Gesine Cukrowski spielt in dem neuen ARD-Zweiteiler "Mordach – Tod in den Bergen" eine Rolle, die eigentlich für einen Mann geschrieben wurde – und die ihr gerade deshalb besonders gut gefällt. Im Interview mit unserer Redaktion spricht die 54-Jährige über klischeehafte Rollen für Frauen und Frauen ohne Unterleib.
Schauspielerin
Frau Cukrowski, worum geht es in Ihrem neuen Film "Mordach – Tod in den Bergen"?
Gesine Cukrowski: Der verdeckte Ermittler Cuma Ozan (
Es geht auch um das Leben in der Kleinstadt, Fremdenfeindlichkeit, das Aufeinandertreffen der Großstadt-Ermittler mit der Landbevölkerung. Warum eignet sich die Kulisse der Kleinstadt in den Bergen so gut, um einen Kriminalfall zu erzählen?
Wenn man in den Wäldern oder in den Bergen ist, kommen die Urängste der Menschen zum Vorschein. Was passiert, wenn ich alleine in den Bergen bin und abstürze? Oder wenn ich mich im Wald verlaufe? Das war schon in den Märchen ein Thema, es wird mit unseren Ängsten gespielt. Den Naturgewalten sind wir noch immer ausgesetzt, was faszinierend ist. In den Bergen und im Wald spürt man das besonders stark. Deshalb ist es sehr passend, einen Thriller in einer Umgebung anzusiedeln, wo die Natur ihre eigene Sprache spricht und ihren Teil zur Atmosphäre beiträgt.
Die Naturaufnahmen sind sehr wichtig für die Stimmung des Films. Mordach ist ein fiktiver Ort, wo wurde tatsächlich gedreht?
Wir haben an verschiedenen Orten in Südtirol gedreht. Wir waren an mehreren Orten in den Bergen, aber auch in Trient.
"Die ARD-Serie handelt von Vorurteilen und Ausgrenzung"
Wie würden Sie Ihre Rolle als BKA-Chefin Helene Brecht charakterisieren?
Helene Brecht hat den hervorragenden verdeckten Ermittler Ozan jahrelang aufgebaut. Es wäre ein großer Verlust für sie, wenn er verloren ginge, da sie ihn perfekt platziert hat, um im Kampf gegen das organisierte Verbrechen voranzukommen. Entsprechend viel liegt ihr daran, ihn jetzt nicht wegen so einer doofen Geschichte in der Provinz zu verlieren. Und nun muss sie sich mit einer jungen und ehrgeizigen Dorfpolizistin auseinandersetzen, was im ersten Moment völlig unter ihrer Würde zu sein scheint. Als sie dann aber die von Sarah Bauerett großartig gespielte Toni näher kennenlernt, merkt sie, dass die junge Polizistin eigentlich genau wie sie tickt und den gleichen Ansporn, den gleichen Perfektionismus hat. Im Laufe der Zeit lernt sie Toni zu schätzen.
Sie spielen eine erfahrene Polizistin, die in Frankfurt gegen Clans und das organisierte Verbrechen kämpft, Sarah Bauerett spielt die taffe Kleinstadtpolizistin Toni Brandner. Ist "Mordach – Tod in den Bergen" ein Film über starke Frauen?
Nein, es geht um Vorurteile und Ausgrenzung. Aber wir lernen zwei interessante Frauenfiguren kennen. Und die unterschiedliche Herangehensweise von verschiedenen Generationen. Helene Brecht arbeitet mit ihrer ganzen Erfahrung und dem Hintergrund ihrer Karriere, Toni Brandner ist etwas ungestümer. Sie hat weniger Erfahrungen gemacht und deshalb natürlich auch weniger schlechte. Sie ist voller Idealismus und springt ohne zu zögern in Situationen rein, in denen Helene Brecht vielleicht zurückhaltender wäre und andere Wege einschlagen würde. Dabei entsteht eine Mischung, die gut für den Fall ist.
