Der russische Präsident Wladimir Putin fühlt sich durch die Nato bedroht. In einem Interview bezeichnete er die ukrainische Armee als "Fremdenlegion der Nato". Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg wiederspricht dem vehement. Und auch Russland-Experte Gustav Gressel hält dagegen.
Wladimir Putin wird oft vorgeworfen, gezielt Fehlinformationen zu streuen. Für neues Aufsehen sorgte eine Anschuldigung des russischen Präsidenten vom Montag. Er bezeichnete die ukrainische Armee als Fremdenlegion der Nato. Die Regierungseinheiten des Nachbarlandes würden in dem Konflikt keinesfalls nationale Interessen verfolgen. "Sie streben vor allem das geopolitische Ziel an, Russland einzudämmen", sagte Putin am Montag in St. Petersburg.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg wies die Anschuldigungen umgehend klar zurück. Es sei unsinnig, von einer Nato-Legion in der Ukraine zu sprechen. Und auch Russland-Experte Gustav Gressel hält die Aussagen
Herr Gressel, inwieweit sind die Vorwürfe Wladimir Putins Propaganda-Maßnahmen?
Gustav Gressel: Die Nato ist für Putin ein Symbol für den bösen Westen. So hat er sogar behauptet, dass die Demonstrationen gegen ihn nach den Fälschungen bei den Präsidentschaftswahlen von den Amerikanern angezettelt worden seien. Nato, CIA oder USA – eins von den dreien kommt eigentlich immer in diesen Anschuldigungen vor. Das Ausmaß der Des- und Fehlinformationen sowie der Kriegspropaganda kann man im Westen leider kaum erkennen. In Russland sind die Leute bereits auf eine für uns unvorstellbare Weise indoktriniert.
Welche Rolle spielen die zusätzlichen Stützpunkte nach der Osterweiterung der Nato?
Mit dem Warschauer Pakt hat man sich 1990 darauf geeinigt, dass es allen Staaten Europas frei steht, ihre Bündnisse selbst zu wählen. Es gibt kein Recht, einem anderen Staat zu befehlen, wem man sich anzuschließen hat.
Zweitens hat die Nato Beitrittskriterien. 2008 wurde entschieden, dass die Ukraine – in Bezug auf Rechtsstaatlichkeit und Demokratie – so weit von Nato-Standards entfernt ist, dass eine unmittelbare Beitrittsperspektive nicht besteht.
Drittens hat die Nato Russland versichert, dass man keine offensivfähigen, permanent stationierten Kräfte, also etwa große mechanisierte Truppen, auf dem Boden der neuen Mitgliedsstaaten unterhält. Überwachungsflugzeuge, die etwa im baltischen Luftraum operieren, sind keine offensivfähigen Kräfte.
In Rumänien gibt es einen Logistikstützpunkt der Amerikaner. Da sind noch aus der Zeit des Afghanistankriegs 1.500 uniformierte Lagerarbeiter zu finden. Ansonsten gibt es Trainingslager mit bis zu Tausend Mann, die immer wieder ausgewechselt werden. Das wissen die Russen auch.
Viertens ist die Nato bei jeder weitreichenden Entscheidung auf Einstimmigkeit angewiesen. Zu glauben, dass sich 28 Mitgliedsstaaten – darunter Deutschland – zusammenraufen, um einen Angriffskrieg zu beschließen, ist abstrus.
Wie kommt es dann zu diesen Einschätzungen Moskaus?
Die Russen definieren Sicherheit nicht in unserem Verständnis, also der Abwesenheit von Bedrohungen beziehungsweise einer Drohabsicht. Beispielsweise ist Finnland aus russischer Sicht eine Bedrohung, weil es dort eine unkontrollierbare, politische Diskussion gibt. Nicht, weil sich die Russen vor Finnland fürchten. Dieses stalinsche Denken hat Putin offenbar noch nicht ad acta gelegt. Die Nato ist eine Interventionsbremse: Für ein Nato-Mitglied wird die Wahrscheinlichkeit, dass Russland offensiv dagegen vorgeht, geringer. Eine Strafexpedition gegen die Ukraine kann sich Russland leisten. Bei Aktionen gegen Polen wäre mit militärischen Konsequenzen zu rechnen. Das aber empfindet Russland als Einschränkung seiner Handlungsfähigkeit. Nur: Unser Europa entspricht nicht mehr dieser imperialen Sicherheitslogik. Das ist bei Putin noch nicht angekommen.
Inwiefern unterstützt die Nato oder die Amerikaner die ukrainische Armee militärisch?
Es gibt seitens der Amerikaner, Kanadier und auch anderer europäischer Staaten eine Unterstützung. Im Fall der Ukraine ist es aber etwas komplizierter. Seit Julia Timoschenko gibt es den Plan, die Armee zu schrumpfen und in eine Berufsarmee umzuwandeln. Aufgrund der Wirtschaftskrise 2008 ging jedoch das Geld aus. Also hat man Überbestände an Restwaffen verkauft, um diese Armeereform zu finanzieren. Das hat aber nicht funktioniert. Unter Viktor Janukowitsch hat sich der Verkauf sozusagen mit den Schattenakteuren dieser Administration verbunden. Diese Entwicklung aufzuhalten, ist noch äußerst schwer.
Seit letztem Sommer beraten die USA die ukrainischen Streitkräfte deshalb. Vor allem, um alte Geheimdienststrukturen aus Sowjetzeiten loszuwerden. Ausrüstungslieferungen beschränken sich auf Helme, Westen und im äußersten Fall auf nicht-letale Güter, also splitter- und minengeschützte Fahrzeuge. Es gibt Vorbehalte, Hochtechnologie wie Handfeuerwaffen zu liefern, weil man nicht weiß, ob diese im Zweifel nicht bei alten, russlandtreuen Nachrichtendiensten landen. Dann kann man die Waffen auch gleich den Russen zur Evaluierung geben.
Und welche Unterstützung gibt es seitens Moskau für die Separatisten?
Putin hat massiven Zugriff auf das Donbass-Gebiet, das wie eine Spielwiese für Moskau fungiert. Was dort zu tun oder zu lassen ist, kommt direkt von der russischen Präsidentschaftsadministration. Die zuständigen Fachministerien sind teilweise gar nicht eingebunden. Dort wird mit wie relativ wenigen Mitteln in Panzern und Mannzahlen gekämpft und trotzdem werden große Gefechtsgewinne erzielt. Das deutet neben den russischen Uniformen und Geräten darauf hin, dass diese Patchwork-Armee, um die es sich bei den Separatisten handelt, von russischen Kräften instruiert wurde, bis die Kommandostrukturen reibungslos ablaufen konnten.
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