Greta Thunberg inspirierte Arshak Makichyan selbst aktiv zu werden, beim jüngsten UN-Klimagipfel in Madrid saßen die beiden nebeneinander auf der Bühne. Seit nunmehr über 40 Wochen protestiert Makichyan in Moskau meistens ganz allein gegen den Klimawandel – und landete dafür sogar im Gefängnis. Ans Aufhören denkt der 25-Jährige trotzdem nicht.

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Arshak Makichyan hat wenige Tage zuvor das Gefängnis verlassen, als unsere Redaktion ihn erreicht. "Nach der Entlassung war ich ziemlich müde", berichtet der 25-Jährige am Telefon. "Diese sechs Tage dauerten lange", erklärt er auf Facebook. Dort schreibt er auch von "Kakerlaken", von "Matratzen, die 30 Jahre alt sind", und "schrecklichen Toiletten". Aber nun, mit ein paar Tagen Abstand, ist Makichyan im Gespräch anderes wichtiger: "Am Freitag protestierte ich wieder auf der Straße." So wie schon 41 Freitage zuvor.

Seit Mitte März steht Makichyan meistens allein auf dem Puschkin-Platz im Zentrum von Moskau. Egal ob im T-Shirt im Sommer, mit Schirm bei Regen oder eingepackt in eine dicke Jacke und Mütze jetzt im Winter. Immer hält er ein Schild in den Händen, mit wechselnden Slogans: "Globale Erwärmung ist gleichbedeutend mit Hunger, Krieg und Tod" steht auf einem Pappkarton oder "Streik für das Klima", wie zuletzt am Freitag. Mit Fotos und Videos dokumentiert Makichyan auf seinem Twitter-Kanal den lang anhaltenden Protest.

Für die russischen Behörden sind die Ein-Mann-Demonstrationen ein Affront. In Russland benötigt man für alle öffentlichen Veranstaltungen mit mehr als einem Teilnehmenden eine Genehmigung. Insgesamt über ein Dutzend Mal habe Makichyan versucht, eine solche zu bekommen, um mit mehr Menschen zu demonstrieren. Die Behörden hätten die Anträge aber jedes Mal abgelehnt.

Als sich am 25. Oktober zwei weitere Aktivisten von "Fridays for Future" (FFF) zu Makichyan stellten, nahmen Polizisten alle drei fest, Makichyan wurde zudem angeklagt. Ein Gericht verurteilte ihn schließlich am 20. Dezember wegen der Teilnahme an einer nicht genehmigten Aktion zu sechs Tagen Gefängnis.

Laut dem US-Onlinemagazin "Vice News" ist Makichyan nicht der einzige russische Klimaaktivist, der Probleme mit Behörden hat: So hätten Polizisten auch die 25-jährige Klima-Aktivistin Sasha Shugai aus Nowosibirsk "bedroht" und "eingeschüchtert". Und der Moskauer Schuldirektor Konstantin Fokin wurde festgenommen, nachdem er sich am Puschkin-Platz aus Protest angekettet hatte.

Arshak Makichyan: "Es war dumm, mich festzunehmen"

Die sechstägige Haft Makichyans ist jedoch die wohl härteste Strafe weltweit, mit der Klimaaktivisten bisher für ihre FFF-Proteste belangt worden sind. Für russische wie internationale Klimaschützer ist Makichyan auch deshalb ein Held. "Am Tag meiner Festnahme begannen die Menschen in verschiedenen Städten zu protestieren – nicht nur in Moskau, sondern auch in Archangelsk, Nowosibirsk oder Kaliningrad sowie in der Nähe russischer Konsulate im Ausland." Das sei im Gefängnis sein Schutz vor Misshandlungen gewesen, denen viele Insassen ausgesetzt sind. "Es war dumm, mich festzunehmen, denn so bekam ich viel Aufmerksamkeit", erklärt Makichyan.

