In der Sondersendung "Aktenzeichen XY... Vermisst" bekommt es Rudi Cerne am Mittwoch (20.15 Uhr im ZDF) mit Angehörigen zu tun, "die den Weg in die Sendung als letzten Strohhalm sehen". Wir haben mit dem Moderator und ehemaligen Eiskunstläufer im Vorfeld über ergreifende Fälle und den True-Crime-Podcast gesprochen, der Teil des "XY"-Gesamtkonzeptes ist. Zudem erklärt der 65-Jährige, warum er heute keine Schlittschuhe mehr unter den Füßen trägt, sondern lieber Golfschläger in den Händen hält.

Ein Interview

Herr Cerne, das Format "XY" geht inzwischen weit über die reguläre TV-Sendung hinaus – mit Ihnen als Dreh- und Angelpunkt. Wie stark ist Ihr berufliches Leben inzwischen von "XY" geprägt?

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Rudi Cerne: Ich moderiere "Aktenzeichen XY… Ungelöst" inzwischen seit 21 Jahren. Diese Jahre sind wie im Flug an mir vorbeigegangen. Dass ich das Format einmal übernehmen werde, hätte ich damals nie gedacht – der legendäre Eduard Zimmermann hat die Sendung immerhin geprägt wie kein anderer. Als ich dann für die Moderation vorgeschlagen wurde, dachte ich, es handele sich um einen Scherz. Zeitgleich fiel mein Name auch für die Moderation der Sendung "Der große Preis". Hier muss ich ehrlich sagen: Ich hätte "Der große Preis" sofort zugesagt, aber das wäre ein Fehler gewesen, die Sendung lief nur drei- oder viermal, ehe sie schon wieder eingestellt wurde. "Aktenzeichen XY" zu übernehmen und neu zu gestalten, hat mir im Nachhinein großen Spaß gemacht. Es handelt sich um ein Format mit enormer Relevanz und zur Bekämpfung von Kriminalität – insofern bereue ich es bis heute noch, dass ich damals so lange gezögert habe mit meiner Zusage, es zu übernehmen.

Am 25. Oktober läuft die Sondersendung "Aktenzeichen XY... Vermisst" im ZDF. Welcher der in dieser Sendung besprochenen Fälle hat Sie besonders berührt oder fasziniert?

Bei einem Fall geht es um einen verschwundenen jungen Mann. Der Bruder des Vermissten wird bei uns im Studio sein. In der Auseinandersetzung geht es vor allem um die Ungewissheit, die die Menschen unglaublich beschäftigt und die Emotionen hochkochen lässt. Vor allem, wenn Angehörige der Vermissten bei uns im Studio sind, merken wir, wie sehr die Menschen unter dieser Situation leiden. Diese Situation ist auch für mich emotionaler.

Inwiefern?

In der Regel spreche ich mit den Ermittelnden nüchtern über die Faktenlage eines Falles. Bei "Aktenzeichen XY... Vermisst" rede ich mit Angehörigen, die den Weg in die Sendung als letzten Strohhalm sehen. Der Großvater eines vermissten Kindes hat einmal zu mir gesagt: "Uns geht die Kraft aus. Wenn es jetzt keinen Erfolg gibt, war das unser letzter Versuch und wir geben auf." Solche Sätze gehen sehr unter die Haut.

Wie gelingt Ihnen bei solchen Schicksalen der Spagat aus persönlicher Betroffenheit und journalistischer Distanz?

Ich scheine irgendeinen Mechanismus in mir zu haben, der mich nach so einer Sendung abschalten lässt. Es ist ganz klar so, dass man eine solche Sendung nicht zusammen mit dem Anzug in den Schrank hängt. Jedoch befolge ich den Rat der Ermittler und Ermittlerinnen, den Fall nicht zu nah an sich heranzulassen. Dazu muss ich natürlich sagen, dass ich bei einem Tötungsdelikt den Fall zwar inhaltlich bearbeite, mich aber nicht direkt am Tatort befinde. Ich bin gewissermaßen der verlängerte Arm des ermittelnden Beamten und bespreche in dieser Rolle die Fakten und Fragen, auf die Antworten gesucht werden. Im Gegensatz dazu bin ich dann im Rahmen einer Spezialausgabe wie bei "Aktenzeichen XY... Vermisst" sehr nah dran am Fall, weil ich mit den Angehörigen spreche und dadurch eine andere Dimension geschaffen wird. Insofern ist diese Arbeit ergreifender.

