Lassen sich solche Menschen jemals wieder in die Gesellschaft integrieren? Dschihad-Rückkehrer aus dem Irak und Syrien beschäftigen deutsche Sicherheitsbehörden, Strafverfolger und Sozialarbeiter. Und die schwierigsten Fälle kommen erst noch.

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Rund 1.000 Menschen sind seit 2012 aus Deutschland in den Irak und nach Syrien ausgereist, um sich Terrororganisationen wie dem sogenannten "Islamischen Staat" anzuschließen. Sie ließen sich indoktrinieren und drillen, um sich im Kampf gegen sogenannte Ungläubige einen Platz im vermeintlichen Paradies zu sichern. In Wahrheit verteidigten sie eine wirre Ideologie mit Gewalt gegen Andersdenkende. Viele haben dabei gefoltert und gemordet.

Inzwischen gilt der "Islamische Staat" als militärisch geschlagen. Nach und nach kehren die Ausgereisten nach Deutschland zurück. Und dann? Fragen und Antworten zu Dschihad-Rückkehrern, die Sicherheitsbehörden, Strafverfolger und Sozialarbeiter gleichermaßen beschäftigen.

Mit wie vielen Rückkehrern muss Deutschland rechnen?

Mindestens 1.000 Männer und Frauen sind nach Kenntnis der Bundesregierung seit 2012 aus Deutschland in den Irak und nach Syrien ausgereist, um sich Terrororganisationen wie der Nusra-Front, vor allem aber dem "Islamischen Staat" anzuschließen. Männer sind in der Überzahl. Rund die Hälfte von ihnen besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft.

Rund ein Drittel der Ausgereisten ist inzwischen zurückgekehrt. Schätzungsweise 150 sind beim Kämpfen ums Leben gekommen. Bleiben rund 500 Dschihadisten, auf deren Rückkehr sich Deutschland einstellen muss.

Eine Rückreisewelle gibt es bislang nicht. Viele der selbsternannten "Gotteskrieger" sind noch vor Ort in Gefangenschaft, etwa in Internierungslagern der syrischen Kurdenmiliz YPG.

Wie gefährlich sind die Rückkehrer?

Der Terrorismus-Experte Guido Steinberg erklärt im Gespräch mit diesem Portal: "Man kann diese Menschen nicht in Gut und Böse einteilen." Eine pauschale Antwort auf die Frage gibt es also nicht. "Von Menschen, die ich tatsächlich für harmlos halte, bis zum brutalen Mörder, sind da alle Zwischenstufen dabei."

Während die einen völlig desillusioniert zurückkehren, haben sich andere vor Ort weiter radikalisiert. "Es ist nicht auszuschließen, dass von diesen Personen eine Gefahr ausgeht oder sie neue Anhänger rekrutieren", sagt Florian Endres, Leiter der Beratungsstelle Radikalisierung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, auf Anfrage.

Thomas Mücke weiß, dass jetzt die schwierigen Fälle auf Deutschland zukommen. Er ist Geschäftsführer des Violence Preventation Network, einer Nichtregierungsorganisation, die seit 2014 die Reintegration von Dschihad-Rückkehrern begleitet. "Die Rückkehrer der ersten Generation, die schnell wieder aus dem Kampfgebiet zurückkamen, hatten kaum strafbare Handlungen durchgeführt. Sie kamen mit Zweifeln und einem Realitätsschock, da war es vergleichsweise leicht, anzusetzen", sagt er.

Jene Dschihadisten aber, die auch jetzt noch vor Ort sind, waren zumeist viel länger mit der Ideologie der Terroristen in Kontakt. "Je länger man dabei war, desto länger ist der Prozess der Gehirnwäsche gelaufen", sagt Mücke. "Hinzu kommt: Sie haben mehr Krieg erlebt. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie an Verbrechen beteiligt waren, ist höher."

Werden die Rückkehrer vor Gericht gestellt?

Die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung ist in Deutschland strafbar. Damit jemand als Mitglied zählt, muss er zumindest mit dem Training an der Waffe begonnen haben. Die Frauen haben in der Regel keine Waffenausbildung und können deshalb auch nicht belangt werden. Anders die Männer, von denen die meisten zumindest für einige Zeit im Gefängnis landen.

Den Rückkehrern Mord, Folter und andere Gewalttaten nachzuweisen, ist Terrorismus-Experte Steinberg zufolge häufig sehr, sehr schwierig. "Das führt dazu, dass die meisten IS-Angehörigen, bei denen wir ja davon ausgehen müssen, dass sie Gewaltverbrechen begangen haben, einfach weil die Organisation so brutal ist, nur wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung belangt werden, auch wenn der Verdacht besteht, dass es da mehr gab."

Sind die Sicherheitsbehörden auf die Rückkehrer vorbereitet?

