Emmanuel Macron wollte einen Befreiungsschlag - doch mit der Ausrufung von Neuwahlen hat er sich und seinem Land eine schwere politische Krise eingehandelt. "Frankreich befindet sich in der verworrensten und gefährlichsten politischen Lage seit Jahrzehnten", sagt ein Experte. Das hinterlässt auch auf internationaler Bühne Spuren.

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Seinen Auftritt bei den Olympischen Spielen in Paris hatte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sich vermutlich anders vorgestellt. Frankreich sollte auf der Weltbühne glänzen, angefangen mit einer Schau der Superlative auf der Seine mit mehr als 100 Staats- und Regierungschefs im Publikum, bis hin zu einem französischen Medaillenregen. Und dieser Glanz hätte auch auf den Präsidenten abstrahlen sollen.

Das war zumindest die Idee.

Doch nun hat Macron sein Land in eine politische Sackgasse manövriert: Die Regierung ist nur noch auf Abruf im Amt und weitgehend handlungsunfähig, die Nationalversammlung heillos zerstritten und blockiert, und eine Regierungskoalition ist nicht absehbar. Dabei muss die Frankreich bis zum Oktober einen neuen Haushalt vorlegen und riskiert zudem ein EU-Strafverfahren wegen der aus dem Ruder laufenden Staatsfinanzen.

Und all dies, weil Macron nach dem Wahlsieg der Rechtspopulisten bei der Europawahl symbolisch mit der Faust auf den Tisch geschlagen und - ohne Not - die Nationalversammlung aufgelöst hat. Seit der zweiten Runde der Neuwahlen hat kein politisches Lager dort eine Mehrheit.

Regierung ist zurückgetreten, aber noch im Amt

"Frankreich befindet sich in der verworrensten und gefährlichsten politischen Lage seit Jahrzehnten", resümiert der Politologe Mujtaba Rahman von der Denkfabrik Eurasia Group.

Die Regierung ist Mitte Juli offiziell zurückgetreten - aber sie soll mindestens bis nach den Olympischen Spielen "geschäftsführend" im Amt bleiben. Das wären vier Wochen. Es könnte sich aber auch noch länger hinziehen, da Macron die Ernennung eines Premierministers vom Stand der Verhandlungen zwischen den Fraktionen abhängig gemacht hat.

Bisher waren geschäftsführende Regierungen in Frankreich höchstens ein paar Tage lang übergangsweise im Amt. Tatsächlich sind die Umstände der Ernennung des Premierministers in der Verfassung nicht klar geregelt.

Verfassungsjuristen sehen Macrons Spielen auf Zeit mit Sorge. "Er schafft damit einen Präzedenzfall, der von einem autoritärem Amtsinhaber ausgenutzt werden könnte", warnt die Expertin Mathilde Philip von der Universität Lyon.

"Es ist klar, dass Macron aus der vorgezogenen Neuwahl als Verlierer hervorgegangen ist."

Marc Ringel, Deutsch-Französisches Institut

"Verwunderte" Partner in Deutschland

In Deutschland stoße die politische Krise im Nachbarland vor allem auf "Verwunderung, wie wenig Kompromissbereitschaft da ist", meint Marc Ringel vom Deutsch-Französischen Institut (dfi) in Ludwigsburg. Dies erkläre sich vor allem dadurch, dass das Mehrheitswahlrecht in Frankreich traditionell stabile Mehrheiten hervorgebracht hat und Kompromisse daher nicht nötig gewesen seien.

"Es ist klar, dass Macron aus der vorgezogenen Neuwahl als Verlierer hervorgegangen ist", meint Ringel. Da seine verbleibende Amtszeit nur noch zwei Jahre betrage und er nicht wieder kandidieren könne, sei er nun "angezählt".

Dies habe zwar wenig Auswirkungen auf das deutsch-französische Verhältnis, wohl aber auf Macrons internationale Stellung. "In der EU war Frankreich bislang eine starke Stimme", erklärt er. Nun bestehe die Gefahr, dass Frankreich in Brüssel "nicht sprechfähig" sei, wenn in der nächsten Regierung etwa Minister sitzen, die von Macrons Linie erheblich abweichen.

Linke bleibt bisher vereint gegenüber Macron

Ähnlich wie in Deutschland die FDP könnten relativ kleine Gruppen in der Nationalversammlung zu "Königsmachern" werden und dadurch mehr Einfluss bekommen, als es ihrem Stimmanteil entspricht. Zudem könnten sie sich ihre Unterstützung von Regierungsvorhaben mit politischen Vorteilen erkaufen.

"Es ist noch offen, welche Parteien dafür in Frage kommen", meint Ringel. Die gemäßigte Rechte habe zuletzt Signale ausgesandt, scheine aber auch den politischen Preis noch in die Höhe treiben zu wollen. Ausreichen würde dies jedoch nicht.

Macron dürfte darauf gehofft haben, dass das links-grüne Bündnis Neue Volksfront auseinanderbricht - so wie ihr Vorgänger namens Nupes. Doch das ist bislang nicht geschehen, die beteiligten Parteien haben sich nach zähem Ringen schließlich sogar auf eine - in der Öffentlichkeit komplett unbekannte - Kandidatin für das Amt der Premierministerin geeinigt, um Macron unter Zugzwang zu setzen.

Dieser will sich jedoch nicht unter Druck setzen lassen und hat der französischen Politik eine Art "olympischen Frieden" vorgeschlagen. "Bis Mitte August können wir ohnehin nichts ändern, sonst würde es Chaos geben", sagte Macron am Dienstag in einem TV-Interview. Es war sein erster öffentlicher Kommentar zur derzeitigen Politkrise überhaupt.

Wenn er in den kommenden Tagen seine Kollegen aus aller Welt empfängt, wird Macron vermutlich strahlend und schulterklopfend wie immer auftreten - aber seinen Gegenübern dürfte klar sein, dass der Gastgeber der Olympischen Spiele längst nicht mehr dasselbe politische Gewicht hat wie vor der folgenschweren Europawahl. (afp/fab)

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