Eine gute Woche für Nacherzählungs-Profilneurotikerinnen wie mich. Sport, Politik, Philosophie, Gesellschaft – alles mit dabei, was Rückblicks-Potenzial aufweist. Also direkt rein ins Rekapitulierungs-Getümmel. Oder wie mittelbegabte Sportkommentatoren sagen: Es ist angerichtet.
Starten wir also mit dem Aufreger der Woche. "Schiedsrichter" Sascha Stegemann, der unter normalen Umständen beim Schiedsrichter-Ausschuss des DFB nicht mal ein Praktikum bekommen hätte (Grüße an RD Precht), ist am Freitagabend Opfer seiner eigenen Selbstherrlichkeit geworden (Grüße an Richard David P). Stegemann hat dabei leider auch Spieler und Fans von Borussia Dortmund sowie alle auf Spannung in der Bundesliga hoffende neutrale Fans in einer unglücklichen Symbiose aus Arroganzanfall und Inkompetenz direkt mit in den Abgrund gezogen. Aber was war geschehen?
Nun, im "kleinen Derby" zwischen dem VfL Bochum und dem BVB erzielte die abstiegsbedrohte Heimmannschaft zunächst ein Tor, bei dem sich niemand hätte beschweren können, hätte der Schiedsrichter (sofern einer auf dem Platz gewesen wäre) nach Schubser an
Meistermacher Sascha Stegemann
Im turbulenten letzten Drittel der emotionalen Flutlichtpartie erkannte der sogenannte Referee zunächst bei einem absolut eindeutigen Foulspiel des Bochumers Bruno Soares (übrigens mit Gelb vorbelastet) an
Besonders perfide wirken bei dieser Entscheidung zwei bemerkenswerte Details: Stegemann begründete seine Entscheidung, sich die Szene nicht noch mal anzusehen, damit, dass die Dortmunder nicht genug protestiert hätten. Mal abgesehen davon, dass diese Aussage nun dafür sorgen wird, dass wir an den verbleibenden vier Spieltagen auf dem Rasen vermutlich ein nicht enden wollendes Pöbel-Festival sehen werden, ist eine solche Erläuterung im Grunde eine Selbstdisqualifikation als Schiedsrichter. Das zweite Detail, das für reichlich Zünd- und Gesprächsstoff sorgen sollte, ist die Tatsache, dass der Videoschiedsrichter in dieser Szene offenbar ebenfalls keine Fehlentscheidung erkennen konnte und nicht proaktiv eingriff. Unbegreiflich für jeden Zuschauer, alle Kommentatoren, Journalisten, jeden im Stadion und an den TV-Geräten, Bochumer miteingeschlossen. Und wohl auch für den DFB, der den Fehler in einem Statement am Folgetag einräumte.
Bayern-Fan als Videoschiedsrichter
Wenn man nun bedenkt, dass jener VAR-Schiedsrichter Robert Hartmann heißt, zum Landesverband Bayern gehört und sich gerne stolz mit FC-Bayern-Trikot aus dem Fanshop ablichten lässt, kommt man nicht umhin, festzustellen: Diese Ansetzung ist bei klaren Sinnen auf keine erdenkliche Art und Weise zu erklären. Wie der DFB auf die Idee kommen konnte, in dieser Tabellenkonstellation einen offensichtlich glühenden Fan des FC Bayern als VAR zu nominieren, wird vermutlich für immer ein Geheimnis bleiben. Das ist in etwa so, als würde bei einem Prozess gegen Wladimir Putin Sahra Wagenknecht als Richterin berufen.
Um den Grand Slam der haarsträubenden und spielentscheidenden Fehler von Sascha Stegemann voll zu machen, muss auch das Handspiel von Erhan Mašović Erwähnung finden. Der Bochumer bekommt in der Nachspielzeit den Ball an seinen nicht angelegten, die Körperfläche vergrößernden Arm. Natürlich im Strafraum. Auch das hätte einen Elfmeter für den BVB bedeuten können. Für frustrierte BVB-Fans gab es als kleinen Trost nach dem Spiel wenigstens noch den einen oder anderen Lacher zur Stimmungsauflockerung.