Inzwischen, so die Einschätzung von Terrorismus-Experte Steinberg, sind die deutschen Behörden gewappnet - und doch bleiben radikale Islamisten eine Bürde. "Unsere Sicherheitsbehörden kennen das Phänomen, sie kennen die meisten Verdächtigen, aber sie haben mit dieser ungeheuren Zahl von potenziellen Terroristen ein Problem", sagt Steinberg. Über 1.000 Ausgereiste seit 2012 - zum Vergleich: zwischen 2000 und 2011 waren es nur 200.

Neben gewaltbereiten Rückkehrern gibt es laut Steinberg mehrere Hundert potenzielle Terroristen, die als Flüchtlinge ins Land gekommen sind. 720 islamistische Gefährder zählte das Innenministerium Anfang 2018 - ein Drittel mehr als vor einem Jahr.

Kann man die Rückkehrer wieder in die Gesellschaft integrieren?

Die mit fünf Mitarbeitern ausgestattete Beratungsstelle Radikalisierung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge versucht, Betroffene bei der Rückkehr in einen friedlichen Alltag zu unterstützen. Wer selbst Hilfe sucht, kann sich dort melden, genau wie Angehörige. Immer öfter kommen auch Behörden auf die Beratungsstelle zu, Justizvollzugsanstalten oder Jugendämter zum Beispiel.

Die Stelle vermittelt Beratungen am Wohnort. Die Beratung übernehmen die rund 70 Mitarbeiter von bundesweit neun auf Deradikalisierung spezialisierten Nichtregierungsorganisationen wie dem Violence Preventation Network.

Ob die Reintegration gelingt, hängt vom Einzelfall ab. "Ich habe Menschen erlebt, die waren im Kampfgebiet und zu Selbstmordanschlägen bereit. Heute führen sie ein normales Leben, haben einen Job, und sehen die Zeit beim IS als verloren an", erzählt Thomas Mücke vom Violence Preventation Network.

Das klappt freilich nicht immer. Grundsätzlich gilt: Je länger der Betroffene mit der Ideologie der Terrororganisation gelebt hat, desto länger dauert es, ihn da herauszuholen.

Terrorismus-Experte Steinberg vermutet, dass mancher nur an einer Beratung teilnimmt, weil er sich davon vor Gericht Strafmilderung erhofft.

Wie kann man sich eine Deradikalisierungsberatung vorstellen?

Im besten Fall sucht der Rückkehrer von sich aus Hilfe. Thomas Mücke erzählt: "Er steht dann bei uns im Beratungsbüro, Mutter links, Vater rechts. Die Eltern fragen: 'Warum hast du das gemacht?' Er starrt nur auf den Boden und antwortet nicht. Vielleicht aus Scham, weil er begreift, was er seiner Familie angetan hat, oder auch, weil er keine Antwort hat."

Die Mitarbeiter des Violence Preventation Network gehen aber auch proaktiv auf Rückkehrer zu, etwa auf jene, die im Gefängnis sitzen oder deren Angehörige um Hilfe gebeten haben. Oft schlägt ihnen Misstrauen entgegen. "Dann gibt's Briefkontakt unterm Türschlitz hindurch, so lange, bis es zu einem Gespräch kommt."

Es sei wichtig, das Verhalten der Betroffenen nicht sofort zu bewerten. "Das ist fatal gegenüber Menschen aus einer extremistischen Szene, die sich selbst einen absoluten Wahrheitsanspruch angeeignet haben", sagt Mücke. Stattdessen versuchen die Mitarbeiter, Zweifel anzuregen bei Menschen, denen "das eigene Denken regelrecht abtrainiert" wurde.

Nur wer wieder lernt, sich selbst zu hinterfragen, hat Aussicht auf Erfolg, sagt Mücke. "Gemeinschaft, Geborgenheit, Anerkennung - was habe ich beim IS gesucht, weil ich es zuvor nicht ausreichend bekommen habe? Wenn ich nicht weiß, warum ich für die Ideologie empfänglich war, und die Gründe nicht auflöse, besteht die Gefahr der Reradikalisierung."

Thomas Mücke ist Mitbegründer und Geschäftsführer des Violence Preventation Network. Er hat Pädagogik und Politik studiert und ist seit vielen Jahren in der Jugendsozialarbeit tätig. Er arbeitet Bundesweit als Referent und Coach in den Bereichen Antigewaltarbeit, Jugendarbeit, Straßensozialarbeit und Rechtsextremismus.
Guido Steinberg ist Islamwissenschaftler und forscht bei der Stiftung Wissenschaft und Politik unter anderem zum politischen Islam und islamistischen Terrorismus. Von 2002 bis 2005 war er Referent im Referat Internationaler Terrorismus des Bundeskanzleramts.
Florian Endres hat Politik und Kriminologie studiert. Er war beim hessischen Landeskriminalamt tätig, bevor er ins Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wechselte, wo er seit 2012 die Beratungsstelle Radikalisierung leitet.
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