US-Präsident Donald Trump spricht bei einer Rede von einem Vorfall in Schweden, stellt eine Verbindung zu Terrorismus her und beruft sich hinterher auf eine Sendung bei Fox News. Jetzt hat die schwedische Botschaft Washington um eine Erklärung gebeten. Bei genauerem Hinsehen wird klar, wie dünn die Faktenlage tatsächlich ist.

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"Schaut Euch an, was in Deutschland passiert, schaut Euch an, was gestern Abend in Schweden passiert ist!": Während die Schweden es mit Humor nehmen und unter dem Hashtag #LastNightInSweden darüber rätseln, was Donald Trump mit dem angeblichen Vorfall gemeint haben könnte, zeigt dieses Beispiel möglicherweise, wie vermeintliche Fakten ihren Weg auf den Schreibtisch und in die Argumentationsketten des US-Präsidenten finden.

Donald Trump bezieht sich laut eigener Aussage auf "eine Geschichte hinsichtlich von Einwanderern & Schweden" bei Fox News.


Mit dieser "Geschichte" ist mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Interview mit einem Filmemacher gemeint, der bereits 2016 eine Dokumentation in Schweden drehte und am vergangenen Freitag in der Sendung "Tucker Carlson Tonight" darüber sprach. Darin geht es um vermeintliche Probleme, die Schweden mit Flüchtlingen hat.

Der Filmemacher Ami Horowitz behauptet in dieser Dokumentation, die bereits im Dezember 2016 auf YouTube hochgeladen wurde, Schweden erlebe seit der Aufnahme von Hunderttausenden Einwanderern in den vergangenen Jahren eine Welle von Gewaltverbrechen: "Schweden ist jetzt der stolze Besitzer des Titels 'Die Vergewaltigungs-Hauptstadt Europas'", heißt es dort wörtlich.

Experten in Schweden sind sich laut dpa einig: Die These von Horowitz ist haltlos. Die in dem Fox-News-Clip aufgestellten Behauptungen seien Falschnachrichten, sagt auch der Terrorismusforscher Magnus Ranstorp von der "Swedish Defence University" bei Twitter.

Stimmen Horowitz' Behauptungen?

Mehrere Aussagen von Horowitz, die er in seiner Dokumentation macht und im Interview mit Tucker Carlson teilweise wiederholt, erweisen sich als fragwürdig, da sie sich nicht auf zuverlässige Quellen beziehen. Vielmehr stellt Horowitz Behauptungen auf:

  • "Es entstehen 'No-Go-Zones': Das sind Gebiete, die nicht einmal von Polizisten betreten werden, weil es für sie zu gefährlich ist."

Horowitz filmte für seine Dokumentation im Stockholmer Viertel Rinkeby, in dem viele Flüchtlinge leben. Dort sei es zu einer gefährlichen Situation gekommen, weil fünf Männer arabischen Ursprungs nicht wollten, dass sie gefilmt werden.

Dazu verarbeitet er die Tonspur der entsprechenden Unterhaltung in der Dokumentation, aus der herauszuhören ist, wie die Männer Horowitz dazu auffordern, ihnen seine Filmaufnahmen zu zeigen.

Am Ende ruft Horowitz mehrmals um Hilfe und "fuck you".

Wie gefährlich die Situation tatsächlich war, lässt sich jedoch nicht einordnen.

  • "Die Anzahl von Vergewaltigungen in Schweden ist in den vergangenen fünf Jahren in die Höhe geschossen."

"The Swedish National Council for Crime Prevention" (eine Verwaltungsbehörde, die dem schwedischen Justizministerium untersteht) hat Zahlen zu Sexualdelikten in Schweden bis 2015 veröffentlicht:


- 2011: 17.077 gemeldete Delikte

- 2012: 16.923 gemeldete Delikte

- 2013: 17.704 gemeldete Delikte

- 2014: 20.326 gemeldete Delikte

- 2015: 18.057 gemeldete Delikte


Fakt ist, dass sich die Zahl der gemeldeten Sexualdelikte seit 1975 versiebenfacht hat. Einen kontinuierlichen oder gar extremen Anstieg an Sexualstraftaten in Schweden - speziell in den vergangenen fünf Jahren - ist jedoch nicht festzustellen.

Laut "Spiegel Online" verweisen schwedische Behörden und Experten zudem häufig darauf, dass die hohen Zahlen bedeuteten, dass Vergewaltigungen öfter angezeigt und Fälle zum Teil anders in den Statistiken erfasst würden.

  • "Die schwedische Regierung versucht, Verbrechen zu vertuschen."

Horowitz erklärt im Interview mit Fox News, dass es zum Beispiel viele Vergewaltigungen auf Musikfestivals gebe und die Regierung verschleierte, wer die Täter seien.

Mehrere Fälle von sexueller Belästigung auf schwedischen Musikfestivals hatten vergangenes Jahr hohe Wellen geschlagen: Tatverdächtige sollen junge Asylbewerber gewesen sein.

Da die Fälle erst Monate später bekannt wurden, sah sich die Polizei mit Vertuschungsvorwürfen konfrontiert. Schwedens Polizeichef Dan Eliasson hatte zu dem Thema im Interview mit "Spiegel Online" Stellung bezogen und Fehler eingeräumt.

  • "Schweden hat mehr Flüchtlinge aus islamischen Ländern aufgenommen als jedes andere westliche Land weltweit."

Das Statistische Bundesamt hat genaue Zahlen zur Aufnahme von Asylbewerbern in der EU:

- 2014: Im Jahr 2014 nahm Deutschland 202.815 Asylsuchende auf. Gefolgt von Schweden (81.325) und Italien (64.625).

- 2015: Im Jahr 2015 wurden die meisten erstmaligen Asylbewerber in Deutschland (441.800 erstmalige Asylbewerber beziehungsweise 35 Prozent der Gesamtzahl der erstmaligen Asylbewerber in den EU-Mitgliedstaaten) registriert. Darauf folgten Ungarn (174.400 beziehungsweise 14 Prozent), Schweden (156.100, 12 Prozent), Österreich (85.500, 7 Prozent), Italien (83.200, 7 Prozent) und Frankreich (70.600, 6 Prozent).

- 2016: Im Dritten Quartal des Jahres 2016 wurden in Deutschland 237.430 erstmalige Asylbewerber bzw. 66 Prozent der Gesamtzahl der erstmaligen Asylbewerber in den EU-Mitgliedstaaten registriert. In Schweden wurden im gleichen Zeitraum 5.030 Asylbewerber registriert.

2015 waren 29 Prozent der erstmaligen Asylbewerber aus Syrien, 14 Prozent aus Afghanistan und 10 Prozent aus dem Irak. 2014 und 2016 zeichnete sich jeweils eine ähnliche Zusammensetzung ab.

Schweden hat damit in den vergangenen Jahren nicht mehr Menschen aus islamischen Ländern aufgenommen, als jede andere westliche Nation.

Da Schweden nur knapp zehn Millionen Einwohner zählt, ist die Zahl der Flüchtlinge pro Einwohner jedoch höher als in anderen Ländern. 2014 waren es in Schweden pro 1.000 Einwohner 8,4 Asylbewerber (Quelle: Eurostat).


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