- Der Bundeskanzler geht davon aus, dass Maßnahmen gegen Energieknappheit auch über den Winter hinaus notwendig sein werden.
- Der Chef der Bundesnetzagentur sagt, Gas bleibe teurer, auch wenn es keine Notlage geben sollte.
- Auf Familien könnten demnach große Mehrbelastungen zukommen.
Bundeskanzler
Es ist nicht die erste Warnung von Scholz in dieser Woche. Am vergangenen Montag hatte er die Bürger bereits auf eine lang anhaltende Krise mit hohen Preisen eingestimmt. Ähnlich äußerte sich auch Bundesnetzagentur-Chef Klaus Müller. "Auch wenn wir in keine Gasnotlage kommen, bleibt das Gas teuer", sagte Müller dem Nachrichtenmagazin "Focus".
Bundesnetzagentur: Deutschland droht "Gas-Armut"
Dabei seien die Folgen der aktuellen Gasknappheit preislich bei den Verbrauchern noch gar nicht angekommen. "Das kann für eine Familie schnell eine Mehrbelastung von 2000 bis 3000 Euro im Jahr bedeuten. Da ist die nächste Urlaubsreise oder die neue Waschmaschine dann oft nicht mehr drin." Deutschland drohe eine "Gas-Armut".
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, warnte vor einer "sozialen Zerreißprobe". Bewegungen wie die Gelbwesten in Frankreich seien auch in Deutschland möglich, sagte Fratzscher dem "Handelsblatt". "Die gegenwärtige Krise könnte der letzte Tropfen sein, der das Fass der zunehmenden sozialen Spaltung zum Überlaufen bringt." Der DIW-Chef forderte höhere Löhne und eine dauerhafte Anhebung der Sozialleistungen. Die Politik sollte nicht versuchen, "mit Placebos wie Einmalzahlungen Menschen ruhig zu stellen".
Linken-Chef: Nicht auf "Verzichtspropaganda" hereinfallen
Linke-Parteichef
Finanziert werden solle dies durch eine Übergewinnsteuer. Appellen zum Energiesparen erteilte Schirdewan eine Absage. "Ich rate den Leuten, nicht auf die Verzichtspropaganda hereinzufallen", sagte er. "Es kann nicht darum gehen, weniger zu heizen oder kälter zu duschen."
Bundesregierung könnte letzte Stufe im "Notfallplan Gas" ausrufen
Netzagentur-Chef Müller erneuerte dagegen mit Blick auf eine drohende Mangellage in Herbst und Winter den Aufruf, Energie und damit Gas zu sparen. "Jede noch so kleine Maßnahme zählt", sagte er dem "Focus". "Ich verstehe, dass da manche jetzt drüber lachen. Wenn sie die nächste Gasrechnung bekommen, wird ihnen das Lachen aber vergehen."
Sollte die Bundesregierung die dritte und letzte Stufe im "Notfallplan Gas" ausrufen, agiert die Bundesnetzagentur als Bundeslastverteiler - sie entscheidet also, wer wie viel Gas bekommt. Sogenannte geschützte Kunden, darunter auch private Haushalte, haben dann Vorrang. Viele Unternehmen, etwa in der Industrie, erhalten dann aber möglicherweise kein Gas mehr. "Wer nicht aus Solidarität oder im Sinne des Klimaschutzes Gas sparen will, sollte an die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes denken", sagte Müller.
Mögliche Engpässe bei Unternehmen
Verschärft wird die Debatte durch die Angst um ein Ende der Gaslieferungen aus Russland. Am Montag (11. Juli) sollen jährliche Wartungsarbeiten an der Ostseepipeline Nord Stream 1 beginnen, die in der Regel zehn Tage dauern. Die große Sorge ist, dass Russland nach der Wartung den Gashahn nicht wieder aufdreht. Das wäre der "Supergau", sagte Peter Adrian, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), der Deutschen Presse-Agentur (dpa). "Viele Betriebe müssten ohne Gas-Bezug ihre Produktion einstellen. Wenn dieser Fall eintritt, dann befürchte ich ganz klar eine Rezession."
Hinzu käme das Problem von Engpässen, so Adrian weiter. Es gebe Firmen, die beispielsweise zur Herstellung von Schläuchen für Dialysegeräte Gas bräuchten. "Aus den bisherigen Informationen wissen diese Unternehmen nicht, was mit ihnen passiert. Aber wenn solchen Betrieben im Winter der Gashahn zugedreht wird, dann werden wir auch in der Gesundheitsversorgung sehr schnell Engpässe erleben. Es gibt Tausende solcher Beispiele, wo Wechselwirkungen oder mögliche Kettenreaktionen im Vorhinein nicht richtig bedacht werden können."
Scholz: Deutschland gut vorbereitet
Bundeskanzler Scholz betonte am Samstag in seiner Botschaft, die Bundesregierung habe bereits binnen kurzer Zeit viele Entscheidungen getroffen, damit Deutschland gut vorbereitet sei "auf Mangellagen, etwa wenn es um Gas geht". Er sagte: "Wir bauen Pipelines, Flüssiggasterminals. Wir sorgen dafür, dass eingespeichert wird in unsere Gasspeicher. Und wir sorgen dafür, dass jetzt Kohlekraftwerke genutzt werden, damit wir Gas sparen."
Auf lange Sicht werde es aber darum gehen, unabhängig zu werden vom Import von Öl, Kohle und Gas und den Anteil der erneuerbaren Energien auszubauen. "Das machen wir mit vielen Gesetzen, die gerade in dieser Woche beschlossen worden sind, sagte der Kanzler. Dies geschehe in einem Tempo, "wie es bisher noch nicht in Deutschland gesehen worden ist, und das ist notwendig." (dpa/okb)
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