Krimis aus leichter Hand statt Mord und Totschlag

Ihr Kollege Sven Voss hat mir im Zuge von "XY gelöst" einmal im Interview gesagt: "Ich kann mir Brutalität und Ungerechtigkeiten im TV nicht gut anschauen." Ist das bei Ihnen ähnlich, was Ihren Fernsehkonsum angeht?

Ich schaue mir gerne Krimis an, die mit einer leichten Hand produziert werden. Dazu zählt zum Beispiel "Die Rosenheim-Cops". In der Serie habe ich selbst mitgespielt, daher kenne ich die meisten Mitwirkenden. Ich habe sogar den Täter gespielt, was für mich sehr reizvoll war. Bei diesem Ermittlerteam spielt die humoristische Seite eine große Rolle, was ich sehr mag. Heute gibt es keinen Krimi mehr, der in gewisser Weise nicht auch etwas mit Mord zu tun hat – oder wie die "Rosenheim-Cops"-Figur Miriam Stockl sagen würde: "Es gabat a Leich" (lacht). In meiner Jugend war ich jedoch ein echter Krimi-Junkie. Damals haben US-Serien wie "Die Straßen von San Francisco" oder "Rauchende Colts" das Fernsehen dominiert – Serien, bei denen man immer wusste, dass der Täter am Ende der Folge gefasst werden würde. Das war auch bei "Columbo" so.

Bei "Columbo" wusste der Zuschauer immer von Anfang an, wer der Täter war.

Genau. Hier ging es immer um die Herangehensweise, den Tätern auf die Schliche zu kommen, das war wirklich toll. Interessanterweise haben mir Ermittler bestätigt, dass die legendäre "Columbo"-Aussage "Eine Frage hätte ich da noch" entscheidend sein kann, um einen Fall zu lösen. Denn genau diese Taktik, als Ermittelnder die Beweisführung vermeintlich abgeschlossen zu haben, um den Täter dann entsprechend zu konfrontieren, spielt in der Polizeiarbeit eine wichtige Rolle.

Faszination True-Crime-Podcats

Inzwischen gibt es auch den Podcast "Aktenzeichen XY... Unvergessene Verbrechen", der ebenso am 25.10. in die zweite Staffel gehen wird. Es geht sowohl um gelöste Fälle als auch um Cold Cases. Wie erklären Sie sich die Faszination der Menschen für True-Crime-Podcasts?

Dass True-Crime-Podcasts so stark konsumiert werden, macht mich baff. Befragungen zeigen, dass wir überdurchschnittlich viele weibliche, junge Zuhörerinnen haben. Genauso ist es bei "Aktenzeichen XY… Ungelöst". Hätte mich übrigens noch jemand vor drei Jahren gefragt, ob ich Lust auf einen Podcast habe, hätte ich vermutlich gefragt, was eigentlich ein Podcast ist (lacht). Für mich war das ein völlig neues Medium, das intensive Arbeit erfordert. Für eine Folge von rund 45 Minuten Dauer sind wir etwa drei Stunden im Studio. Bei der Aufnahme geht es nicht nur darum, Fakten abzuarbeiten und zu besprechen. Vielmehr ermöglichen es Podcasts, in manche Fälle tiefer einzutauchen, was verdammt spannend ist.

Hängt der höhere Anteil von True-Crime-Hörerinnen möglicherweise damit zusammen, dass Frauen sich mit den Opfern besser identifizieren können, aber, im Vergleich zu Männern, auch häufig größere Sorge haben, selbst Opfer von Verbrechen zu werden?

Idealerweise müssten wir diese Frage einer Frau stellen. Ich kann mir aber vorstellen, dass generell das Schaurige eine Rolle spielt. True-Crime-Fälle sind grausam und schaurig zugleich – dennoch spielen sie sich weit entfernt von den Hörerinnen und Hörern ab, die trotz allem fasziniert von einem Verbrechen sind.

"Ich bin körperlich und geistig fit für meinen Beruf"

Sie sind seit über 20 Jahren das Gesicht von "XY". Eduard Zimmermann hat 30 Jahre lang durch die Sendung geführt. Ist es Ihr Ziel, die TV-Legende zu überholen?

