Seit nunmehr zehn Jahren läuft "Die Höhle der Löwen" im deutschen TV, aktuell strahlt VOX die Jubiläumsstaffel (montags ab 20.15 Uhr) aus. Zu den festen Investorinnen und Investoren gehört – neben Ralf Dümmel, Dagmar Wöhrl, Judith Williams, Nils Glagau und Tijen Onaran und anderen – auch Carsten Maschmeyer.
Im Interview mit unserer Redaktion spricht der 65-jährige Unternehmer über Humor unter Löwen und darüber, was Gründer brauchen, um erfolgreich zu sein – aber auch über seinen vergangenen Burnout und den Umgang mit psychischen Erkrankungen.
Herr
Carsten Maschmeyer: Von den 42.000 Tassen Kaffee geht nicht eine einzige auf mich zurück, weil ich nur grünen und schwarzen Tee trinke. Während der Drehphasen, die meistens zwischen Ende Januar und Anfang Mai stattfinden, achte ich darauf, dass ich einigermaßen fit im Fernsehen aussehe. Damit das Hemd nicht spannt, esse ich keine Süßigkeiten – deswegen bin ich Team Nüsse.
Faible für Wortspiele und humorvolle Aussagen
Ihr "Löwen"-Mitstreiter
Als Ralf mich kennengelernt hat, war ich ja in der Wahrnehmung meiner Investorenkolleginnen und -kollegen noch der CEO eines MDAX-Konzerns und in der eher konservativen Finanzbranche tätig.
Insgesamt wurden bis dato 772 Pitches ausgestrahlt. Auf welchen außergewöhnlichen Pitch warten Sie noch?
Mein persönlicher Wunsch wäre eine Anti-Jetlag-Maschine. Da ich als US-Investor relativ häufig nach Kalifornien und wieder zurück nach Deutschland fliege, habe ich an den neun Stunden Zeitverschiebung schon ganz schön zu knapsen. Ernst gemeint würde ich mir noch mehr Pitches zu Zukunfts-Themen wie Robotik, selbstfahrende Autos, KI für Krebstherapien und optimiertes Farming wünschen, damit mehr Nahrung produziert und der Welthunger minimiert werden kann. Also all das, was nachhaltig ist, Automation bedeutet und uns Menschen Zeit und Lebensqualität bringt. Was die "dritte Gehirnhälfte", also die KI, angeht, kommt zunehmend mehr.
In der aktuellen Jubiläumsstaffel wird am 16.09. eine "Nachhaltigkeitsfolge" ausgestrahlt. Welchen Beitrag leisten Sie im Alltag in Sachen Nachhaltigkeit?
Zunächst einmal darf ich verraten, dass ich im Rahmen der "Nachhaltigkeitsfolge" einen großen Deal mache. Privat bin ich jemand, der Energie nicht gerne verschwendet. Daher gilt für mich: Wenn ich einen Raum verlasse, mache ich das Licht aus und vermeide die Standby-Funktion. Ich fahre ein Hybridauto und in den USA bin ich nur mit Elektroautos unterwegs. Zudem investiere ich in viele Firmen, die sich um Nachhaltigkeit kümmern, darunter das Münchner Startup Delicious Data, das präzise Absatzprognosen für Lebensmittel erstellt. Es geht um zwei Dinge: Bei Überproduktion Lebensmittel wegschmeißen ist genauso schlecht wie zu früh ausverkauft zu sein. In Wien bin ich an Prewave beteiligt, das mithilfe von KI und Social Media Lieferketten, Umweltverschmutzung, Menschenrechtsverletzungen oder Korruption analysiert. Das Startup e-mobilio bietet E-Mobilität für die Fuhrparks von Firmen. Es begeistert mich, in solche Startups zu investieren.
Was ist für Sie wichtiger: das Produkt oder der Gründer?
In der "Höhle der Löwen" präsentieren sich in erster Linie frühphasige Unternehmen. Bei diesen Startups ist das Gründungsteam alles. Der Charakter, die mentale Stärke, der IQ und der EQ (emotionale Intelligenz; Anm. d. Red.) bestimmen zu 90 Prozent den zukünftigen Erfolg eines Startups. Das ist vergleichbar mit einer Immobilie: Du kannst die Möbel verrücken oder den Fußboden austauschen, doch die Lage bleibt immer dieselbe. Aber natürlich hilft auch der beste Gründer nicht, wenn der Markt zu klein ist und keine profitablen Margen erreichbar sind. Daher kommt es manchmal vor, dass ich zwar die Gründer toll finde, aber aufgrund des Geschäftsmodells raus bin. Umgekehrt verhält es sich ähnlich: Wenn hinter einem guten Geschäftsmodell die falschen Gründer stehen, investiere ich auch nicht.