Einige Fans von Eintracht Frankfurt, die seit Monaten täglich daran erinnern, im Heimspiel gegen Borussia Dortmund von genau diesem Schiedsrichter um einen Elfmeter betrogen worden zu sein (den ausgerechnet Karim Adeyemi verschuldet hätte), meldeten sich umgehend zu Wort, beschworen den Fußballgott sowie ausgleichende Gerechtigkeit und präsentierten dabei der amüsierten Öffentlichkeit ein Tutorial zum Thema "Rosa Fanbrille". Auch in der Szene damals erfolgte keine Konsultation der Bilder seitens des Schiedsrichters. Frankfurter Fans leiten daraus seit einem halben Jahr auf zumeist recht anstrengende Art und Weise Ungerechtigkeiten und Verschwörungstheorien ab. Was sie dabei stets "vergessen" (oder, na ja, verschweigen): Hätte der Schiedsrichter damals die Bilder angesehen, hätte er unmittelbar vor der Szene mit Adeyemi ein Stürmerfoul an Süle erkannt, ohne dass die Situation gar nicht entstanden wäre. Ein Eingreifen des VAR hätte also zu einem Freistoß für den BVB geführt. Absurd, diese beiden Entscheidungen in irgendeinen sinnvollen Zusammenhang bringen zu wollen. Sich auf Halbwahrheiten einschießen, diese absichtlich falsch interpretieren und damit dann großflächig auf Stimmungsmache zu gehen – im Prinzip eigentlich 1:1 das Vorgehen der AfD.
Til Precht und Richard David Schweiger
Aber genug von der Fußballmafia DFB. Auch der Sascha Stegemann der Filmbranche hat diese Woche wieder sehr tief in die Trickkiste geschaut. Und ja, mit Trickkiste meine ich Weinglas und mit Stegemann meine ich Til Schweiger. Die Kollegen vom "Spiegel" haben diese Woche kurz von ihrem Haupt-Target Mathias Döpfner abgelassen, um Deutschlands (nach eigener Ansicht) gleichsam besten und erfolgreichsten, wie auch vom Feuilleton aus unerfindlichen Gründen abgrundtief gehassten Filmemacher mit einer unangenehmen Wahrheit zu konfrontieren: Die zahlreichen Geschichten, die erzählen, wie Schweiger seit Jahren an Filmsets Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen schikaniert, beleidigt und womöglich sogar verprügelt haben soll. Zumeist in einem Zustand, den man bei einer allgemeinen Verkehrskontrolle nicht zwangsläufig als "nüchtern" bezeichnen würde. Besondere Brisanz erhielten die Enthüllungen, als einige prominente Filmschaffende die Erzählungen bestätigten. Darunter Schauspielerin Nora Tschirner, die in den Blockbustern "Keinohrhasen" und "Zweiohrküken" an Schweigers Seite gespielt hatte.
Zum dringend notwendigen dritten Teil "KeinHirnHaben" kam es leider nie. Schweiger, der zuletzt vor allem Schlagzeilen machte, weil ihm Martin Semmelrogge auf Mallorca die Gartenmöbel geklaut hatte (oder war das Jan Ulrich?), konnte sich aber glücklicherweise philosophischem Beistand aus allerhöchsten Kreisen sicher sein. Vollzeit-Alleswisser Richard David Precht kehrt extra aus der kreativen Pause zurück, um seinen Bruder im Geiste (Schweiger) als Themenfeuerwehrmann zu entlasten und die Empörungsindustrie gekonnt auf einen anderen Schauplatz umzuleiten. Im Podcast mit seinem Förderer Markus Lanz spricht Precht diese Woche nämlich eine äußerst unangenehme Wahrheit an. Also, unangenehm für ihn: Annalena Baerbock wäre "ein Unfall als Außenministerin" und hätte "unter normalen Umständen im Auswärtigen Amt nicht mal ein Praktikum bekommen".
Ich bin nicht doof, ich habe nur Precht beim Denken
Mutige Worte von jemandem, der unter echten Philosophen als intellektuelles Leichtgewicht gilt, in der Branche seit Jahren belächelt wird und letztendlich lediglich durch Karriere-Katalysatoren wie der Alte-Weiße-Männer-Connection zu Markus Lanz Relevanz verliehen bekommt. Lanz erlaubt Precht seit Jahren, zu wirklich jedem Thema seine teilweise skurril-kruden Theorien vor großem Publikum loszuwerden.
Corona, Ukraine, China, Waffenlieferungen, Mediengleichschaltung – und jetzt halt Außenministerin. In Anbetracht seiner gegen null tendierenden Expertise und einer Geltungsnervosität auf Rekordlevel eine erstaunlich unterkomplexe Verfahrensweise. Das ist in etwa so, als würde man mich jede Woche drei Mal als Expertin für Luftrettung in Talkshows einladen, weil ich als Kind mal einen Playmobil-Hubschrauber hatte und heute Mitglied beim ADAC bin. Oder Sie, liebe Leser, als Humorexperten, weil Sie mal einen Tweet von Marie von den Benken gelesen haben. Was Sie allerdings ruhig mal tun sollten. Am besten sofort. Also: Schnell rüber zu Twitter! Bis Montag!
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