Wird die Grundrente zur Zerreißprobe der große Koalition? Der Politologe Oskar Niedermayer glaubt: ja. Er ist der Ansicht, dass es noch in diesem Herbst in Berlin knallen könnte.

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Die Grundrente beschäftigt die große Koalition, die Meinungen gehen auseinander: Die SPD will sie, die CDU auch - allerdings zu unterschiedlichen Bedingungen. So sah etwa CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer nach einem Spitzengespräch im Kanzleramt noch keine Annäherung zwischen den Parteien.

Die Union habe deutlich gemacht, dass sie hinter der Grundrente stehe. Sie will aber nicht darauf verzichten, eine Prüfung der Bedürftigkeit als "Frage der Gerechtigkeit" mit einzuführen.

Sie verwies auf den Koalitionsvertrag, in dem diese Prüfung festgeschrieben sei, ohne im Detail zu beschreiben, was das bedeutet. "Es ist jetzt Sache des Arbeitsministers, sozusagen seine Pläne zu konkretisieren", sagte sie. "Wenn er allerdings darauf besteht, dass es überhaupt keine Bedürftigkeitsprüfung geben sollte, dann, glaube ich, wird eine Einigung eher schwer."

Die SPD-Seite wiederum hat noch einmal das Konzept von Arbeitsminister Hubertus Heil vorgestellt: Wer mindestens 35 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt hat, soll mehr Rente bekommen als der, der nie gearbeitet hat. Auch Teilzeitarbeit sowie Kindererziehungs- und Pflegezeiten zählen mit. Wer nach mindestens 35 Beitragsjahren weniger als 896 Euro Rente hat, bekäme einen Zuschlag, und zwar bis zu 447 Euro monatlich. Das kann rund fünf Milliarden Euro im Jahr kosten.

Eine Prüfung, wie sie die Union will, ist bei der SPD nicht vorgesehen. "Insofern haben wir da die Positionen ausgetauscht, sind uns in der Frage aber noch nicht näher gekommen", sagte Kramp-Karrenbauer.

Oskar Niedermayer: "Es könnte noch in diesem Herbst knallen"

Belastet die Auseinandersetzung zwischen den Koalitionsparteien die große Koalition? Der Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer glaubt: Ja, das tut sie. Er sagte dem Deutschlandfunk, dass es noch in diesem Herbst knallen könnte.

Denn beide Parteien haben nun ihre Positionen beim Thema Grundrente dargelegt. Kompromisse seien immer noch möglich – allerdings hätten sich sowohl die Union als auch die SPD in verschiedenen Bereichen profiliert und ihre jeweiligen Positionen gestärkt. "Jetzt ist die Frage, ist man denn tatsächlich noch bereit, sich auf Kompromisse einzulassen", erläuterte Niedermayer im Gespräch. Denn diese Kompromisse könnten die Erwartungen, die die Parteien sowohl bei der Basis als auch bei den Wählern geweckt hätten, wieder enttäuschen, "weil sie nicht SPD pur oder Union pur sind".

Gerade bei den Sozialdemokraten sehe er Tendenzen, sich diese "Aufbruchsstimmung" und die "neue Euphorie" nicht wieder kaputt machen zu wollen.

Ist also ein Bruch der große Koalition unvermeidbar? In den nächsten Wochen auf jeden Fall noch, glaubt der Politikwissenschaftler. Er sieht allerdings drei Sollbruchstellen. Die erste: die Europawahl Ende Mai. "Da sieht es für beide großen Parteien nicht gut aus – für die SPD sehr viel schlechter, die hatte damals [bei der letzten Europawahl, Anm.d.Red.] 27 Prozent. Auf das wird sie nie kommen diesmal."

Nach der Europawahl stehen außerdem drei Landtagswahlen an - in Sachsen, Brandenburg und Thüringen. Das wäre die zweite Sollbruchstelle und aus Sicht von Niedermayer für die Parteien "noch dramatischer".

Die dritte und damit die, bei der es am wahrscheinlichsten krachen könnte: Der Termin im Herbst, den die Parteien vereinbart haben um zu sehen, wie viel sie bislang geschafft haben und wie viel sie weiterhin noch gemeinsam schaffen können.

Ob Angela Merkel es also noch bis zum Ende der Legislaturperiode durchhält? "Also ich würde nicht darauf wetten", sagte der Politikwissenschaftler dem Deutschlandfunk. "Ich bin eher der Meinung, dass die Wahrscheinlichkeit, dass es im Herbst dann knallt, relativ hoch ist." Ein neuer Anlauf unter der Kanzlerin, ganz gleich ob mit vorgezogenen Neuwahlen oder durch andere Alternativen, sieht er dann als nicht mehr realisierbar.

Treffen der Koalitionsspitzen "sehr konstruktive Arbeitssitzung"

Das Treffen der Koalitionsspitzen im Kanzleramt hat CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer indes als "eine vollkommen undramatische, sehr konstruktive Arbeitssitzung" und "sehr demokratische Runde" beschrieben. Sie widersprach dem Verdacht, dass Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nur noch "Zaungast" sei und sie selbst das Sagen habe: "Das war überhaupt nicht so."

Auch CSU-Chef Markus Söder bezeichnete das Treffen, bei dem es auch um Kohleausstieg und Energiepolitik sowie die Zukunft der Automobilindustrie ging, als "sehr konstruktive, positive Erfahrung". Die Koalition wolle nicht in einer "Endlos-Wahlkampfschleife" arbeiten.

Schon in vier Wochen, am 14. März, will sich der Koalitionsausschuss zur nächsten Sitzung treffen. Mit regelmäßigeren Treffen soll nach dem holperigen Start in die Regierungsperiode von Kanzlerin Angela Merkel der Eindruck zerstreut werden, die Koalition arbeite dauernd im Krisenmodus.

Die große Koalition schrammte bereits im Sommer 2018 hauchdünn an einem Koalitionsbruch vorbei. Grund dafür waren die unterschiedlichen Positionen in der Flüchtlingspolitik, vor allem zwischen Innenminister Horst Seehofer (CSU) und Kanzlerin Merkel.

Verwendete Quellen:

  • Deutschlandfunk: Politologe: Im Herbst wird es wahrscheinlich knallen
  • dpa
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