Mit Ihrer Kampagne "Let's Change the Picture" setzen Sie sich für mehr Sichtbarkeit und weniger stereotype Rollen für Frauen ein, die älter als 47 Jahre sind. Ist Helene Brecht ein Beispiel für eine solche Rolle?
Absolut! Denn diese Rolle wurde ursprünglich für einen Mann geschrieben. In der Vorbereitung hat man sich dann gefragt, ob die Rolle nicht auch von einer Frau gespielt werden könnte. Das hat mir extrem gut gefallen, weil sie dadurch nicht so sehr klischiert ist, wie wir das sonst kennen.
21 Millionen Menschen in Deutschland sind Frauen, die älter als 47 Jahre sind. Warum ist Ihrer Meinung nach ein Viertel der Bevölkerung in Filmen und Serien unterrepräsentiert oder klischeehaft dargestellt?
Wenn ich darauf so einfach eine Antwort hätte … (lacht). Wir leben in einem Patriarchat. Diese patriarchischen Strukturen haben zu dieser Situation geführt. Ich spreche immer von einer eigenen Fernsehrealität, die beibehalten wurde, während sich die Gesellschaft schon sehr verändert hat. Das Bild der Frau im Fernsehen ist in den 1990er Jahren stecken geblieben, oder eher sogar noch früher. Heutzutage sind 60-jährige Frauen nicht per se treusorgende Omis, sondern haben sehr vielfältige Lebensläufe. In den Klischees, die ihnen oft im Fernsehen vorgesetzt werden, finden sie sich nicht wieder. Das hat auch damit zu tun, dass Rollen rigoros jünger besetzt werden. Mütter im deutschen Fernsehen sind im Schnitt 14 Jahre älter als ihre Kinder. Das waren also alles Teenager-Schwangerschaften. Auf der anderen Seite wird Sexualität bei Frauen über 50 komplett ausgeklammert. Wir nennen das "Frauen ohne Unterleib". Das hält sich sehr hartnäckig. Aber wir wollen wieder einmal darauf aufmerksam machen und gucken, wie man diese Strukturen nachhaltig verändern kann.
Wenn man in die Politik schaut: Wir hatten 16 Jahre lang mit Angela Merkel eine Kanzlerin, Ursula von der Leyen ist als siebenfache Mutter Präsidentin der Europäischen Kommission, mit Annalena Baerbock ist eine zweifache Mutter Außenministerin. Warum spiegelt die Film- und Fernsehbranche diese Entwicklungen nicht?
Das ist genau unser Punkt. Die Tendenz geht dahin, dass Frauen erst mit Ende zwanzig, Anfang dreißig anfangen, Kinder zu bekommen. Und im Fernsehen müssten sie im Schnitt 14 Jahre alt gewesen sein, als sie ihre Kinder bekommen haben. Das ist eine komplett veränderte Realität. Mehr als eine ältere Frau kommt in den Produktionen meistens ohnehin nicht vor. Ihr Liebesleben wird komplett ausgeklammert. Und wenn sie erfolgreich ist, wird sie vorwiegend negativ gezeichnet. Die erfolgreichen Frauen sind meist sehr unangenehm gezeichnet. Das sind die Stereotypen und Klischees, die immer wieder vorkommen. Das Interessante ist, wenn man sich das bewusst macht und dann Fernsehen schaut, fällt einem erst mal auf, wie krass das eigentlich ist (lacht).
Gibt es Ausnahmen?
Die guten Beispiele kommen fast immer aus dem Ausland, das sind beispielsweise Lizenzproduktionen aus Skandinavien oder amerikanische Produktionen auf Netflix. Die typische deutsche Fernsehkommissarin hingegen ist immer ein einsamer Wolf und sehr problembelastet. Es sind sehr einsame Frauen, bei denen alles schiefgeht. Das hat nichts mit unserer Realität zu tun. Ich kenne so gut wie keine so einsame Frau. Frauen verbinden sich, Frauen treffen sich und erleben viel. Und das hört nicht mit dem 50. Geburtstag auf.
