Mauro Icardi kann momentan wohl als der meistgehasste Fußball-Profi Europas bezeichnet werden. Das Ungewöhnliche daran ist: Die massive Abneigung schlägt dem Kapitän von Inter Mailand von den eigenen Fans entgegen und droht nun zu eskalieren. Grund dafür ist eine Aussage in der Biografie des 23-Jährigen.

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In der Fußball-Bundesliga wird gerade der Augsburger Profi Georg Teigl von Teilen der eigenen Fans gemobbt. Ein unschöner Fall, aber relativ harmlos, gemessen an dem Hass, der Mauro Icardi nun bei Inter Mailand entgegenschlägt.

Icardi ist Kapitän des italienischen Traditionsklubs. In der Regel genießen Spielführer aufgrund ihres Charismas und ihrer sportlichen Bedeutung für den Verein bei den eigenen Fans eine entsprechende Wertschätzung. Nicht so Mauro Icardi.

Der Mittelstürmer aus Argentinien war im Sommer 2013 von UC Sampdoria aus Genua nach Mailand gewechselt. Doch schon in diesem Jahr standen die Zeichen wieder auf Abschied. Icardi hatte mittlerweile zwar das ehren- und verantwortungsvolle Amt des Mannschaftskapitäns inne, doch mit der Identifikation schien es nicht weit her zu sein.

Icardi liebäugelte mit Abschied

Er sei damals aus Genua zu Inter Mailand gewechselt, um in der Champions League spielen zu können, hatte Icardi noch im Frühjahr erklärt. Sollte sich Inter aber nicht für die "Königsklasse" qualifizieren, wäre er offen für einen Abschied. "Sollten andere Offerten vorliegen, müssen wir uns darüber mit dem Klub unterhalten", so Icardi damals im Interview mit "Mediaset".

Bei Inters Fans, allen voran den Ultras von "Boys S.A.N", kamen solche Aussagen gar nicht gut an. Schließlich gilt bei ihnen mehr denn je im Fußball das Motto: "In guten wie in schlechten Zeiten." Opportunistische Fußball-Söldner sind den Fans ein Dorn im Auge. Vor allem, wenn sie als Kapitän eine wichtige Rolle im Mannschaftsgefüge spielen und auch als Repräsentant des Vereins nach außen wahrgenommen werden.

Nun war deshalb das Tischtuch zwischen Inters Anhängerschaft und dem 23-jährigen Argentinier zwar noch nicht zerrissen. Angespannt blieb es aber auch nach Icardis überraschender Vertragsverlängerung. Eine spontane Kehrtwende im Poker, die Icardi mit kolportierten fünf Millionen Euro Jahresgehalt umgehend zum absoluten Topverdiener der "Nerazzurri" aufsteigen ließ. Alles also wieder gut? Von wegen!

Der Funke im Pulverfass hatte sich in der Biografie Icardis entzündet, die kürzlich erschienen war. Darin hatte der Argentinier ausgerechnet die einflussreichen Inter-Ultras attackiert und sie als "einschüchternde Gestalten, die sich um den Klub herumbewegen" beschrieben. Den Grund für Icardis Unmut beschreibt er ebenfalls in seiner Biografie.

Eklat vor Fanblock von Inter Mailand

Nach der 1:3-Niederlage gegen US Sassuolo im Februar 2015, bei dem Icardi den einzigen Inter-Treffer beigesteuert hatte, war es seiner Darstellung nach vor dem Mailänder Fanblock zum Eklat gekommen.

Er und Teamkollege Fredy Guarin seien die einzigen Profis gewesen, die bereit gewesen waren, sich nach Abpfiff den eigenen wütenden Fans zu stellen, schreibt Mauro Icardi. Aus dem Fanblock habe es "Beschimpfungen jeglicher Art" gehagelt. Icardi habe dort auch ein Kind entdeckt, das sein Trikot haben wollte. Er habe ihm Hemd und Hose geschenkt und "das Kind war im siebten Himmel". Doch dann sei ein Ultra zu dem Kind gegangen und habe ihm das Trikot entrissen, um es Icardi zurückzuwerfen.

Icardi ließ die Aktion nicht unkommentiert: "Das war der Moment, in dem ich anfing, ihn zu beschimpfen", erzählt er in seiner Biografie über den Ultra. "Du Stück Sch... machst hier vor der Kurve einen auf wichtig. Denkst wohl, du bist ein ganz Harter?", habe er dem Ultra an den Kopf geworfen. "In der Kabine wurde ich als Held gefeiert, weil sich nie zuvor jemand getraut hatte, sich mit einem Anführer der Fans anzulegen."

