Es ist ein Anschlag mitten im Herzen Europas. Von "Stadt der Liebe" mag keiner reden, seit kurz vor Mittag schwarz maskierte Männer mit Kalaschnikows und einem Granatwerfer in die Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo stürmten und mehr als zwölf Menschen töteten - unter ihnen zwei Polizisten sowie Journalisten der Zeitung - auch Chefredakteur und Zeichner Stéphane Charbonnier. Innerhalb von wenigen Stunden übermittelten Politiker aus aller Welt Frankreich ihr Beileid. "Das ist unser 11.September", so Guy Verhofstadt, der Leiter der Liberalen im Europaparlament: "Die barbarische Attacke hat mitten ins Herz Europas getroffen."
Sein Parteikollege und Vorsitzender der deutschen FDP in Brüssel, Graf von Lambsdorff, sprach von einem "barbarischen Terrorakt gegen alle Werte, auf denen Europa aufgebaut ist." Man dürfe nicht zulassen, dass "Extremisten unsere freiheitliche Art zu leben und zu denken untergraben. Auch wer mit der Meinung einer Zeitung nicht übereinstimmt, hat niemals das Recht, zur Gewalt zu greifen."
EU-Parlamentspräsident
"Schwarzer Tag für die Pressefreiheit in Europa"
Als Satireblatt steht Charlie Hebdo in Frankreich für viele sinnbildlich für die Pressefreiheit. Immer wieder war das Satireblatt bedroht worden, weil Charbonnier, in Frankreich als Ikone gefeiert und gemeinhin bekannt als "Charb", neben vielen anderen Themen eben auch den Islam auf die Schippe nahm. So geschehen 2006, als Charlie Hebdo die umstrittenen Karikaturen des dänischen Jyllands-Posten übernahmen, sowie 2011, als Charbonnier eine Sonderausgabe veröffentlichen ließ, für die das Blatt einmalig seinen Namen in "Charia Hebdo" änderte und eine Karikatur von Mohammed auf dem Titelblatt trug: "100 Peitschenhiebe, wenn Sie nicht vor Lachen sterben!" – eine Anspielung auf den Wahlsieg der islamischen Ennahda-Partei in Tunesien. Damals wurde die Redaktion Opfer eines Brandanschlags, dessen materieller Schaden die Journalisten zwar zum Umzug zwang, bei dem – damals – aber niemand verletzt wurde.
Seither stand die Redaktion unter besonderem Polizeischutz – doch auch sie konnten den Anschlag nicht verhindern. Gerade erst hatte das Satiremagazin eine weitere Karikatur Mohammeds veröffentlicht. An diesem Mittwochmittag waren die Journalisten des Satiremagazins zur wöchentlichen Redaktionskonferenz zusammengekommen. Die Sitzung wurde von mehr als 30 Schüssen unterbrochen. Zeugen berichten später von Rufen wie "Allah ist groß" sowie "Wir haben unseren Propheten gerächt".
"Dieser brutale Terroranschlag markiert einen schwarzen Tag für die Pressefreiheit in Europa", sagt Christian Mihr, Geschäftsführer von "Reporter ohne Grenzen". Dabei ist es nicht das erste Mal, das französische Journalisten einem Anschlag zum Opfer gefallen sind. Im November 2014 war ein Bewaffneter beim Nachrichtensender BFMTV eingedrungen und hatte dort einen Redakteur mit einem Gewehr bedroht, bei der Zeitung "Libération" schoss er einen Fotoassistenten nieder, der dabei lebensgefährlich verletzt wurde.
Doch noch nie zuvor ist die Presse einem derart brutalen Anschlag zum Opfer gefallen. Frankreich hat die höchste Terrorwarnstufe ausgerufen, Staatschef François Hollande berief eine Krisensitzung ein. In Brüssel befürchtet man einen Zusammenhang mit den "Foreign Fighters", Rückkehrern, die sich der radikalen Terrormiliz Islamischer Staat angeschlossen haben und nun in Europa Unheil stiften wollen. Denn längst hat die Propaganda des IS auch in Frankreich neue Anhänger gefunden, mehrere Hundert sollen es sein.
"Unermüdlicher Kampf gegen den Terrorismus"
Monika Hohlmeier (CSU), innenpolitische Sprecherin der Europäischen Volkspartei, fordert schärfte EU-Grenzkontrollen: "Es ist unmöglich, ganz Europa permanent zu überwachen, deswegen brauchen wir jetzt rasche Entscheidungen, um die Reisebewegungen von Terrorverdächtigen in der EU verfolgen und Maßnahmen ergreifen zu können, um weitere Anschläge zu verhindern."
Ratspräsident Donald Tusk sprach von einer Attacke gegen die "Säule der Demokratie". Auch er appellierte für einen "unermüdlichen Kampf gegen den Terrorismus". Bereits im Dezember war die drohende Gefahr von Rückkehrern aus Syrien und dem Irak Thema des EU-Gipfels. Doch auf eine Verschärfung der Schengenregeln, die die Freizügigkeit in der EU regeln, konnte man sich bislang nicht einigen. Jetzt steht die Union unter Zugzwang.
Das deutsche Satiremagazin Titanic sieht sich offensichtlich nicht als Zielscheibe solcher "Foreign Fighters". Am Nachmittag witzelten die Redakteure im Liveticker in gewohnter Manier: "TERRORHINWEIS: Für 16 Uhr ist in der TITANIC-Redaktion eine Pressekonferenz angesetzt, bei der RTL, Hessischer Rundfunk, Frankfurter Rundschau und sämtliche weitere Privat- und Systemmedien anwesend sind. Für Terroristen bietet sich hier die Möglichkeit, nicht nur eine Satireredaktion auszulöschen, sondern auch die gesamte deutsche Lügenpresse. Es gibt Schnittchen (hinterher)!"
Ein makabrer Witz – im wahrsten Sinne des Wortes. Das hätte vielleicht auch "Charb" gefallen. Er sagte einmal: "Ich habe keine Angst vor Vergeltung. Das klingt vielleicht hochtrabend. Aber ich sterbe lieber stehend, als auf Knien zu leben."
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