Was machen Sie eigentlich in einer Million Jahre? Noch keine Pläne? Dann erklären Sie doch Ihren Mitmenschen, dass sie lieber nicht die Fässer mit dem Atommüll aufmachen sollen. Jan Böhmermann legt am Freitagabend im "ZDF Magazin Royale" den Finger in die immer noch offene Wunde Atommüll. Viele Fragen hätte man sich schon früher stellen sollen.
Atommüll? Da war doch was? Tatsächlich hat die aktuelle Corona-Pandemie so einiges an Themen verdrängt, von den immer stärkeren rechten Einstellungen und Taten in Deutschland bis hin zur Klimakrise oder eben die Frage: Wohin mit dem Atommüll?
Ja, es ist einiges liegen geblieben, aufgeschoben worden oder unbemerkt geblieben. Tatsächlich hat Corona auch
Böhmermann ist trotzdem noch da - und der Atommüll? Der selbstverständlich auch und so führt Böhmermann am Freitagabend beides zusammen – sich und den Atommüll. Das ist in gewisser Weise konsequent, denn Böhmermann hat bei seinem Umzug ins ZDF-Hauptprogramm bei seiner Show ein bisschen Ballast abgeworfen. Statt 45 Minuten sendet er nur noch eine halbe Stunde.
Das reduziert zwar einerseits die Möglichkeiten, schafft andererseits aber ganz neue. Denn Böhmermann lässt nun eine Vielzahl liebgewonnener Rubriken und damit den Löwenanteil an Humor weg, dafür packt er heiße Eisen nicht mehr nur gelegentlich und als Coup, sondern nun regelmäßig und intensiver an: Online-Casinos, Profifußball und Qatar, verkaufte Digitalisierung, um nur einige zu nennen und damit wären wir wieder bei der Sache mit dem Atommüll.
Jan Böhmermann und die wunderbare Welt der Atomkraft
"Wir stehen kurz vor der Lösung eines der größten Probleme Deutschlands. Also neben der Musik von Reinhold Beckmann", leitet Böhmermann am Freitagabend sein neues heißes Eisen ein, doch die Sache hat einen Haken. Zwar gehe 2022 das letzte Atomkraftwerk in Deutschland vom Netz, aber damit ist die Vergangenheit ja nicht ausradiert. "1.900 blaue Riesentupperdosen mit hochradioaktivem Müll sind das strahlende Souvenir von unserer kurzen deutschen Stippvisite in die wunderbare Welt der Atomkraft."
Nun gut, so ein paar Büchsen Atommüll, die stellt man irgendwo in die Ecke und gut ist, mag man sich da etwas unbedarft denken. Aber Böhmermann erklärt, dass es so einfach eben nicht ist und erzählt ein bisschen über die Geschichte und die Risiken der Atomkraft. Zum Beispiel das hier: "Über 100.000 Tonnen Atommüll liegen rund um Europa im Meer." Oder warum die DDR das Salzbergwerk in Morsleben als Atommülllager genommen hat: "Das war zwar vollkommen ungeeignet zum Lagern von radioaktivem Killermüll, aber das war egal. Das war schön dicht dran an der verfeindeten BRD."
Kein feiner Zug, aber keine feinen Züge konnte man auch in Westdeutschland und so folgte die Retourkutsche des niedersächsischen Ministerpräsidenten und Vaters von Ursula von der Leyen, Ernst Albrecht: "Was reimt sich auf Morsleben? Gorleben. Das wird jetzt einfach unser BRD-Endlager", sagt Böhmermann. Das bekanntermaßen nur mäßig geeignete Gorleben als Endlager zu nutzen, war also eine politische Entscheidung, vor allem aber eine, an deren Folgen man noch länger wird arbeiten müssen. Sehr viel länger. Sehr, sehr viel länger.
Strom für zwei Generationen, Atommüll für 40.000 Generationen
Denn Böhmermann erklärt im Anschluss weiter, welche Auswirkung die bisher sehr kurze Nutzung der vermeintlich so sauberen Atomkraft hat. Stichwort Zeit: Weil weder Gor-, noch Morsleben geeignet sind, braucht man ein Atommüll-Endlager für eine Million Jahre. "Zwei Generationen haben von der Stromversorgung profitiert, mindestens 40.000 Generationen werden mit dem Müll leben müssen", zitiert Böhmermann den "Spiegel", um sich einmal die Dimensionen vor Augen zu führen.
Das ist nicht nur unverhältnismäßig und unfassbar ungerecht, sondern hat auch ganz praktische Probleme, denn wie soll man den kommenden 40.000 Generationen erklären, dass sie lieber die Finger von den Atommüllbehältern lassen? Stichwort Atomsemiotik: "Was würden Sie auf eine Tür schreiben, damit die eine Million Jahre keiner aufmacht?" Ja, man hätte sich gewünscht, dass man sich solche Fragen gestellt und beantwortet hätte, bevor man in die "wunderbare Welt der Atomkraft" eingetaucht ist.
Aber so ist das in vielen Bereichen, in denen man die Sache nicht vom Ende her denkt: Atomkraft, Plastik, Ressourcenverbrauch oder fossile Energieträger – um mal nur ein paar zu nennen. Insofern ist es gut, dass Jan Böhmermann (wieder einmal) über den Pandemietellerrand geblickt hat und mit dem Finger auf Probleme zeigt, die nicht warten können, bis wir Corona besiegt haben. Die Generationen nach uns freuen sich jedenfalls, wenn wir ihnen nicht all unsere Probleme überlassen.
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