bild einer Gesellschaft, die miteinander funktionieren kann, die zwar trotzdem konfliktbereit ist, aber nicht eskaliert.

Warum hat Deutschland zuletzt immer so schlecht abgeschnitten?

Da bin ich die schlechteste Gesprächspartnerin, weil Österreich einmal mit Udo Jürgens gewonnen hat und dann war viele Jahrzehnte nichts. Und dann kam ich. Mein Mitgefühl hält sich daher in Grenzen. Deutschland hat schon große Siege eingefahren und viele Erfolge mit tollen Platzierungen gefeiert. Das Großartige am ESC ist auch, dass man keine Garantie hat. Nur weil man einmal gut abschneidet, hat man die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen. Das macht es auch so spannend. Bis auf die Italiener:innen und die Schwed:innen, die schaffen es immer wieder, relativ weit vorne zu sein. Wenn die Zuseherschaft abstimmt, ist alles möglich. Ein letzter Platz ist für niemanden schön und gerechtfertigt auch nicht, denn alle machen sich Arbeit und denken sich was und bereiten sich vor. Allein dafür sollte man schon mal 50 Punkte bekommen. Es ist schön, dass es in Deutschland auch diesen Ehrgeiz gibt. Viele fragen sich: Wie können wir uns steigern, was können wir besser machen?

Welchen Tipp würden Sie ESC-Teilnehmern oder denen, die es werden wollen, mit auf den Weg geben?

Am Ball bleiben. Jede Situation oder Entscheidung, die die Person diesem Ziel näherbringt, würde ich wahrnehmen. Wenn man auf ein ganz klares Ziel hinarbeitet, passiert es auch. Vielleicht steht man dann nicht auf der Bühne, aber choreografiert etwas oder arbeitet beim Ton. Das Ziel kann dann auch anders aussehen. Wenn man einen Traum hat, muss man ihn verfolgen.

Von Conchita Wurst über Wurst zu Conchita: Wie geht es mit Ihnen und Ihrer Kunstfigur weiter?

Momentan stecke ich mitten in Theaterproben, weil ich am 15. Februar mein Theaterdebüt feiere. Jetzt wage ich mich ans Schauspiel, das ist wieder komplett anders und auch eine große Herausforderung. Ich habe große Freude daran und liebe es immer, etwas Neues zu machen. Ich habe so ein privilegiertes Leben, dass ich das alles machen darf. Mein Manager und ich verzetteln uns immer, machen immer von allem irgendwas. Aber das funktioniert schon über zehn Jahre gut.

War es schon immer Ihr Wunsch, Theater zu spielen?

Die Anfrage habe ich vor zwei Jahren bekommen. Ich habe schon als Kind gern Theater gespielt und liebe es auch, mich in Musikvideos in Rollen reinzudenken. Und ich dachte mir ziemlich selbstbewusst, wie schwer kann das schon sein? Es war doch komplexer als ich dachte, aber es ist extrem toll. Aber ich bin ein bisschen bescheidener geworden.

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