Friedrich Merz stimmte 1997 gegen einen Gesetzentwurf, der die Vergewaltigung in der Ehe strafbar machte – das lag offenbar an der fehlenden Widerspruchsklausel, die die CDU/CSU und FDP damals im Gesetz haben wollten. Für einen anderen Entwurf stimmte Merz hingegen mit Ja.

CDU-Vorsitzender Friedrich Merz stimmte vor Jahren gegen die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe. Medien und Personen aus der Politik, wie zum Beispiel Fabio De Masi, werden nicht müde, das zu berichten.

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Auch in den vergangenen Wochen kursierte der Fakt wiederholt in sozialen Netzwerken – insbesondere seitdem klar ist, dass Friedrich Merz der CDU-Kanzlerkandidat für die anstehende Neuwahl im Februar 2025 ist und er empört über das Vorhaben zur Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen reagierte.

Zu den aktuell prominentesten Verbreitern gehören die Jugendorganisation der SPD (Jusos) und die SPD-Bundestagsabgeordnete Derya Türk-Nachbaur.

Tatsächlich ist die Aussage über Merz‘ Abstimmungsverhalten korrekt, wie CORRECTIV.Faktencheck bereits 2018 in einem Faktencheck berichtete: Friedrich Merz stimmte im Mai 1997 im Bundestag gegen einen Gesetzentwurf, der die Vergewaltigung in der Ehe ins Strafgesetzbuch aufnehmen sollte.

Ohne weiteren Kontext liegt die Schlussfolgerung nahe, Merz habe nicht gewollt, dass es strafbar wird, wenn ein Ehepartner den anderen vergewaltigt. Auf X schreibt ein Nutzer zum Beispiel: "Wofür steht Merz eigentlich? Außer für die Ablehnung des Straftatbestandes der Vergewaltigung in der Ehe."

Diese Interpretation ist jedoch falsch. Dieser Faktencheck erklärt die Hintergründe.

Merz stimmte 1996 für einen Gesetzentwurf, der Vergewaltigung in der Ehe strafbar machen sollte

Die Debatte über die Änderung des Sexualstrafrechts begann bereits in den 1970er-Jahren. Eine Reform, vorangetrieben von der SPD, scheiterte offenbar lange am Widerstand der Union und FDP. Erst im September 1995 legten die Bundestagsfraktionen der CDU/CSU und FDP (damals die regierenden Parteien) selbst einen Gesetzentwurf dazu vor. Auch dieser sollte die Vergewaltigung in der Ehe strafbar machen.

Die bis dahin geltende Gesetzgebung wurde im Entwurf der CDU/CSU und FDP wie folgt eingeordnet: "Durch die gegenwärtige Fassung der §§ 177 ff. StGB ist das sexuelle Selbstbestimmungsrecht nicht umfassend genug geschützt. Insbesondere ist im Bereich des Vergewaltigungstatbestandes (§ 177 StGB) der eheliche Bereich noch ausgenommen."

Als Lösung wird vorgeschlagen, dass "unter geschlechtsneutraler Formulierung, die berücksichtigt, dass auch Männer Tatopfer sein können – ein einheitlicher Tatbestand für Vergewaltigung und sexuelle Nötigung geschaffen" werden solle. "Der eheliche Bereich wird in den neugeschaffenen einheitlichen Tatbestand sowie in § 179 StGB einbezogen."

Über diesen Gesetzentwurf stimmte der Bundestag am 9. Mai 1996 ab. Im Plenarprotokoll ist ab Seite 9.208 zu sehen, wie die Abgeordneten namentlich abstimmten – Friedrich Merz stimmte mit Ja. Unter anderem die SPD und die Grünen stimmten dagegen. Mit knapper Mehrheit wurde der Gesetzentwurf angenommen.

Gesetzentwurf trat wegen Kritik an Widerspruchsklausel nicht in Kraft

Im Folgenden gab es jedoch Kritik an dem Entwurf der CDU/CSU und FDP, da er eine sogenannte Widerspruchsklausel enthielt. Sie besagte: Eine Tat könne nicht strafrechtlich verfolgt werden, wenn das Opfer dem widerspreche – es sei denn, es bestehe ein "besonderes öffentliches Interesse". Die Kritikerinnen und Kritiker befürchteten unter anderem, dass die Täter ihre Opfer unter Druck setzen könnten, um Ermittlungen zu verhindern.

Vergewaltigung ist ein sogenanntes Offizialdelikt – der Staat muss es verfolgen, Anzeigen können nicht zurückgezogen werden. Eine Ausnahme hiervon für Ehepartner wäre also schwerwiegend gewesen. Der Entwurf der Bundesregierung mit der Widerspruchsklausel wurde von der SPD im Bundesrat gekippt.

Neuer Gesetzentwurf von 1997 ohne Widerspruchsklausel – Merz stimmte dagegen

Am 15. Mai 1997 kam es im Bundestag zur erneuten Abstimmung über eine Variante der Gesetzesänderung, in der diese Widerspruchsklausel nicht enthalten war. Sie war als sogenannter Gruppenantrag von verschiedenen Bundestagsabgeordneten eingebracht worden. Friedrich Merz stimmte gegen den Antrag (Seite 15.800 im Plenarprotokoll). Der Bundestag nahm ihn jedoch insgesamt an und die Gesetzesänderung wurde umgesetzt. Seit Juli 1997 ist Vergewaltigung in der Ehe strafbar.

Auf Nachfrage verwies ein Pressesprecher von Friedrich Merz auf ein Statement des CDU-Vorsitzenden von 2020. Merz schrieb damals auf Facebook, er habe "nie gegen die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe gestimmt". Er habe wegen der fehlenden Widerspruchsklausel gegen den Gesetzentwurf gestimmt, weil er befürchtet habe, "dass Strafverfahren durch Falschbehauptungen zerstrittener Ehepartner dem berechtigten Schutzinteresse betroffener Frauen eher schaden als nützen würden". Er stehe zu dieser Entscheidung, auch wenn er aus heutiger Sicht "anders entscheiden" würde. Inwiefern er seine Meinung geändert habe, erklärte er nicht.

Die Jusos änderten auf Nachfrage von CORRECTIV.Faktencheck ihren Beitrag auf Instagram leicht ab, um deutlich zu machen, dass Merz gegen einen bestimmten Gesetzentwurf stimmte.

Derya Türk-Nachbaur teilte CORRECTIV.Faktencheck mit, sie werde ihren TikTok-Beitrag nicht verändern, da die Aussage, dass Friedrich Merz gegen die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe gestimmt habe, den Fakten entspreche. Das sei auch vom Frankfurter Landgericht 2021 (PDF, Download) bestätigt worden.

Friedrich Merz klagte 2021 gegen den Linken-Politiker Fabio de Masi (inzwischen Bündnis Sahra Wagenknecht), weil dieser eine ähnliche Aussage getwittert hatte. Das Frankfurter Landgericht wies seine Klage ab. In der Urteilsbegründung heißt es, die Aussage sei eine Tatsachenbehauptung, die Friedrich Merz hinzunehmen habe. De Masi sei nicht verpflichtet gewesen, im Rahmen seines Tweets darauf hinzuweisen, dass Merz zuvor für eine Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe mit Widerspruchsrecht gestimmt hatte. Das Gericht sah die Aussage als nicht erläuterungsbedürftig an.

Verwendete Quellen

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