Als Investor sind Sie quasi rund um die Uhr gefordert. Mittlerweile gehen Sie es aber etwas langsamer an. Wie macht sich dieser Sinneswandel in Ihrem Leben bemerkbar?
Vor 16, 17 Jahren hatte ich einen unerkannten Burnout, der in eine Schlaflosigkeit mündete. Man hat mir direkt Schlaftabletten verschrieben, anstatt Ursachenforschung zu betreiben und mein übergroßes Arbeitspensum zu betrachten. Ich glaube, dass wir durch die Digitalisierung heute eine Übererreichbarkeit, beinahe schon eine Dauererreichbarkeit erzeugt haben. Mittlerweile halte ich mich an drei feste Regeln.
Die da wären?
Morgens vor einer bestimmten Uhrzeit schalte ich meine digitalen Geräte nicht ein. Mindestens die erste Stunde eines Tages gehört ausschließlich meiner Familie oder meinem Sport und meiner Meditation. Zu dieser frühen Zeit möchte ich nicht gleich zum Start durch Mails fremdgesteuert werden. Abends ab einer bestimmten Uhrzeit schalte ich sämtliche digitalen Geräte wieder aus. Für mich ist es ein Unding, wenn man um 23.38 Uhr eine E-Mail bekommt und direkt am nächsten Morgen um 6 Uhr mit dem Vorwurf angeschrieben wird: "Hast du meine E-Mail nicht bekommen?"
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Ich halte mich mittlerweile an eine maximale Arbeitszeit pro Tag, in meinem Fall sind das zwölf Stunden. Wenn ich länger arbeite, weiß ich, dass ich nicht gut einschlafen, nicht durchschlafen oder zu früh aufwachen werde. Ein guter Morgen fängt mit dem rechtzeitigen Abschalten am Abend davor an.
Zweimal im Jahr lege ich einen kompletten digitalen Detox ein – immer Ostern und in der Weihnachts-/Neujahrswoche. Jeder, der mit mir zusammenarbeitet, weiß: In dieser Zeit habe ich mein Smartphone nicht einmal an und keinen Laptop dabei.
Klinikaufenthalt vor 14 Jahren: "Unter falschem Namen eingecheckt"
Wo stehen wir mittlerweile, was die Enttabuisierung von Depressionen angeht?
Wir sind langsam dabei, aus dieser ganz verschlossenen, dunklen Ecke herauszukommen. Als ich vor 14 Jahren in der Max-Planck-Klinik für Psychiatrie aufgenommen worden bin, habe ich unter falschem Namen eingecheckt. Natürlich wollte ich nicht, dass man dem vermeintlich "starken, erfolgreichen Herrn Maschmeyer" anmerkt, dass er Probleme hat. Schließlich hätte damals noch jeder gesagt: "Der ist in der Klapse." Wir müssen erkennen, dass nicht nur ein gebrochener Knochen gegipst oder ein verstopftes Herzgefäß befreit werden muss, sondern dass auch das Gehirn ein Organ ist. Dieses kann ebenso erkranken, auch wenn man es von außen logischerweise nicht sieht. Aber die betroffenen Menschen spüren von innen, dass sie eine gewisse Antriebslosigkeit und trübe Gedanken haben.
Was hat den Ausschlag dafür gegeben, dass Sie Ihre Erkrankung viele Jahre später öffentlich gemacht haben?
Meine mentale Erkrankung habe ich vor drei Jahren in einem Buch ("Die sechs Elemente des Erfolgs"; Anm. d. Red.) öffentlich gemacht, um der Enttabuisierung Schubkraft zu geben. Viele Menschen haben mir dafür gedankt und von ihrer eigenen Erkrankung oder ihren Depressionen innerhalb der Familie berichtet. Es wird die Zivilisationskrankheit der Zukunft sein. Ich führe sie unter anderem auf diese Dauererreichbarkeit zurück. Die meisten Menschen sitzen parallel zum Mittag- und Abendessen an ihren Mails. Und Urlaube sind heute zum Teil nichts anderes als das Abarbeiten von Mails oder das Abhalten von Videocalls vor schönerem Hintergrund. Das ist doch kein Urlaub.
Was ist für Sie Urlaub?
Urlaub ist, wenn sich das Gehirn ausruhen kann und die Festplatte gelöscht wird. Der heißgelaufene Hirnapparat muss doch irgendwann auch mal wieder herunterkühlen. Urlauben müssen wir uns wieder öfter erlauben.
Können wir uns das denn überhaupt erlauben, wenn wir beruflich erfolgreich sein wollen?
