Ein russisches U-Boot operiert im östlichen Mittelmeer nachdem ein russischer Kampfjet über dem NATO-Land Türkei abgeschossen wurde. Das hat nicht nur mit dem Kampf gegen den IS zu tun.

Mehr aktuelle News

Aber was sind die wahren Beweggründe hinter der martialischen Fassade?

Das fragten wir den Russland-Experten Uwe Halbach. Im Interview erklärt Halbach, warum Putin nicht nur eines, sondern mindestens drei Ziele in Syrien verfolgt – und warum ihn vieles am Vorgehen in dieser Krise an den Krim-Konflikt erinnert.


Russlands Präsident Wladimir Putin lässt Stellungen des IS von einem U-Boot im östlichen Mittelmeer bombardieren. Ist das Putins Strategie in Syrien oder Säbelrasseln in Richtung des Westens?

Uwe Halbach: Ob Putin in Syrien eine konkrete Strategie verfolgt, das ist ebenso umstritten wie die Frage, welche Strategien andere externe Akteure in Syrien verfolgen, weil die Lage vor Ort denkbar kompliziert ist.

Bei Russland ist ebenso wie bei den anderen Akteuren nicht ganz klar, wie die Strategie aussieht, ob man zum Beispiel eine klare Exit-Strategie verfolgt.

Wie weit das russische Militärengagement reichen wird, weiß bisher niemand. Es wurde zum Beispiel immer ausgeschlossen, dass Bodentruppen eingesetzt werden, aber es gibt immer wieder Hinweise darauf, dass genau das geschehen ist.

Insofern bleibt das Bild auch in dieser Frage unklar. Was allerdings klar ist, sind die geopolitischen Motive, die den Syrien-Einsatz Russlands umgeben und angeregt haben.

Welche wären das?

Das ist einmal das Bestreben, zu zeigen: Russland hat im Mittleren Osten mitzureden - und zwar seit Katharina der Großen. Es hat dazu auch konkrete Kommentare aus der Russisch-Orthodoxen-Kirche gegeben.


Es gab den Hinweis, dass Russland immer schon ein Faktor in dieser Region war, dort immer ein Wort mitzureden hatte und dieses Recht auf Mitsprache jetzt wieder aufgreift, nachdem der Westen mit fatalen Eingriffen diese Region durcheinander gebracht hat.

So ist das russische Narrativ, also die russische Erzählung der Geschichte. In diesem Zusammenhang spielt Syrien eine Schlüsselrolle, weil Syrien die letzte Bastion Russlands in dieser Region war mit dem Hafen von Tartus, der Russland als einziger Stützpunkt außerhalb des GUS-Raumes geblieben ist.

Was sind die anderen Ziele?

Russland will zweitens demonstrieren, dass es auf diplomatischer Ebene mitzureden hat - und sein Einsatz hat ja auch einen Anstoß für Gespräche über Syrien zwischen Akteuren mit ganz unterschiedlichen Interessen gegeben.

Außerdem war Russland sehr daran gelegen, die Isolation zu überwinden, in die es sich durch die Ukraine-Krise gebracht hat, also mal etwas davon abzulenken - und auf einen anderen Punkt des Weltgeschehens die Aufmerksamkeit zu verlagern.

Auch das ist Russland im Großen und Ganzen gelungen.

Wenn man Ihre Beschreibung der russischen Motive hört, erkennt man durchaus Ähnlichkeiten zur Krim-Krise.

Bei allem Bemühen Russlands, von der Krim-Krise abzulenken, zeigen sich beim Vorgehen in Syrien in der Tat gewisse Parallelen.

Das ist einmal die Frage der militärischen Positionierung Russlands, da spielte ja die Krim-Halbinsel und der Hafen Sewastopol eine wichtige Rolle, ebenso wie Syrien mit dem Hafen Tartus.

Jetzt baut Russland seine Stützpunkte in Syrien noch weiter aus - mit der neuen Luftwaffenbasis in Latakia und einer zweiten, die jetzt in der Nähe von Homs entstehen soll.

Welche Parallelen sehen Sie noch?

Die zweite Parallele zum Vorgehen auf der Krim ist die Historisierung, also der Rückgriff in die Geschichte. Bei der Krim wird bis ins 18. Jahrhundert zurückgegriffen, als die Halbinsel an Russland angeschlossen wurde.

Putin hat sie in seiner Rede nach der Krim-Annexion die Krim zum Tempelberg der russischen Geschichte hochstilisiert.

Und im Falle Syriens wird durchaus auch an die Zeit bis zurück zu Katharina der Großen erinnert, die damals in der Auseinandersetzung mit dem Osmanischen Reich eine russische Mittel-Ost-Politik auf den Weg gebracht hat.