Der Film "Everything Everywhere All at Once" hat bei den Oscars abgeräumt, die 60-jährige Michelle Yeoh wurde als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet, die 53-jährige Cate Blanchett war für ihre Rolle als Star-Dirigentin in "Tár" ebenfalls nominiert. Sind die Filme ein Beleg dafür, dass sich in Hollywood etwas an der Darstellung der Frauen ändert?
Wie gesagt, im Ausland passiert gerade etwas. Das ist sehr schön zu sehen, das ist ganz, ganz toll. In diese Richtung sollte es sich entwickeln, das sind tolle Frauenfiguren.
Cate Blanchett war kürzlich in der Talkshow von Sandra Maischberger zu Gast und hat gefordert, dass es mehr Regisseurinnen, Drehbuchautorinnen, Kamerafrauen und Bühnentechnikerinnen geben müsste. Ist das ein wichtiger Punkt, um etwas zu verändern?
Das ist auch ein wichtiger Punkt, dass ihre weibliche Erzählperspektive genauso vertreten ist wie die männliche. Da muss ganz viel passieren. Und wir müssen uns mit der Gender-Pay-Gap beschäftigen. Es gibt keinen Grund in der Welt, warum Frauen in der Filmbranche im Schnitt 38 Prozent weniger verdienen. Der Gender-Pay-Gap ist in der Filmbranche besonders hoch. Und das ist eine absolute Frechheit.
Wo könnte man ansetzen, um das zu ändern?
Das muss gesetzlich geregelt werden, eine solche Ungleichbehandlung wie durch den Gender-Pay-Gap muss verboten werden. In allen Bereichen und natürlich auch in der Filmbranche. Wieso muss ich fünf Filme drehen, wo ein männlicher Kollege nur zwei Filme drehen muss, um das gleiche Auskommen zu haben? Die männlichen Kollegen haben ihre Immobilien und wir Schauspielerinnen sind von Altersarmut bedroht. Es gibt keine gesetzliche Grundlage dafür. Warum sollten Frauen weniger verdienen?
Ihre Karriere in Film und Fernsehen hat vor etwas mehr als 30 Jahren begonnen. Wie haben sich die Angebote und der Umgang mit Frauen seitdem verändert?
Es war bei mir mit Mitte, Ende zwanzig schon so, dass ich Rollen gespielt habe, die eigentlich eine ältere Frau hätte spielen müssen. Und dass ich mit diesen Biografien überfordert war, die ich aufgrund meiner jungen Jahre gar nicht ausfüllen konnte. Das ist bis heute noch genauso, da hat sich überhaupt nichts verändert. Es ist ja nicht so, dass Frauen in ihren Zwanzigern keine tollen Sachen erleben. Warum erzählt man nicht diese Geschichten und lässt die 50-, 60-Jährigen ihre Geschichten erzählen? Ich verstehe nicht, wo das herkommt, dass diese Geschichten so radikal verändert werden. Und damit ja auch unsere Sehgewohnheiten, die wir dann in unser Leben übertragen. Wenn ich dann in den Spiegel schaue, denke ich mir: "Komisch, ich müsste eigentlich so alt wie diese Figur sein, sehe aber zehn Jahre älter aus." Und warum? Weil die Rolle eine Kollegin gespielt hat, die 15 Jahre jünger ist. Das hat große Auswirkungen auf mein Gefühl als Frau, als Zuschauerin. Das müssen wir verändern.
Welche Frauengeschichte würden Sie gerne erzählen oder verfilmen?
In den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges hat der Direktor des Berliner Zoos seinen Job hingeschmissen und ist einfach abgehauen. Katharina Heinroth hat als Zoo-Direktorin übernommen und den Zoo gerettet. Sie war eine fantastische Frau, aber ihre Geschichte ist völlig untergegangen in diesem ständigen Negieren von wichtigen weiblichen Biografien. Das wäre eine Geschichte, die dringend erzählt werden muss.
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