Landwirtschaftsminister Christian Schmidt hat nicht nur mit dafür gesorgt, dass das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat EU-weit für weitere fünf Jahre auf dem Markt bleibt. Er hat mit seinem Votum auch Gespräch zu einer neuen GroKo schwer belastet. Der Eklat fällt unweigerlich auf die Kanzlerin zurück, Merkels Autorität nimmt Schaden.
Während in den Soziale Medien ein Sturm der Entrüstung gegen Christian Schmidts Solo-Entscheidung tobt und aus der SPD bereits Forderungen artikuliert werden, mit deren Erfüllung die CDU den angerichteten Schaden kompensieren solle – reagiert die Kanzlerin auffällig verhalten.
Affront gegen die SPD - und gegen Merkel
"Das entsprach nicht der Weisungslage, die von der Bundesregierung ausgearbeitet war", sagte
Dabei war es ein Alleingang der CSU, dessen Tragweite hinausreicht über die umweltpolitische Bedeutung des Themas und für die Bildung einer neuen Regierung geradezu zerstörerischer Kraft entfesselt.
Es war ein Affront nicht nur gegen die SPD, sondern auch gegen Merkel selbst.
Die Erwartungen an eine Reaktion der Kanzlerin reichten von scharfer öffentlicher Zurechtweisung des Landwirtschaftsministers bis hin zur Entlassung.
Stattdessen beließ es Merkel bei einem harmlosen Rüffel für Schmidt. Man könnte auch sagen: Merkel musste es dabei belassen, um in einem unruhigen politischen Klima nicht auch noch eine Front mit der Schwesterpartei CSU zu eröffnen.
In der Konsequenz bedeute dies allerdings: Der Kanzlerin waren die Hände gebunden. Ihre Autorität reichte nicht für eine angemessene Reaktion auf Schmidts dreistes Solo.
Olaf Scholz sieht "eklatante Führungsschwäche"
SPD-Vize
Aus der SPD werden Forderungen laut, die Union müsse das von Schmidt ausgelöste Glyphosat-Debakel mit einem Zugeständnis an die Sozialdemokraten kompensieren.
Der konservative Seeheimer Kreis in der SPD fordert bereits, die CDU solle einen Gesetzesentwurf von Arbeitsministerin Nahles annehmen, der ein Rückkehrrecht von Teilzeit- in Vollbeschäftigung garantieren soll.
Mit einem Ja zu diesem Vorhaben, am besten noch vor dem SPD-Parteitag in der kommenden Woche, könne Merkel verlorenes Vertrauen nach dem Glyphosat-Eklat wieder herstellen.
Vorher hatte schon Carsten Schneider, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, am Dienstagnachmittag die Autorität der Kanzlerin deutlich bezweifelt: "Ihre Glaubwürdigkeit steht in Frage."
Kritik an der Kanzlerin und Zweifel an ihrer Durchsetzungsfähigkeit, gepaart mit SPD-Forderungen, denen die Union nicht ohne weitere interne Querelen zustimmen kann – all dies sind denkbar schlechte Voraussetzungen für die Gespräche über eine neue Große Koalition, die von einem Treffen am Donnerstag bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eingeleitet werden sollen.
Politologe: Schmidts Vorgehen war "eine bewusste Maßnahme"
Der Dresdner Politologie-Professor Werner Patzelt mag da nicht an Zufall glauben. "Mir scheint, dass das eine bewusste Maßnahme war", sagt Patzelt im Gespräch mit unserem Portal.
Die Aktion von Landwirtschaftsminister Christian Schmidt, für die europaweite Zulassung von Glyphosat zu stimmen und dafür sogar die Geschäftsordnung der Bundesregierung zu ignorieren, sei ein Signal an die bayrische Wählerschaft und vor allem die bayrischen Landwirte gewesen.
"Die CSU hat im nächsten Jahr eine für sie überlebenswichtige Landtagswahl. Da sollte Schmidts Vorgehen ein deutliches Zeichen setzen, dass sich die Partei nicht auf der Nase herumtanzen lässt."
Die CSU, so Patzelt, habe im vergangenen Wahlkampf und auch bei den anschließenden Sondierungsverhandlungen immer wieder "Demütigungen" hinnehmen müssen.
Vor allem die Tatsache, dass Angela Merkel vor der Bundestagswahl eine Obergrenze in der Flüchtlingsfrage nicht akzeptiert habe, hätte die CSU in Bayern Stimmen gekostet.
"Das stärkte die Konkurrenz von rechts, also die AfD", sagt Patzelt. Im für die CSU schlimmsten Fall könne die Partei bei den Wahlen im September nächsten Jahres deutlich unter 40 Prozent fallen.
"Merkel ist am Ende ihrer Laufbahn angelangt"
Wenn das geschehe, "dann ist die Zeit der CSU dahin", meint der Politologe. Aus Sicht der CSU setze daher nicht der Agrarminister den Zusammenhalt der Union aufs Spiel, sondern die Taktik der Kanzlerin: "Die CSU kann sich in den Gesprächen über eine große Koalition unmöglich ein weiteres Mal demütigen lassen."
Patzelt ist der Ansicht, Angela Merkel habe nicht erst mit der Glyphosat-Affäre die Kontrolle über anstehende Fragen verloren: "Die Autorität der Kanzlerin ist schon seit der Wahlniederlage geschwächt." Sie sei "definitiv am Ende ihrer Laufbahn angelangt."
Angela Merkel brauche die Große Koalition vor allem, um sich selbst abzusichern. "Eine Minderheitsregierung will sie auf Gedeih und Verderb vermeiden, weil sie in einer solchen Konstellation noch deutlicher an Macht verlieren würde."
Mit Blick auf dieses Vorhaben, hat ihr die bayrische "Schwester" mit ihrem Alleingang nun aber einen Bärendienst erwiesen.
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