Ich lasse alles auf mich zukommen, oder um es anders zu sagen: Nach der Kür ist vor der Kür. Als Leistungssportler habe ich am 13.01.1984 meine beste Leistung abgerufen und bin Zweiter bei den Europameisterschaften im Eiskunstlaufen geworden. Damals schwebte ich natürlich auf Wolke sieben. Doch ich wusste: Die Olympischen Spiele stehen vor der Tür, nicht der letzte Erfolg zählt, sondern der nächste. Damit möchte ich deutlich machen, dass man immer an einer aktuellen Leistung gemessen wird, aber nicht aus den Augen verlieren sollte, wie es weitergeht. Insofern kann ich sagen, dass aktuell alles gut läuft: Ich bin körperlich und geistig fit für meinen Beruf. Solange das weiterhin der Fall ist, stehe ich zur Verfügung.

Sind Sie also ein verlässlicher Typ?

Ja, auf jeden Fall. Ich bin kein Typ, der die Karriere im Zickzack meistert. Ich wollte immer zum ZDF. 1987 hatte ich bereits beim Sender hospitiert, ehe ich noch einige Jahre beim Hessischen Rundfunk arbeitete. Das war eine tolle Zeit, weil ich mich damals ausprobieren konnte. Diese Zeit war sehr wichtig und ich kehrte im Anschluss zurück zum ZDF.

Schlittschuhe gegen Golfschläger getauscht

Sind Sie sportlich noch aktiv und schnüren manchmal die Schlittschuhe?

Die Schlittschuhe liegen in meinem Schrank und sind nahezu unberührt (lacht). Ich hatte sie mir vor rund zehn Jahren angeschafft, um ein Servicestück für das ZDF zu produzieren. Sie sehen ehrlicherweise aber aus wie am ersten Tag. Aufs Eis gehe ich nicht mehr, dafür aber gerne auf den Golfplatz.

Da stellt sich natürlich die klassische Frage nach dem Handicap.

Meine Schläger (lacht). Ansonsten 27.

Um trotzdem nochmal auf das Eiskunstlaufen zurückzukommen: "Holiday on Ice" feiert bald 80-jähriges Jubiläum – auch mit dieser Show teilen Sie eine Vergangenheit. Verfolgen Sie die Show? Zum Jubiläum wird ja Sängerin Vanessa Mai als Star-Gast zu sehen sein.

Bekannte Namen auftreten zu lassen, ist eine große Sache. Und die amerikanischen Manager haben auf die Popularität dieser Namen gesetzt. Vor meiner Zeit waren das Marika Kilius und Hans-Jürgen Bäumler, nach wie vor unübertroffen. Ich hatte einmal mit Denise Biellmann ein Gastspiel in Frankfurt. Das hat gut funktioniert. Die Festhalle war voll.

"XY-Preis" 2023

In diesem Jahr wird wieder der "XY-Preis" verliehen (am 29.11. im ZDF). Welchen Stellenwert hat diese Verleihung für Sie?

Die Verleihung gibt es seit nunmehr 21 Jahren – mit mir als Moderator wurde damals auch der "XY-Preis" eingeführt. Da bei "Aktenzeichen XY… Ungelöst" stets viele Fragen offen bleiben, hat die Vergabe dieses Preises etwas Versöhnliches. Während es im Rahmen der Sendung um Kapitalverbrechen geht, werden bei der Verleihung couragierte Menschen für ihr Eingreifen in ein Verbrechen ausgezeichnet, weil etwa eine Kindesentführung oder eine Vergewaltigung verhindert werden konnte. Natürlich wollen wir niemanden auffordern, sich in Gefahr zu begeben, dennoch leben wir in einer Zeit, in der jeder von uns ein Handy bei sich trägt und im Fall der Fälle die 110 wählen kann.

Sollten Sie, was ich natürlich nicht hoffe, jemals Opfer eines Verbrechens werden: Welcher TV-Kommissar soll Ihren Fall aufklären und warum?

Ingo Thiel, auch wenn es sich bei ihm nicht um einen TV-Kommissar handelt. Ingo Thiel ist ein echter Ermittler, der sogar schon einmal von Heino Ferch in einer Rolle dargestellt wurde. Als Kommissar war er schon mehrfach bei uns im Studio und hat damals den Fall "Mirco" gelöst. Der Junge wurde im Alter von zwölf Jahren entführt, sexuell missbraucht und getötet. Wenn ich mich aber auf einen TV-Kommissar festlegen müsste, dann auf das "Tatort"-Duo aus Münster, Thiel und Boerne.

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