Die einen streichen die Mehrwertsteuer, andere senken Lebensmittelpreise. Die einzelnen europäischen Länder reagieren ganz unterschiedlich auf die Inflation. Ein Wirtschaftsexperte erläutert, ob einzelne Maßnahmen der europäischen Nachbarn auch für Deutschland taugen.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Michael Freckmann sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Die Inflation für Deutschland liegt derzeit bei 7,4 Prozent. Dies verdeckt allerdings, dass die Preise für Lebensmittel weitaus stärker gestiegen sind. Laut Zahlen des Statistischen Bundesamtes haben sie sich im März 2023 im Vergleich zum Vorjahr um 21,8 Prozent verteuert.

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Die Bundesregierung reagierte darauf etwa mit Heizkostenzuschüssen für Wohngeldempfänger oder einer Energiepreispauschale. Andere Länder setzen jedoch noch ganz andere Hebel an.

In Frankreich drängte die Politik auf niedrigere Lebensmittelpreise

Auch die französischen Nachbarn plagt die Inflation. Dort lag diese bei Lebensmitteln nach Angaben des französischen Statistikinstituts INSEE im Januar 2023 bei 14,5 Prozent, wie das Nachrichtenportal Euractiv meldet. Dem wollte die französische Regierung nun mit einem "Anti-Inflations-Quartal" begegnen.

Die Politik und die Lebensmittelindustrie haben sich darauf geeinigt, grundlegende Lebensmittel günstiger anzubieten. Im Juni, nach Ablauf des "Anti-Inflations-Quartals", werden die Preise dann wieder neu verhandelt.

Der Wirtschaftsexperte Guido Baldi vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin (DIW) kann dieser Politik jedoch nur wenig abgewinnen. Zwar könne es seiner Ansicht nach sinnvoll sein, "Supermärkte davon abzuhalten, die Preise zu stark zu erhöhen, um etwa zusätzliche Gewinne zu erzielen".

Doch glaubt Baldi, dass der Effekt dieser Maßnahme nach Ende des Quartals verpuffen könnte. Zudem bestehe die Gefahr, dass die Lebensmittelkonzerne im kommenden Sommer die sonst üblichen Rabattaktionen ausfallen lassen könnten, um die entgangenen Gewinne zu kompensieren.

Schweizer Sonderstellung hält Inflation niedrig

Die Schweiz hat Probleme dieser Dimension derzeit nicht. Denn in dem Land liegt die Inflation gerade einmal bei 2,9 Prozent. Lediglich Importgüter sind in der Schweiz überdurchschnittlich teurer geworden. Ihre Preise stiegen um 3,8 Prozent, berichtet die Tagesschau. Damit rangiert die Schweizer Inflationsrate deutlich unterhalb der deutschen und auch der durchschnittlichen europäischen, die immerhin noch bei 6,9 Prozent liegt.

Doch auch hier trüge der Schein, erklärt Baldi. Denn das durchschnittliche Einkommen in der Schweiz sei höher als in Deutschland. Weil die Menschen dort ohnehin prozentual weniger Geld von ihrem Einkommen für Lebensmittel ausgeben würden, seien Preissteigerungen für sie weniger spürbar.

Wegen der hohen Zölle, welche die Schweiz auf importierte Güter erhebt, würden sich gestiegene Weltmarktpreise zudem nur schwach bemerkbar machen. Nicht zuletzt habe sich der Franken im Vergleich zum Euro aufgewertet. Dies habe eine Verringerung der Importpreise zur Folge, sagt Baldi.

Diese verschiedenen, für die Schweizer Bürger günstig erscheinenden Rahmenbedingungen verschleiern aber einen anderen Umstand in der Schweizer Wirtschaft, erklärt der Wirtschaftsexperte. Dort gäbe es jenseits aktueller Inflationsdebatten nämlich ein "permanent hohes Preisniveau".

Portugal: Mehrwertsteuer auf Lebensmittel wird vorübergehend abgeschafft

Ähnlich stark wie in Deutschland sind die Lebensmittelpreise in Portugal gestiegen, im Februar um 20,1 Prozent. Die portugiesische Regierung will nun die Mehrwertsteuer auf 44 Grundnahrungsmittel streichen, der Spiegel berichtet. Die Mehrwertsteuer für die meisten Lebensmittel beträgt dort sechs Prozent. Die Maßnahme soll zunächst für sechs Monate befristet sein.

"Erschwerend kommt noch hinzu, dass in Portugal die Menschen durchschnittlich deutlich weniger verdienen als in Deutschland", erklärt Guido Baldi vom DIW. Dennoch sollten die Effekte solch vorübergehender Senkungen nach Ansicht des Wirtschaftsexperten nicht überschätzt werden.

Denn oftmals sei es erfahrungsgemäß so, dass die Lebensmittelketten diese Senkungen nicht vollständig weitergeben. Zudem würden von einer solchen Senkung auch Menschen profitieren, die aufgrund ihres hohen Einkommens darauf gar nicht angewiesen seien, betont Baldi.

So zeigen die unterschiedlichen Herangehensweisen der europäischen Länder, wie schwierig es ist, die Inflation zu bekämpfen. Mit Blick auf Deutschland hält Baldi die bisherigen Maßnahmen der Bundesregierung zwar "alles in allem für sinnvoll", der Spielraum der Bundesregierung bei der Inflationsbekämpfung sei jedoch begrenzt.

Denn das zentrale Mittel dafür, die Geldpolitik, liege in den Händen der unabhängigen EZB. Die Bundesregierung könne daher vor allem Folgen der Preissteigerungen lindern, sagt Baldi. Dies werde aber zunehmend schwieriger. Denn: Die gestiegene Inflation sei mittlerweile "bei immer mehr Gütern zu beobachten".

Über den Experten: Dr. Guido Baldi, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin (DIW) mit den Arbeitsbereichen Konjunktur, Internationale Makroökonomie und Politische Ökonomie.

Verwendete Quellen:

  • Statistisches Bundesamt: Verbraucherpreisindex und Inflationsrate
  • Euractiv: Frankreich sagt steigender Inflation den Kampf an
  • tagesschau.de: Verbraucherpreise: Warum die Schweiz die Inflation im Griff hat
  • spiegel.de: Inflation in der EU: Portugal schafft Mehrwertsteuer auf Dutzende Lebensmittel ab
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