Laut jüngsten Umfragen liegt die SPD bundesweit nur noch gut sieben Prozentpunkte vor der AfD. Wie lange sich die Sozialdemokraten noch als Volkspartei betrachten können, lässt sich schwer einschätzen. Intern haben die Genossen ihren Sündenbock längst gefunden: Parteichef Sigmar Gabriel.

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Auch beim besten Willen ist die anhaltende Talfahrt der SPD inzwischen nicht mehr zu ignorieren. Die 20-Prozent-Marke rückt bedrohlich näher, seit die AfD bei den Landtagswahlen im März derart erfolgreich auftreten konnte.

In Baden-Württemberg, immerhin drittgrößtes Bundesland, spielen die Sozialdemokraten nur noch die vierte Geige. Dort diskutieren Grüne und Union inzwischen eifrig über ein gemeinsames Bündnis. Man muss nicht hellsehen können, um zu erkennen: Die Chancen für eine grün-schwarze Koalition stehen gut.

Doch für die SPD sind das nicht die einzigen schlechten Nachrichten. In der letzten Sonntagsumfrage von Infratest dimap lag sie nur noch bei 21 Prozent – zwei Punkte weniger als im Vormonat.

Die Krise der Partei wird immer mehr zur Krise des Parteivorsitzenden. Vizekanzler Sigmar Gabriel ist längst angezählt. Nur 39 Prozent der Befragten gaben in der Umfrage an, mit Gabriels Arbeit zufrieden zu sein.

Das entspricht fünf Prozent weniger als im Vormonat - der niedrigste Wert seit Beginn der Legislaturperiode. 52 Prozent gaben sogar an, im Hinblick auf Gabriels Auftreten weniger oder gar nicht zufrieden zu sein. Beliebtheit sieht anders aus.

Die AfD hat so viel Rückhalt wie noch nie

Dass Union und SPD an Unterstützung verlieren, liegt an der wachsenden Zustimmung zur AfD. Würde am Sonntag der Bundestag gewählt werden, könnten die Rechtspopulisten mit 14 Prozent Wählerstimmenanteil die drittstärkste Position einnehmen.

So viel Rückhalt für die aufstrebende neue Kraft gab es in der Bevölkerung noch nie. Vor allem im Osten spitzt sich die Situation für die Sozialdemokraten bedenklich zu: Hier liegt die Alternative für Deutschland teilweise deutlich vor der SPD. Warum nur kommt die Politik der SPD immer weniger gut an?

Gabriel trifft nicht die alleinige Schuld

Wer sich um den Fortbestand der SPD als Volkspartei sorgt, wird unweigerlich bei der Schuldfrage auf Sigmar Gabriel stoßen.

Immerhin manifestiert sich in der Eigendarstellung des 56-Jährigen wie bei keinem anderen SPD-Spitzenfunktionär der Eindruck einer politischen Alternativlosigkeit.

Wenn er etwa von der unumgehbaren Notwendigkeit des umstrittenen Freihandelsabkommens (TTIP) mit den USA spricht, gegen das Tausende Menschen immer wieder protestieren. Doch den Wirtschaftsminister als alleinigen Minusmacher an den Wahlurnen hinzustellen greift zu kurz.

Immer wieder wirft auch die scharfe Kritik der Vorsitzenden der Jusos, Johanna Uekermann, kein gutes Licht auf den inneren Zusammenhalt der Partei. Mal ging es um Gabriels Position zur Vorratsdatenspeicherung, mal um Asylrechtsverschärfung.

Uekermann findet angesichts des SPD-Abwärtstrends deutliche Worte an die Adresse des Parteivorsitzenden: "Was fehlt, ist die klare Linie. Was fehlt, ist Haltung und Mut. Themen-Hopping und Sprunghaftigkeit sind Gift für die SPD", sagte sie anlässlich des Bundeskongress der Jusos, dem Gabriel bewusst fernblieb.

In der "Welt" erneuerte Uekermann jüngst ihre Kritik: "Mit 21 Prozent sind wir an einem Punkt angelangt, wo jedem verbliebenen Sozi das Herz in die Hose rutschen sollte", erklärte die Chefin der Jungsozialisten. Sie erwarte, "dass die Parteiführung jetzt eine schonungslose Analyse zieht."

Mehr eigenes Profil wagen

Welche Fehler sich die Partei insgesamt eingestehen muss, darauf gibt es verschiedene Antworten. Marco Bülow, SPD-Bundestagsabgeordneter aus Dortmund, hat in einem Beitrag für das Wochenmagazin "Der Freitag" vor allem ein Versäumnis identifiziert.

"Die SPD wird gebraucht, wenn sie ein klares sozialdemokratisches Profil hat", formuliert er und ergänzt: "Wir müssen den 2009 begonnenen Erneuerungsprozess fortsetzen und selbstbewusst unsere Positionen zurückgewinnen".

Schließlich ist ja nicht so, als ob es gänzlich an Vertrauen fehlt. Auf Bundesebene hat SPD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier seinen guten Ruf sicher. In Rheinland-Pfalz ist es der sozialdemokratischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer mit ihrer selbstbestimmten Haltung und einer klaren inhaltlichen Linie gelungen, die Landtagswahl für sich zu entscheiden.

Und im Vergleich zu 2011 konnte sie den Stimmenanteil für ihre Partei sogar auf rund 37 Prozent ausbauen. Kann Dreyers Weg der klaren Kante also auch auf Bundesebene richtungsweisend sein?

Sich nicht als Dauerjuniorpartner einzurichten, sondern mehr Profil wagen und Mut zu Gegenpositionen zu beweisen, das sähen viele in der Partei gerne - allen voran die Jusos.

Neben der Umverteilungsfrage, dem klassischen Tätigkeitsfeld der SPD, gäbe es gerade im Bereich der sozialen Gerechtigkeit weiteren Diskussionsbedarf, der mehr Beachtung und eventuell neue Antworten verdienen würde. Beispielsweise beim Thema Rente oder eben TTIP.

Dass das Potential dazu am linken Politikspektrum vorhanden ist, soll selbst der amerikanische Schriftsteller Mark Twain gewusst haben. Ihm wird das Zitat zugeschrieben: "Die Linken entwickeln neue Ideen. Wenn sie abgenutzt sind, übernehmen sie die Rechten".

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