Die Wehrbeauftragte des Bundestages hat ihren Jahresbericht vorgelegt. Die Zeitenwende hat aus Sicht von Eva Högl viel in der Truppe bewegt. Doch der Handlungsbedarf sei weiter groß: "Die Bundeswehr altert und schrumpft."

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Eigentlich könnten es gute Zeiten für die Bundeswehr sein. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine vor zwei Jahren steht sie so stark im Fokus wie selten seit der Wiedervereinigung. Die Bundeswehr wird wieder gebraucht – und das hinterlässt Spuren auch in der Gesamtbevölkerung. Eine repräsentative Umfrage des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr hat ergeben, dass 86 Prozent der Bevölkerung im Jahr 2023 eine positive Einstellung zur Truppe hatten. Ein historischer Höchstwert.

Doch der Jahresbericht von Eva Högl spricht zum Teil eine andere Sprache. Am Dienstag hat die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestags diesen in der Bundespressekonferenz vorgestellt. Viel sei 2023 auf den Weg gebracht worden, sagt die SPD-Politikerin. Doch die großen Baustellen bleiben bestehen.

Zahl der Soldatinnen und Soldaten ist leicht gesunken

In den 1970er- und 1980er-Jahren bestand die Bundeswehr noch aus fast 500.000 Soldaten. Nach der Wiedervereinigung sank die Truppenstärke dann auf rund 180.000 Personen. Ein Ausdruck der – damals – entspannteren Sicherheitslage in Europa: Die Konfrontation der Blöcke und damit die Bedrohung durch die Sowjetunion schienen der Vergangenheit anzugehören. Die Landes- und Bündnisverteidigung rückte in den Hintergrund, stattdessen konzentrierte sich die Bundeswehr auf Einsätze im Ausland.

Das änderte sich 2014 mit der russischen Besetzung der Krim. Die Sicherheitslage in Europa spitzte sich wieder zu, das Ziel lautete künftig: Die Truppe muss wieder wachsen – auf 203.000 Männer und Frauen im Jahr 2025. Inzwischen hat das Vereidigungsministerium die Erfüllung des Ziels nach hinten verschoben. Auf das Jahr 2031. Doch auch das dürfte Högl zufolge nicht zu erreichen sein.

Denn Ende 2023 ist die Zahl der Soldatinnen und Soldaten im Vergleich zum Vorjahr sogar leicht gesunken: ganz genau gesagt auf 181.514, das sind 1.537 weniger als im Vorjahr. Die Zahl der Bewerbungen geht zurück, die Zahl der offenen Stellen steigt. Der Frauenanteil geht mit weniger als zehn Prozent kaum voran. Das Durchschnittsalter liegt bei 33,8 Jahren. "Die Bundeswehr altert und schrumpft", sagt Högl am Dienstag.

Eva Högl zu Debatte um Wehrpflicht: "Nicht nur Ja und Nein sagen"

Vorstellung des Jahresberichtes 2023 mit der Wehrbeauftragten
Eva Högl in der Bundespressekonferenz. © dpa / Carsten Koall

Die Wehrbeauftragte lobt, dass das Thema Personal auf höchster politischer Ebene ernst genommen werde. Doch sie schaltet sich auch noch einmal in die Debatte um die Wiedereinführung der Wehrpflicht ein. 2011 hatte sie der damalige Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) ausgesetzt und sie damit faktisch abgeschafft.

Der aktuelle Minister Boris Pistorius hat inzwischen Sympathien für eine Rückkehr zum Wehrdienst gezeigt. Er lässt derzeit prüfen, ob und in welcher Form der Wehrdienst sich wieder einführen ließe.

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Eine knappe Mehrheit von 52 der Deutschen ist einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag des "Stern" für die Wiedereinführung der Wehrpflicht. "Die alte Wehrpflicht möchte niemand zurück", sagt Högl zwar. Sie wirbt allerdings für ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr, das junge Männer wie Frauen in verschiedenen Bereichen absolvieren könnten – auch in der Bundeswehr. "Wir sollten nicht nur Ja oder Nein sagen, sondern Konzepte diskutieren", findet Högl.

Wehrbericht: Es fehlt an vielem

Bleiben die anderen Baustellen. Aus Sicht des Vorsitzenden des Bundeswehrverbands, André Wüstner, ist der Personalmangel auch eine Folge der mangelnden Ausstattung. Die marode Infrastruktur sei kein Aushängeschild, sagte er am Dienstagmorgen im ARD-Morgenmagazin.

Den Finger in diese Wunde legt auch die SPD-Politikerin Högl. Die Wehrbeauftragte ist gewissermaßen die Anwältin der Soldatinnen und Soldaten. Im Auftrag des Bundestags kontrolliert sie die Streitkräfte, bringt aber auch die Anliegen der Truppe ins Parlament ein.

Es fehle weiterhin an Munition und "kleinerem" Material wie Nachtsichtgeräten, es fehle auch an großem Gerät wie Panzern, Schiffen, Flugabwehr. Und nicht zuletzt beklagt Högl auch – nicht zum ersten Mal – marode Kasernen. Es gebe zu wenig Sportflächen, Lagerhallen, WLAN. Die Infrastruktur sei immer noch "desolat". Von der schleppenden Digitalisierung ganz zu schweigen: Eine elektronische Patientenakte oder elektronische Arbeitszeiterfassung gibt es laut Högl in der Bundeswehr nicht.

10.000 ukrainische Soldaten ausgebildet

Verschärft wird die Lage durch den russischen Krieg gegen die Ukraine. Die Lieferungen an die Ukraine würden Lücken in ohnehin schon geringe Bestände reißen – vom großen Gerät bis zu Sanitätsprodukten. Högl betont aber auch: Die Soldatinnen und Soldaten würden "zu 100 Prozent" hinter der Unterstützung der Ukraine stehen. 10.000 ukrainische Kollegen wurden 2023 in Deutschland ausgebildet. Das sei eine enorme Leistung.

"Die Truppe ist zu Recht ungeduldig."

Eva Högl, Wehrbeauftragte des Bundestages

Nach der russischen Invasion in der Ukraine hat der Bundestag ein Sondervermögen für die Bundeswehr aufgelegt. Zusätzliche 100 Milliarden sollen die teils kaputtgesparte Bundeswehr aus- und aufrüsten. Högl sieht durchaus Fortschritte bei der Investition der Summe.

Fast zwei Drittel des Sondervermögens sind inzwischen vertraglich verplant. 2023 habe der Bundestag 55 Anschaffungen mit einem Volumen von insgesamt 47 Milliarden Euro auf den Weg gebracht. Dem schwerfälligen Beschaffungswesen hat die Bundesregierung aus Sicht von Högl bereits einen ersten Schubs gegeben.

Doch Eva Högl hat schon früh bezweifelt, dass die Summe des Sondervermögens reicht – und eine Summe von 300 Milliarden Euro ins Spiel gebracht. "Viel ist auf den Weg gebracht worden. Das muss jetzt bei der Truppe ankommen und wirken. Die Truppe ist zu Recht ungeduldig."

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