Also eine Geschichtspolitik, in der die Geschichte instrumentalisiert wird, um heutige Interessen zu legitimieren?

Es wird aktuelle Außenpolitik historisiert, also mit geschichtlichen Argumenten unterfüttert. Und bezeichnenderweise ist bei dieser Historisierung ein maßgeblicher Akteur die Kirche, die offenbar eng mit dem Außenministerium zusammenarbeitet.

Geht es Putin auch darum, durch scheinbare außenpolitische Erfolge von innenpolitischen Problemen abzulenken?

Es sind natürlich Innen- und Außenpolitik eng miteinander verwoben. Die russische Bevölkerung äußert in Meinungsumfragen immer wieder die Sehnsucht nach einer sichtbaren Größe Russlands: Russland muss eine Großmacht sein, Russland muss sogar eine Supermacht sein - und das muss die Welt anerkennen.

Das ist offenbar - wenn man diesen Meinungsumfragen glauben will - eine fixe Position in der russischen Gesellschaft.

Und genau die bedient Putin mit außenpolitischen Kraftakten im Rückgriff auf vermeintliche historische Kontinuitäten - und hat damit auch innenpolitisch Erfolg.

Geht es Russland in Syrien überhaupt auch um den Kampf gegen die IS-Miliz? Oder ist das nur ein Vorwand, den Putin gewählt hat, weil das im Westen gut ankommt?

Vielleicht beides. Russland hat ja seinen Einsatz in Syrien tatsächlich mit diesem IS-Narrativ begründet. Putin hat vor diesem Einsatz auf verschiedenen Veranstaltungen immer wieder zum weltweiten Kampf gegen den IS aufgerufen.

Das hat natürlich erinnert an die Reaktion Russlands nach dem 11. September 2001, an den gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus.

Die ersten Einsätze im Oktober haben dann aber gezeigt, dass es nicht in erster Linie gegen die Terrormiliz IS ging, sondern eher andere Ziele angegriffen wurden - und es stellte sich heraus, dass es Putin eher darum ging, das amtierende Assad-Regime militärisch zu stützen.

Dann kam aber eine erneute Wende hin zur Bekämpfung des IS, nachdem das russische Flugzeug über dem Sinai abgeschossen wurde. Seitdem wird von Russland der gemeinsame weltweite Kampf gegen den IS wieder stärker propagiert.

Mit welchem Ziel?

Das ist natürlich auch der Versuch, sich wieder stärker in eine internationale Allianz gegen den Terrorismus einzubringen. Und das ist sicherlich nicht nur ein Vorwand, sondern Russland hat auch ein echtes eigenes Sicherheitsinteresse.

Putin hat erkannt, dass der IS tatsächlich eine Gefahr für die ganze Welt und nicht zuletzt auch für Russland selber darstellt. Im Moment wird in Russland darum gerungen, Klarheit darüber zu erhalten, wie viele junge Menschen aus Russland und dem post-sowjetischen Raum sich in diese Kampfzone begeben haben - und damit eine potentielle Bedrohung als Rückkehrer darstellen.

Da gibt es durchaus divergierende Zahlen, aber eines ist klar: Unter den ausländischen IS-Kämpfern sind einige tausend russische Staatsbürger - die Entwicklung betrifft Russland also ganz unmittelbar.

Aber die Unterstützung des Regimes um Assad erscheint daneben auch als wichtiges Kriegsziel?

Die Unterstützung der sogenannten legitimen Regierung, mit der als Person natürlich Assad gemeint ist, ist ein wichtiges Ziel Russlands, auch wenn bei dieser Person dem Westen eher das Schaudern kommt.

Hinter dieser Unterstützung steckt noch ein größerer Bogen, nämlich die klare russische Absage an eine Politik des Regimewechsels von Außen, die Legitimierung aller amtierenden Regierungen, unabhängig davon, ob sie demokratisch oder despotisch sind.

Auf den Erhalt der sogenannten legitimen Regierung zielt der Einsatz Russlands ab. Wie weit Moskau dabei auf Assad persönlich fixiert ist, das ist umstritten. Es gibt auch viele Analysten, die sagen, das Verhältnis zwischen Putin und Assad ist nicht gerade ein Liebesverhältnis.

Es ist so ähnlich, wie es zwischen Putin und Janukowitsch war. Ich glaube, Putin ist nicht unbedingt auf die Person des Herrn Assad fixiert, aber doch auf die sogenannte legitime Regierung in Syrien.

Dr. phil. Uwe Halbach ist Mitglied der Forschungsgruppe "Osteuropa und Eurasien" der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Zu seinen Forschungsgebieten gehören - neben Russland - Armenien, Aserbaidschan und Georgien sowie die Auseinandersetzung mit dem Politischen Islam und dem Islamismus.
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.