Bodo Ramelow will bereits Anfang Juni in Thüringen die generellen Corona-Beschränkungen beenden. Auch angesichts mehrerer aktueller Corona-Vorfälle sorgt der Plan des thüringischen Ministerpräsidenten für Kritik – auch aus den eigenen Reihen.
Thüringens Ministerpräsident
Ramelow möchte "den allgemeinen Lockdown aufheben und durch ein Maßnahmenpaket ersetzen, bei dem die lokalen Ermächtigungen im Vordergrund stehen", erklärte er am Samstag der "Thüringer Allgemeinen". Damit würden landesweite Regeln zu Mindestabständen, dem Tragen von Mund-Nasen-Schutz sowie Kontaktbeschränkungen nicht mehr gelten. Stattdessen solle es nur noch Empfehlungen geben.
Lob für den Vorstoß kam nicht nur von der eigenen Parteispitze, sondern auch von gänzlich ungewohnter Seite. "Ramelow liegt richtig!", twitterte FDP-Chef
Offenbar ging ihm Beitrag im Nachhinein aber zu weit – Lindner löschte später den Tweet. Der Hintergrund ist unklar. Allerdings äsen zeitgleich mehrere nun bekannt gewordene Vorfälle Zweifel an einer allzu lockeren Handhabung der Coronavirus-Pandemie. Starke Kritik an Ramelows Plan kommt nun selbst aus der eigenen Koalition.
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Kritik vom Koalitionspartner
Ein Gottesdienst und ein Restaurantbesuch hatten am Wochenende für Aufregung gesorgt: Mindestens 107 Menschen infizierten sich in einer Kirchengemeinde in Frankfurt am Main mit dem Coronavirus, 14 Gäste eines Restaurants steckten sich in Leer an.
Beide Veranstaltungen fanden zwar bereits vor zwei beziehungsweise mehr als einer Woche statt. Doch sie dienen nun den Kritikern von Ramelows Plan als Gegenbeleg. So distanzierte sich etwa Thüringens Umweltministerin Anja Siegesmund vom Vorhaben Ramelows. "Der Lockdown verlangt uns allen viel ab", sagte die Grünen-Politikerin den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland. "Wir müssen aber aufpassen, dass wir angesichts des erfolgreichen Pandemiemanagements nicht leichtsinnig werden und überdrehen."
Auch vom anderen Thüringer Koalitionspartner, der SPD, kommt Kritik. Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee will anders als Ramelow an den Vorgaben des Landes zu Hygiene- und Schutzstandards festhalten. Diese dürften nicht an Kommunen und Unternehmen delegiert werden, warnte Tiefensee am Sonntag.
"Das verbietet sich schon deshalb", sagte Tiefensee weiter, "weil es sonst einen Überbietungswettbewerb um die lockerste und großzügigste Regelung geben würde, wie das ja auch schon zwischen den Ländern auf Bundesebene zu beobachten war." Ansonsten befürwortete der SPD-Politiker den Vorschlag Ramelows. Dieser bedeute ein Aufatmen bei Familien, Beschäftigten und in der Wirtschaft.
Lauterbach: "Ganz klar ein Fehler"
Heftige Kritik kam hingegen aus der Bundes-SPD. "Das ist ganz klar ein Fehler", sagte der sozialdemokratische Gesundheitsexperte
Lauterbach forderte gar die Bundesregierung auf, ein Signal gegen die angekündigten Lockerungen der allgemeinen Corona-Auflagen in Thüringen zu setzen. Mit Ramelows Entscheidung drohe ein bundesweiter Wettlauf der Länder bei Lockerung der Restriktionen, "der aus medizinischer Sicht katastrophal wäre", betonte Lauterbach in der "Rheinischen Post".
Tatsächlich kündigte am Montag auch Sachsen eine grundlegende Änderung beim Umgang mit Einschränkungen in der Coronakrise an. "Wenn die Zahl der Neuinfektionen weiterhin stabil auf einem niedrigen Niveau bleibt, planen wir für die Zeit ab dem 6. Juni in der nächsten Corona-Schutzverordnung einen Paradigmenwechsel", sagte Gesundheitsministerin Petra Köpping in Dresden.
Ob und wann die Pflicht zur Mund-Nasen-Bedeckung und zum Abstandhalten aufgehoben wird, sollte der SPD-Politikerin zufolge aber bundesweit gemeinsam entschieden werden.
Wird Thüringen zum Gefahrenherd?
Der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans warnte wie Lauterbach vor zu schnellen Lockerungen. "Unser aller Job in der Politik ist jetzt nicht alleine, Sehnsüchte zu stillen", sagte der CDU-Politiker der "Welt". Es gehe darum, "weiter nüchtern, verantwortungsvoll und wissenschaftsgeleitet abzuwägen".
Skeptisch zeigte sich auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil. "Die Vorgänge in Leer und in Dissen zeigen, dass wir nach wie vor sehr vorsichtig sein und die Vorgaben beachten müssen", sagte der SPD-Politiker der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" mit Blick auf Corona-Fälle nach einem Restaurantbesuch in Leer und in einem Schlachthof in Dissen.
Deutlicher wurde der Leiter der bayerischen Staatskanzlei, Florian Herrmann. Dem CSU-Politiker zufolge werde das Nachbarland "zu einem Gefahrenherd für wieder steigende Infektionszahlen in ganz Deutschland". Die Thüringer Pläne seien "ein hochgefährliches Experiment für alle Menschen in diesem Land", sagte Hermann der "Bild"-Zeitung.
Ramelow setzt auf "realistische Konsequenzen"
Ramelow verteidigt seinen Vorstoß zur Abschaffung der Corona-Beschränkungen in seinem Bundesland vehement. "Wir haben im März auf der Grundlage von Schätzungen von 60.000 Infizierten entschieden – jetzt haben wir aktuell 245 Infizierte", sagte Ramelow der "Bild am Sonntag". "Der Erfolg gibt uns mit den harten Maßnahmen recht – zwingt uns nun aber auch zu realistischen Konsequenzen und zum Handeln."
Am Montag bekräftigte er: "Ich habe nicht gesagt, dass die Menschen sich umarmen sollen oder den Mund-Nasen-Schutz abnehmen und sich küssen sollen", sagte Ramelow dem MDR. Es gebe jetzt keinen Grund, leichtfertig zu werden. "Das heißt, dass bewährte Regelungen wie das Abstandhalten nicht aufhören sollen."
Es ergebe keinen Sinn, dass sieben Tage rund um die Uhr Krisenstäbe arbeiteten, wenn es in der Hälfte der Landkreise seit drei Wochen keine neuen Infektionen gebe, erklärte er. "Wir wollen das Management umstellen." Statt bei den Krisenstäben solle die Verantwortung nun lokal bei den Gesundheitsämtern liegen. Sollten sich neue Infektionsherde bilden, solle lokal reagiert werden.
Jeder Landkreis und jede kreisfreie Stadt erhalte sofort Unterstützung, sobald wieder Infektionen aufträten, sagte der Regierungschef. Im öffentlichen Personennahverkehr und im Schienenverkehr wolle man Mund und Nase auch weiterhin bedeckt sehen. Wie die geplanten Lockerungen für Thüringen konkret aussehen werden, soll im Kabinett besprochen werden. (afp/dpa/mf)
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