Die Polizei geht gegen mutmaßliche Islamisten in Nordrhein-Westfalen vor. Tags zuvor wurde bekannt, dass ein Asylbewerber in Rheinland-Pfalz wegen Terrorverdachts festgenommen worden war. Ist die Gefahr in Deutschland größer als gedacht? Antworten eines Polizei-Insiders.

Ein Interview

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Am frühen Mittwochmorgen rücken an verschiedenen Orten in Nordrhein-Westfalen Polizeieinheiten aus, um bei Razzien Beweismaterial gegen mutmaßliche Islamisten sicherzustellen. Ist es reiner Zufall, dass Deutschland bislang nicht Ziel eines großen islamistischen Anschlages war? Ist unsere Polizei wirklich Herr der Lage? Und welchen Zweck haben solche Razzien? Unsere Redaktion sprach mit dem Vizevorsitzenden der Polizeigewerkschaft GdP, Jörg Radek.

Herr Radek, Würzburg, Ansbach und jetzt die Festnahme wegen möglicher Anschlagspläne auf ein Bundesliga-Spiel - wie gefährdet ist Deutschland durch den islamistischen Terror?

Jörg Radek: Wir müssen sehr sauber trennen zwischen konkreten Anschlägen, bei denen die Ermittlungen deutlich auf islamistische Hintergründe hinweisen und den aktuellen Razzien in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Diese zeigen, dass unsere Sicherheitsbehörden sehr gut zusammenarbeiten. Dass wir im Vorfeld in der Lage sind, Straftaten zu verhindern, dass jemand, der eine Tat vorbereiten will, dabei gestört wird. Deshalb kam es zu diesen Festnahmen und Razzien.

Die Razzien dienen der Prävention?

Sie sind in erster Linie ein Ergebnis polizeilicher Ermittlungsarbeit. Und sie sind ein Zeichen in Richtung der Szene: Wir haben euch im Blick, wir wissen, was ihr tut.

Ist es nicht so, dass potentielle islamistische Terroristen wenig kümmert, was westliche Sicherheitsbehörden ihnen zu sagen haben?

Wir haben im Zusammenhang mit dem Terror des sogenannten Islamischen Staates einiges lernen müssen, etwa was die Instrumentalisierung von Einzeltätern anbelangt. Da gibt es kein einheitliches Muster. Unser Staat muss aber zeigen, dass wir handlungsfähig sind.

In Würzburg und Ansbach gab es aber Verletzte. Wie hat sich Deutschland bislang vor Terroranschlägen geschützt? Anders gefragt: Spielt nicht auch der Zufall eine Rolle?

Wir sind drauf angewiesen, dass wir in einem internationalen Netzwerk Informationen bekommen, um diese auszuwerten. Manchmal spielt der Zufall eine Rolle. Wir können nur so gut ermitteln, wie gut unsere Informationen sind. Da sind die Sicherheitsbehörden in Deutschland gut aufgestellt.

Ist der Amoklauf von München ein Beispiel dafür, wie gut unsere Sicherheitsbehörden vernetzt sind?

Der Amoklauf von München hat vor allem bewiesen, dass die Polizei nach einer Chaosphase die Lage beherrscht hat. Die Polizei muss sich anfangs einen Überblick verschaffen: Wie viele Täter sind es, wie sind diese ausgestattet. Parallel muss sie reagieren: Menschen evakuieren oder zum Beispiel Straßensperren errichten. München hat gezeigt, wie gut die Koordination zwischen den deutschen Spezialkräften funktioniert, auch ohne die Bundeswehr.

Beim Thema Bundeswehr klingen Sie reserviert?

Ich habe da eine klare Haltung. Der Einsatz der Bundeswehr in München hätte ein erhebliches Problem bedeutet. Feldjäger haben über Privatpersonen keine Befugnis, sie können Straßensperren errichten, die Kontrolle unterliegt aber wieder der Polizei. Bis heute ist unklar, unter welcher Voraussetzung die Bundeswehr in München angefordert worden wäre. Voraussetzungen sind gemäß der Verfassung innere Unruhen, Gewalttaten aber sind verfassungsmäßig keine inneren Unruhen.

