Jan Böhmermann meldet sich aus der Sommerpause zurück. Doch wie es bei seinem "ZDF Magazin Royale" üblich ist, nur mit einem lustig präsentierten Thema, nicht mit einem lustigen Thema. Diesmal: Long Covid.

Christian Vock
Eine Kritik
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"Hallo, die Arschlöcher sind zurück: der IS, Oasis und jetzt auch noch wir, das "ZDF Magazin Royale‘", fasst Böhmermann die Ereignisse der letzten Tage, seine Sommerpause und deren Ende in nur einem Satz zusammen. Nun also ist Böhmermann wieder da und mit ihm ein Thema, das man fast schon vergessen hatte. Doch Böhmermann frischt unsere Erinnerung auf: "Vor vier Jahren da war Corona. Corona war so ein Scheiß. Corona war so scheiße, zum Glück haben wir das alles hinter uns gelassen", stellt Böhmermann fest.

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Aber Corona schafft es 2024 nicht in Böhmermanns "ZDF Magazin Royale", weil es vor vier Jahren war oder weil es "so ein Scheiß" war, sondern weil es immer noch "so ein Scheiß" ist. Nämlich für Menschen, die von Long Covid betroffen sind. "Es gibt keine zuverlässigen Zahlen, aber wir müssen schon davon ausgehen, dass wir eine halbe Million Long-Covid-Betroffene haben und wir müssen auch davon ausgehen, dass es mehr werden", lässt Böhmermann Gesundheitsminister Karl Lauterbach in einem Einspieler das Thema vorstellen.

Long Covid – alles nur im Kopf?

"Long Covid, was soll das eigentlich offiziell sein?", fragt Böhmermann, um inhaltlich ins Thema zu kommen und nähert sich einer Antwort von der anderen Seite. Von dort, wo Long-Covid verharmlost oder lächerlich gemacht wird, etwa vom Publizisten Jakob Augstein, der in seinem Podcast unterstellt, "Leute, denen es schon vorher nicht so gut ging", hätten nun "ein offizielles Ticket dafür und können sagen, es hat was mit Corona zu tun und ihr müsst es jetzt alle bezahlen."

Dann wechselt Böhmermann die Richtung und lässt echte Experten zu Wort kommen, etwa das Bundesgesundheitsministerium: "Als Oberbegriff umfasst Long Covid alle Langzeitbeschwerden, die länger als vier Wochen mit dem Coronavirus vorhanden sind […]" Zu diesen Beschwerden zählen laut "Spiegel": "Gedächtnisprobleme, Angstzustände, Kurzatmigkeit, Schlafstörungen oder Muskelschmerzen vor allem aber chronische Müdigkeit, die sogenannte Fatigue."

Aber Böhmermann hat über die "Bild"-Zeitung jemanden gefunden, der da skeptisch ist: "Long-Covid-Experte Prof. Christoph Kleinschnitz (Uni Essen) sagt: "Es ist schulmedizinisch eher unwahrscheinlich, dass die Symptome einer Viruserkrankung über Jahre bestehen bleiben", zitiert Böhmermann Kleinschnitz aus der "Bild" aus dem Jahr 2021, fragt dann aber: "Ist er auch eine vertrauenswürdige Quelle?"

"Was ist eigentlich los mit Ärztinnen und Ärzten?"

Böhmermanns Antwort: Erst einmal nicht klar, aber er zitiert aus verschiedenen seriösen Quellen Gegenteiliges zu Kleinschnitz’ Aussage. Ist das fair? Scheint erst einmal nicht so, denn Kleinschnitz’ Zitat ist drei Jahre alt, Böhmermanns "Gegen-Quellen" stammen aus dem Jahr 2024. In den dazwischen liegenden drei Jahren dürfte das Wissen über Long Covid größer geworden sein. Aber Böhmermanns Ziel ist erst einmal das große Ganze, nämlich Long Covid, seinen Symptomen und denen, die daran leiden, Raum zu geben. Zumindest vorerst.

Dazu gehört auch ME/CFS, die Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom, eine Folge-Erkrankung, unter anderem von Covid-19, die zum Beispiel ernste Erschöpfungszustände zur Folge hat. "Alleine in Deutschland haben wahrscheinlich eine halbe Million Menschen ME/CFS", erklärt Böhmermann, doch würden sich nur wenige Hausärzte damit auskennen, auch weil die Erkrankung lange abgetan wurde. Wurde? An dieser Stelle kommt Böhmermann dann noch einmal auf Professor Kleinschnitz zu sprechen.

Der hatte vor ein paar Wochen bei "X" unter anderem geschrieben: "Seit vier Jahren die immer gleichen Panik-Geschichtchen. Jetzt via Frauenticket." Und Böhmermann fährt weitere Aussagen Kleinschnitz’ auf "X" auf, die einem polemischen Rundumschlag gegen "Zeitgeist", den Gesundheitsminister, Kollegen oder "Agenda-Politik" gleichen. Und weil dem "ZDF Magazin Royale"-Team Betroffene auch noch von absurden Situationen in Arzt-Praxen erzählt haben, fragt Böhmermann: "Was ist beim Thema Long Covid eigentlich los mit Ärztinnen und Ärzten?"

"Mann, dann trinken Sie doch einen heißen Tee!"

Eine Erklärung: Multiple Sklerose, so Böhmermann weiter, sei auch erst durch Forschung und deren Ergebnisse ernst genommen worden, doch bei ME/CFS sei die Forschung noch nicht so weit. "Darum können Twitter-Professoren und Publizisten-Söhne auch so erfolgreich ihre Ferndiagnosen in die Welt raus brainstormen, während die Betroffenen weiter nicht ernst genommen werden", schimpft Böhmermann und holt dann noch zu einer viel größeren Ohrfeige aus, denn nicht nur die "Bild" habe Kleinschnitz als Experten geführt, sondern eine Reihe seriöserer Medien auch.

Ja, Jan Böhmermann ist zurück und zum Start hat er ein Thema mitgebracht, an das viele wahrscheinlich gar nicht mehr gedacht haben, manche aber jeden Tag denken müssen. Einfach weil Long Covid weder eine Hysterie noch ein "offizielles Ticket" oder ein "Frauenticket" ist. Dass Böhmermann das Thema wie immer mit viel Witz, Ironie und ein paar Seitenhieben aufarbeitet, ist gut für den Zuschauer. Gut für die Betroffenen ist dagegen, wenn sie sich durch diese Ausgabe in ihrer Not ernst genommen fühlen.

Wenn Jan Böhmermann es mit dieser Folge außerdem geschafft hat, die Aufmerksamkeit der anderen auf dieses Problem zu lenken, wäre schon viel geholfen. Und diese Hilfe ist offenbar auch dringend nötig, zumindest, wenn man Aussagen wie diese von Jakob Augstein hört: "Corona ist eine ganz normale Krankheit. Es gibt keine wahnsinnigen Mutationen, die uns irgendwie so grüne Hörner wachsen lassen. Und die Leute müssen jetzt irgendwie damit zurechtkommen. Mann, dann trinken Sie doch einen heißen Tee!"

Neue Studie: Long Covid an sieben Symptomen zu erkennen

Studie: Long Covid an sieben Symptomen zu erkennen

Eine Studie hat herausgefunden, welche Beschwerden häufiger nach einer Corona-Erkrankung auftreten als nach anderen Infektionen. (Bildcredit: picture alliance/abaca/Joly Victor)
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