Bei der Welt-Klimakonferenz Mitte Dezember in Madrid saß er auf dem Podium direkt neben Greta Thunberg, der Ikone der Klimabewegung "Fridays for Future", der auch Makichyan angehört. "Es war großartig, sie und andere internationale Aktivisten zu sehen." Thunberg unterstütze ihn und FFF Russland. "Sie tut, was sie kann, um zu helfen. Aber wir müssen die Arbeit selbst machen. Denn wir wissen, wie es in Russland funktioniert", sagt Makichyan.

Von Greta Thunberg inspiriert

Seine Geschichte ist durchaus ungewöhnlich. Bis Anfang 2019 habe er wenig bis gar nichts über den Klimawandel gewusst. Auch politisch sei er nicht aktiv gewesen. "Mich hat hauptsächlich Greta Thunberg inspiriert", erläutert Makichyan. Er habe begonnen, englischsprachige Artikel über den Klimawandel zu lesen, weil es auf Russisch wenig Informationen darüber gab und gibt. "Der 'Globale Klimastreik für die Zukunft' am 15. März 2019 war erst die zweite Demonstration, an der ich jemals teilgenommen habe." Die erste sei die Gedenkfeier für den ermordeten Oppositonellen Boris Nemzow drei Wochen zuvor gewesen.

An jenem 15. März hätten zwar nur 50 Moskauer gegen den Klimawandel protestiert. "Aber ich sah, dass ich nicht allein war", erinnert sich Makichyan. Er habe dann für sich entschieden, etwas zu unternehmen: "Nur Proteste werden etwas ändern. Jeden Tag sterben viele Menschen. Ich versuche nur, unsere Zukunft und die Zivilisation zu retten." Hoffnung in Politiker setzt er keine – zumal in Russland.

Umwelt- und Klimaschutz gehört nicht zu den Prioritäten des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Der bestritt in der Vergangenheit gar den menschengemachten Klimawandel. Stattdessen hob er lieber die Vorteile hervor, die Russland aus einem wärmeren Klima entstehen könnten: neue Schifffahrtswege durch die Arktis oder der Abbau bisher unerreichbarer Rohstoffvorkommen.

Internet statt Fernsehen

"Die staatlich kontrollierten TV-Sender – das Propagandafernsehen, wie ich es nenne – sprechen nicht über den Klimawandel. In ihrer Welt gibt es ihn einfach nicht", sagt Makichyan. Sukzessive habe die Problematik aber in den unabhängigen Medien Beachtung gefunden. Makichyan zufolge auch, weil das Land im Sommer von massiven Waldbrände und Überschwemmungen heimgesucht wurde.

"In den ersten Wochen meiner einsamen Proteste haben die meisten Passanten das Thema überhaupt nicht verstanden." Das habe sich geändert. "Seitdem Greta Thunberg bei der UN-Generalversammlung sprach, begannen auch die einfachen Leute in Russland über den Klimawandel zu diskutieren." Immer mehr Russen würden das Internet nutzen, weil sie nicht mehr glauben, was sie im russischen Fernsehen sehen.

Um sich ganz auf die Klimastreik-Bewegung zu konzentrieren, hat Makichyan seinen Job als Violinist vorerst pausiert. Ehrenamtlich koordiniert er nun die "Fridays for Future"-Bewegung in Russland.

Wie lange wird er noch jeden Freitag auf dem Puschkin-Platz demonstrieren? "Ich weiß es nicht", antwortet Makichyan. "Für mich war das letzte Jahr wie ein Film über mich selbst. Ich wusste nicht, was in der nächsten Woche passiert – und ich weiß es immer noch nicht."

Verwendete Quellen:

  • Telefonat mit Arshak Makichyan
  • NTV: "'Fridays for Future'"-Aktivist muss ins Gefängnis"
  • "Vice News": "The Young Climate Activist Who Just Spent 6 Days in Russian Prison Said It Wasn’t That Bad – Minus the Cockroaches"
  • Deutsche Welle: “Kommentar: Leiden und leugnen – Die Russen und der Klimawandel”
  • "Die Welt": "Putin hält Klimawandel nicht für menschengemacht"
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