Polizisten in Mannschaftstransportern, die Seitentüren geöffnet, der erste Beamte mit der Maschinenpistole im Anschlag – die Szenen in München waren sehr erschreckend.

Umgekehrt ist es nicht gut in Echtzeit vermeintliche Erkenntnisse durch soziale Netzwerke zu beschleunigen. Das trägt eher zur Verunsicherung bei. Sicherlich ist Deutschland durch die Beteiligung am Kampf gegen den IS und als große Industrienation im Fadenkreuz des Terrorismus. Darauf müssen wir uns einstellen, aber mit Augenmaß. Auch die Bürger. Sie sollten aufmerksam bleiben, aber nicht hysterisch werden.

Die Schießerei in München erwies sich als Amoklauf. Einen islamistisch motivierten Anschlag dieses Ausmaßes gab es bisher nicht - reiner Zufall?

Polizeiliches Handeln setzt rechtsstaatliches Handeln voraus. Wir können ja nicht alle Flüchtlingsheime nach mutmaßlichen IS-Kriegern durchsuchen. Wir brauchen einen Anlass. Das schließt die Brücke zu den Razzien jetzt, hier gibt es Anhaltspunkte und wir zeigen, dass wir im Rahmen der Gesetze reagieren können.

Kann am Zufallsfaktor überhaupt was geändert werden?

Eine Tat beginnt damit, dass ich mich gedanklich damit auseinandersetze. Wer sich wie radikalisiert, da stoßen wir oft an unsere Grenzen. Hier ist die Gesellschaft gefragt. Das Umfeld muss auf denjenigen zugehen. Die Polizei kann erst bei einem konkreten Hinweis handeln. Zum Beispiel, wenn jemand in einem Nebensatz äußert, dass er eine Straftat plant.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière sagte mit Blick auf Vorschläge der Unions-Innenminister zu schärferen Sicherheitsmaßnahmen, dass er nicht mit allem einverstanden sei. Was planen die Länder?

Was aus dem Forderungskatalog bekannt geworden ist, muss diskutiert werden. Es handelt sich offensichtlich um ein Brainstorming, nun müssen wir schauen, was sich konkret als Maßnahmenkatalog umsetzen lässt.

Sie hatten in einem Fernsehinterview kritisiert, die Beamten seien zu ihrem eigenen Schutz nicht hinreichend ausgestattet – zum Beispiel fehlten Schutzwesten.

Der Forderungskatalog spricht davon, dass die Polizeien mehr Personal bekommen sollen. Sie dürfen aber nicht gleichzeitig mit noch mehr Aufgaben belegt werden. Wir begrüßen, dass die Kollegen mit Langwaffen ausgerüstet werden sollen. Die Ausstattung muss der Bedrohung der Beamten gerecht werden, es braucht Körperschutz, der einem Waffenbeschuss standhält.

Was verstehen Sie unter Langwaffen?

Die Anschläge von Paris im Januar 2015 haben gezeigt: Mit der üblichen Maschinenpistole MP5 und den üblichen Polizeipistolen, zum Beispiel vom Typ P 30, können Täter nicht auf Distanzen von mehreren hunderten Metern bekämpft werden.

Auch ohne Langwaffen – hat die Polizei die Situation im Griff?

Wir haben die Lage im Griff. Aber wir haben aktuell einen sehr hohen Krankenstand und eine sehr hohe Überstundenquote. Wenn keine Entlastung eintritt, nagt das an der Substanz der Kollegen und das wirkt sich auf ihre Arbeit aus.

Jörg Radek ist der Vizevorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Der 56-jährige Polizeihauptkommissar ist seit 1978 im GdP, in dessen Bundesvorstand er mittlerweile unter anderem für die Beamtenpolitik und das Besoldungsrecht zuständig ist. Radek gilt als Ansprechpartner für die Medien als sehr firm auch zum Thema Terrorgefahr.
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