Müssen die in Europa ankommenden Flüchtlinge mit einer verbindlichen Quote in ganz Europa verteilt werden? Länder wie Deutschland und Österreich fordern das, doch vor allem osteuropäische Staaten wie Ungarn und Tschechien wehren sich dagegen. Schon wird diesen Staaten mit Sanktionen gedroht. So kommentiert die internationale Presse die Drohungen.

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Die EU-Innenminister hatten sich am Montagabend nach siebenstündigen Beratungen nicht darauf einigen können, 120.000 Flüchtlinge über verbindliche Quoten auf die EU-Länder zu verteilen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière forderte, diesen Ländern Mittel aus den Fonds zu kürzen. Die EU-Kommission warnt, dass die rechtlich nicht vereinbar sei und Kanzlerin Angela Merkel mahnte: "Drohungen sind nicht der richtige Weg". Auch die deutsche und internationale Presse ist gespalten.

Deutsche Pressestimmen

Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" äußert konkrete Vorschläge:

"Mit der Drohung, den östlichen Mitgliedstaaten die Hilfen zu kürzen, wird man nicht weit kommen, dafür ist die Finanzplanung der EU zu langfristig. Das wahre Druckmittel lautet Mehrheitsabstimmung. Die von Berlin, Paris und Brüssel gewünschten Quoten ließen sich in diesem Fall über den Kopf der Osteuropäer hinweg beschließen. Für den Zusammenhalt der EU wäre allerdings auch das eine höchst riskante Operation."

Die "Süddeutsche Zeitung" mahnt zur Ruhe und fordert bewusstes Handeln:

"Der Generalplan für die Aufnahme, Verteilung und Integration von Flüchtlingen in Deutschland und Europa fällt nicht über Nacht vom Himmel. Aber an diesem Plan muss mit Kraft, Herz und Verstand gearbeitet werden. Daran fehlt es."

"Spiegel Online" übt herbe Kritik an den EU-Regierungen:

"Das Problem am Verhalten der EU-Regierungen ist vielmehr, dass es keinerlei gemeinsame Linie erkennen lässt, die zumindest die Hoffnung auf eine langfristige Lösung der Flüchtlingsmisere wecken könnte. Dazu müssten die EU-Staaten ihre Außen-, Wirtschafts-, Sicherheits- und Entwicklungshilfepolitik koordinieren und so genügend Gewicht auf die Waage bringen, um Krisen schon an den Herden anzugehen - und Flüchtlingswellen zu verhindern, bevor sie entstehen."

Internationale Pressestimmen

Die linksliberale Madrider Zeitung "El País" plädiert für Sanktionen:

"Man muss schnellstens eine gemeinsame Asylpolitik schaffen, statt weiter im derzeitigen Limbus zu bleiben und einfach nur nationale Politiken zu koordinieren, die nicht mehr aktuell sind. Jene Länder, die sich weigern, die Flüchtlinge aufzunehmen, die ihnen zugewiesen werden, müssten aus dem Schengenabkommen austreten. Und auch Kandidaten für jene Strafen sein, die die Regierung von Angela Merkel bereits angedeutet hat. Es gibt zur Zeit keine andere Formel, um den europäischen Raum mit den Freiheiten des gemeinsamen Marktes, darunter auch den freien Personenverkehr, zu schützen."

Der linksliberale britische "Independent" kommentiert den Widerstand einiger EU-Länder gegen Flüchtlingsquoten:

"Die Drohung, widerspenstigen EU-Staaten Gelder zu kürzen, (wenn sie bindende Quoten für Flüchtlinge ablehnen), sollte jetzt ernsthaft erwogen werden. Der ungarische Präsident Viktor Orban ist nicht bereit anzuerkennen, dass ein Quotensystem die Last der Asylsuchenden auf sein Land tatsächlich verringern würde. Wenn Deutschland allein gelassen wird, wird es eines Tages sagen "mehr nicht". Und die Opfer von Kriegen, die es bis nach Europa geschafft haben und einen Status als Flüchtlinge verdienen, werden stattdessen in Not und Armut abgedrängt, zur ewigen Schande dieses angeblichen Bollwerks der Zivilisation."

Zum Vorstoß von Bundesinnenminister Thomas de Maizière, denjenigen Staaten EU-Fördergelder zu kürzen, die verpflichtende Flüchtlingsquoten ablehnen, schreibt die Zeitung "Pravo" aus Prag:

"Angela Merkel hat betont, dass es besser ist zu verhandeln als zu drohen. Am Ende hat sich daher eher der deutsche Innenminister in die Kastanien gesetzt, als dass die 'aufständischen' Länder unter Beschuss geraten wären. Und es geschieht ihm Recht. Wenn er unter dem Andrang der Flüchtlinge die Nerven verliert, sollte er das mit seiner Regierungschefin klären, und es nicht an den Tschechen, Slowaken, Polen, Rumänen und gegebenenfalls auch den Finnen auslassen."

Zu Ungarns Rolle in der Flüchtlingskrise schreibt die links-liberale ungarische Tageszeitung "Nepszabadsag":

"Und lasst uns nicht mit dem Finger auf Viktor Orban zeigen. Nicht er hat das Erbarmen in unseren Herzen abgetötet - obwohl er erkannt hat, dass es so ist, obwohl er es ausnutzt und sich beeilt, die Situation mit glänzenden Ergebnissen noch schlimmer zu machen. Aber nicht er, sondern wir alle zusammen haben unsere Heimat zu dem gemacht, was sie heute zu sein scheint. Viktor Orban und in seinem Gefolge (der Chef der rechtsradikalen Partei Jobbik) Gabor Vona sind nicht der Grund, sondern die logische Konsequenz dessen, was passiert ist. Es ist keine Entschuldigung, dass auch die EU etwas gleichgültig und machtlos ist - im Gegenteil. Jetzt sind wir der böseste Ort auf diesem gruseligen Kontinent."

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