Und das tut Icardi nun auch in seiner Biografie, in der er den Ultras droht. "Ich bin bereit, mich jedem einzelnen zu stellen. Vielleicht wissen sie nicht, dass ich in dem Viertel mit Südamerikas höchster Kriminalitätsrate aufgewachsen bin", so Icardi. Er könne jederzeit die Unterstützung tatkräftiger Krimineller aus Argentinien anfordern. Leute, die auch bereit seien zu töten.

"Nimm die Binde ab, du Clown!"

Die Ultras von Inter Mailand werten diese Ankündigung als Kriegserklärung. Im ersten Heimspiel nach der jüngsten Vertragsverlängerung wurde Mauro Icardi aufs Übelste beschimpft. Zudem erklärte die Curva Nord, Heimat des harten Kerns: "Er spricht darüber, kleinen Kindern zu helfen, spricht über Dinge, die sich so nie abgespielt haben, nur um sich über uns zu stellen. Dabei sind wir die einzige Kurve, die ihre Choreos zusammen mit Kindern durchführt." Icardi missbrauche Kinder, um den Fans ins Gesicht zu schlagen. Icardi sei kein Mann, kein Kapitän, sondern nur ein "feiges Stück Sch...", lautete die Botschaft. In einer öffentlichen Stellungnahme hatten die "Boys S.A.N." bereits vor dem Spiel gefordert: "Wir sind fertig mit dir. Du bist erledigt! Nimm die Binde ab, du Clown!"

Dass Inter das Spiel gegen Cagliari mit 1:2 verlor und Icardi in der 26. Minute schon seinen dritten von vier Elfmetern in Folge verschoss, verbessert das vergiftete Verhältnis zu den Fans nicht gerade. Nach der Partie, so berichtet die "Gazzetta dello Sport", hätten einige Ultras dem Profi sogar noch einen "Hausbesuch" abgestattet und vor Icardis Haus ein Banner mit der Drohung entrollt: "Gib uns Bescheid, wenn deine argentinischen Freunde kommen - wir sind da!"

Der Fall dürfte nicht nur das Problem von Icardi und den Ultras bleiben. Nach der jüngsten Eskalation hat nun auch ganz offensichtlich der Verein ein Problem. Icardi ist den einflussreichen Ultras kaum mehr zu vermitteln. Nicht als Spieler und als Kapitän schon gar nicht. Es wird interessant sein, zu beobachten, wie Inter Mailand versuchen wird, diesen Gordischen Knoten zu lösen. Schließlich hat der Torjäger soeben erst seinen Arbeitsvertrag bis 2021 verlängert. Muss man ihn nun loswerden, werden mögliche Interessenten die Situation ausnutzen und die Ablöse massiv drücken.

Inters Vize-Präsident und Klub-Legende Javier Zanetti bestätigte bereits, dass man dem Streit nicht tatenlos zusehen werde. "Ob wir handeln werden? Leider ja", so Zanetti bei "Mediaset". Die Fans seien schließlich das Wichtigste im Verein. "Wir können so ein Verhalten von einem unserer Angestellten nicht akzeptieren." Man werde sich nun zusammensetzen und die Sache besprechen. Auch das Kapitänsamt für Icardi sei auf dem Prüfstand, so Zanetti. "Das Verhalten muss mit der Leitlinie des Klubs in Einklang liegen."

Icardi mit Friedensangebot an die Fans

Icardi, das wird deutlich, hat die Tragweite der Aussagen in seiner Biografie völlig unterschätzt und versucht nun, das zerschlagene Porzellan wieder zu kitten. Er habe nur die Hitzigkeit und angespannte Atmosphäre bei dem Zwischenfall schildern wollen, versucht es der 23-Jährige mit einer Entschuldigung bei Instagram.

Es sei damals viel Adrenalin im Spiel gewesen und unanständige Wörter seien gefallen. Auch die Ankündigung, Auftragsmörder aus Argentinien zu bestellen, habe sich nur gegen Hooligans gerichtet, die ihn bedroht hätten, nicht aber gegen die Curva Nord an sich. "Ich hätte das nicht tun sollen." Er sei schwer enttäuscht, so Icardi weiter. Enttäuscht über das entstandene Chaos. "Hätte ich auch nur ein wenig Hirn in meinem Schädel, hätte ich es niemals riskiert, die Curva zu beleidigen."

Icardi hebt die enorme Bedeutung der Ultras für die Stimmung im Stadion und deren Empathie für den Verein hervor. Die Kapitänsbinde bedeute ihm sehr viel, es sei ein Kindheitstraum, sie zu tragen. Es bleibt abzuwarten, ob die Curva Nord und allen voran die "Boys S.A.N." dieses Friedensangebot annehmen werden.

Unter moderaten Fans ist die Meinung geteilt, wer denn die Verantwortung an der Eskalation trägt. Die einen beschuldigen die Ultras, den Bogen überspannt zu haben. Andere kritisieren den Spieler. Tenor: Das kommt davon, wenn ein 23-Jähriger eine Biografie veröffentlicht.

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