In der heutigen Zeit mit Künstlicher Intelligenz, ChatGPT und digitalen Hilfsmitteln geht es ja nicht mehr darum, pünktlich morgens im Büro zu erscheinen und möglichst viel Zeit dort abzusitzen. Es geht um Ergebnisse. Und dafür ist die Leistung maßgeblich. Ich spreche von Kreativität, Einfallsreichtum und Ideen. Wenn man aber übermüdet oder ausgebrannt ist, hat man weniger Lösungen und ist weniger produktiv.
Teilen Sie diese Erkenntnisse mit Ihren Gründern und Gründerinnen? Gerade wenn man am Anfang ist, muss man viel Blut, Schweiß und Tränen investieren...
Gründer und Gründerinnen sollten sich klarmachen, dass man mehr Zeit investieren muss als zuvor im Angestelltenverhältnis, sonst kann man kein erfolgreiches Startup auf die Beine stellen. Das ist der Preis, den man dafür zahlen muss. Ein Pilot muss vermutlich häufig am Wochenende und in der Urlaubszeit fliegen. Ein Imker muss das Risiko eingehen, auch mal einen Bienenstich abzubekommen. Und ein Gründer muss akzeptieren, dass "mehr Arbeit" der Preis für die Verwirklichung des eigenen Lebenstraums ist. 14- bis 16-Stunden-Tage dürfen mal vorkommen – allerdings immer nur projektorientiert und nicht von konstanter Dauer.
Was empfehlen Sie?
Wenn man einen Marathon im Sprint durchlaufen möchte, bricht man nach ein paar Kilometern zusammen und kommt natürlich nie im Ziel an. Daher ermahne ich Gründer, Pausen einzulegen. Ich habe noch in kein einziges Startup investiert, weil die Gründer morgens ganz früh anfangen oder weil sie abends besonders spät Feierabend machen. Als Investor möchte ich, dass die Resultate stimmen. Daher spreche ich tatsächlich manchmal klare Empfehlungen aus und rate der jeweiligen Person, mal eine Woche wegzufahren. Mir sind Menschen am liebsten, die mit einem gewinnenden, optimistischen Zukunftslächeln auf den Lippen Investoren, Mitarbeitende und potenzielle Kunden faszinieren – und nicht auf der letzten Rille fahren.
"Die Höhle der Löwen" flimmert seit nunmehr zehn Jahren über den Bildschirm, die Quizshow "Wer wird Millionär?" feiert in diesem Jahr bereits ihr 25-jähriges Jubiläum. Gehen Sie davon aus, dass es die "Höhle" in 15 Jahren noch geben wird und dass Sie dann noch dabei sein werden?
Ich bin der Meinung, dass dieses Format die spannendste Wirtschaftssendung weltweit ist. Der "Höhle der Löwen" ist es gelungen, Betriebswirtschaft, Selbständigkeit und Unternehmertum in die Wohnzimmer zu bringen. Von Eltern bekommen wir unzählige Rückmeldungen, in denen sie uns dafür danken, dass ihre Kinder endlich Prozentrechnen lernen. Auf einmal ist der Dreisatz kein Problem mehr. "Die Höhle der Löwen" ist in der Prime Time fast immer Quotensieger. Nur wenn mal ein Champions-League-Spiel oder ein Nationalmannschaftsspiel ausgestrahlt wird, liegen wir – wie alle anderen Formate auch – dahinter.
In den USA gibt es das Format schon seit 18 Jahren, in Japan sogar bereits seit über 20 Jahren. Insofern bin ich mir sicher, dass wir das 25-jährige Jubiläum der "Höhle der Löwen" erleben werden. Wenn ich dann noch genug Kraft und Lust habe und die Zuschauer mich vielleicht auch mit der einen oder anderen körperlichen Einschränkung (lacht) noch sehen möchten, könnte ich mir das vorstellen. Aber: Die "Höhle" ist wichtiger als die einzelnen "Löwen".
Über den Gesprächspartner:
- Carsten Maschmeyer ist ein deutscher Finanzunternehmer. Der gebürtige Bremer baute die Finanzvertriebsgesellschaft AWD Holding AG auf, die heute als Swiss Life Select zur Lebensversicherungs- und Rentenanstalt Swiss Life gehört. Mittlerweile investiert der 65-Jährige als Geschäftsführer der Maschmeyer Group in Unternehmensgründungen. Im Fernsehen tritt Maschmeyer regelmäßig als Investor in "Die Höhle der Löwen" in Erscheinung. Seit der im Jahr 2016 ausgestrahlten dritten Staffel ist er fester Bestandteil der VOX-Sendung, die in diesem Jahr ihr zehnjähriges Jubiläum feiert.
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