Sie tanzen aus der Reihe. Für ihren Kleidungsstil wurden der neue griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras und sein Finanzminister Gianis Varoufakis belächelt. Mit ihrem freundlichen Lächeln konnten sie ihrerseits bislang aber keinen so recht überzeugen. In Brüssel und in Berlin hat man ihnen die kalte Schulter gezeigt. Dennoch sind beide nicht zu unterschätzen.

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Keine Frage, die ersten Amtstage für Alexis Tsipras haben Spuren hinterlassen. Seine Schultern hängen etwas tiefer, er wirkt müder. Kein Wunder, denn der Syriza-Chef muss in einem Kraftakt versuchen, in Europa endlich mit seinen Plänen für ein besseres Griechenland auf offene Ohren zu stoßen. Körpersprachenexperte Norman Ruch liest daraus eine ganze Menge. Der gebürtige Heidelberger hat schon die Gestik und Mimik von Menschen wie Wladimir Putin entschlüsselt. Für ihn zeigen die neuen Führungsfiguren aus Athen ein klares Bild.

Tsipras' Lächeln wirkt nicht echt

Noch lächelt der junge Syriza-Chef - auch bei der Begegnung mit der EU-Spitze in Brüssel. "Aber es wirkt nicht echt", sagt Ruch. Jean-Claude Juncker war bei der Zusammenkunft der deutlich überlegenere gewesen. Väterlich, aber auch dominant nahm er die Hand des neuen Staatschefs und führte ihn in seine Büros. Tsipras "sucht den Kontakt", erklärt der Körpersprachentrainer. Nach dem Motto "erst lächeln, dann feilschen", versuche er, seinen Gegenpart für sich einzunehmen. Doch bei dem 60-jährigen Kommissionspräsidenten war der 20 Jahre jüngere Grieche der deutlich Unterlegene. "Man hat ihm die Stirn geboten", so Ruch.

Dennoch erwartet der Buchautor noch viel von dem aufstrebenden Mann aus Athen: Mit seinem legeren Kleidungsstil unterstreiche er seine Jugend und demonstriere damit "Hemdsärmlichkeit". "Krawatte weg bedeutet auch immer weg von den Konventionen", erklärt Ruch. Dennoch bewahre er sich eine gewisse Seriosität: "Denn sein Hemd ist immer bis oben zugeknöpft."

Ganz im Gegensatz zu seinem Finanzminister, Gianis Varoufakis. Der ist schon nach den ersten Tagen im Amt berühmt für seine Lederjacke, auf Pressekonferenzen tritt er für gewöhnlich in nicht eingesteckten Hemden auf, die er gerne auch mal einen Knopf weit offenstehen lässt. Ruch interpretiert Varoufakis' offene Hemdskragen sogar als "Provokation an Europa" - an das er "ran" wolle.

Das Duo bleibt seinem eigenen Stil treu

Für beide - Tsipras wie Varoufakis - ist der Kleidungsstil an eine politische Botschaft geknüpft: Damit signalisierten sie, so Sommer, eine "klare Abgrenzung zum Establishment, zur verhassten griechischen Kaste", die die Hellenen für die Krise verantwortlich machen, erklärt Soziologe Moritz Sommer vom Institut für Soziologie an der Freien Universität Berlin. "Wenn er sich schicker kleiden würde, würde das als Rückkehr in alte Muster gesehen werden." Zudem seien beide schon während des Wahlkampfs in "unkonventioneller Kleidung" aufgetreten - somit blieben sie nur ihrem eigenen Stil treu.

Der mag auf manchen provokant wirken. Doch bei den Griechen scheint er gut anzukommen. Während bei der Wahl am 25. Januar gut ein Drittel der Hellenen für Syriza stimmten, sind nach einer jüngsten Umfrage mehr als 70 Prozent von der neuen Regierung überzeugt. Doch damit steigt auch der Erwartungsdruck an das Duo auf Europatour.

Dort legt zumindest Varoufakis ein teils ungewöhnliches Verhalten an den Tag: Betont lässig lief er etwa bei dem Besuch von Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem zu seinem Platz. Ähnlich verhielt er sich bei der jüngsten Begegnung mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. "Eine ungewöhnliche Geste", so Sommer. Eine, die "von vielen als unfreundlich" wahrgenommen worden sei.

Nichtsdestotrotz dürfe man Varoufakis nicht unterschätzen, warnt Ruch. Der Blick des Ökonomen sei "weltmännisch" und "immer konzentriert". Der Körpersprachenexperte hält ihn deshalb für sehr "intelligent". "Er ist jemand, der nachdenkt, der einen Plan in der Tasche hat", vermutet Ruch. Mit offenen Gesten wendet sich Varoufakis dem Publikum zu, halte einen "professionellen Abstand zum Mikrofon": Sowohl Tsipras als auch Varoufakis seien beide sehr "medienbewusst" und wüssten dies für sich zu nutzen.

Offene Hemden hin oder her - Ruch ist sich sicher: "Europa muss sich warm anziehen". Denn die beiden Männer, auf die momentan ganz Europa blickt, sind bereit, Konventionen über den Haufen zu werfen.

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