In der Ampelkoalition wird die FDP vor allem als Bremser wahrgenommen. Und in den Ländern musste sie zuletzt mehrere Wahlpleiten hinnehmen. Auf dem Parteitag in Berlin ringen die Liberalen nun um ihren zukünftigen Kurs. Dabei gibt es genug innerparteiliche Baustellen.

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Bald zehn Jahre ist es her, dass Christian Lindner als Bundesvorsitzender die aus dem Bundestag geflogene FDP übernahm und mit dem Wiederaufbau begann. Heute hat Lindner nicht nur seinen Traumjob als Bundesfinanzminister, sondern sitzt an der Parteispitze auch fest im Sattel.

Doch innerparteilich könnte man die Lage der Partei überspitzt auch mit dem Titel ihres Wahlprogramms bei der Bundestagswahl 2021 beschreiben: "Nie gab es mehr zu tun". Denn Liberalen-Chef Christian Lindner steht vor einigen Baustellen. An Stoff für kontroverse Debatten auf dem am Freitag beginnenden Parteitag mangelt es nicht.

Das Profilierungsproblem

Nur aus Vernunft und nicht aus Leidenschaft ist die FDP in die Ampelkoalition eingetreten, wie ihre prominenten Vertreter seit der Bundestagswahl 2021 ein ums andere Mal betonen. Inzwischen scheint es kaum mehr ein Politikfeld zu geben, auf dem sich die Koalitionäre nicht verhaken – meistens sind es die FDP und die Grünen. Die FDP-Spitze setzt zur Profilschärfung auf liberale Klassiker von Haushaltsdisziplin bis Steuersenkung und wehrt sich gegen alles, was nach Verbotsdoktrin riecht. Diese Linie will sich der FDP-Vorstand in seinem Leitantrag vom Parteitag absegnen lassen.

In der politischen Stimmung ging es für die FDP seit Eintritt in die Regierung bergab. Mehrere Landtagswahlen brachten verheerende Ergebnisse, bei den anstehenden Wahlen in Bremen, Hessen und Bayern scheint ein Absturz unter die Fünf-Prozent-Hürde möglich. Auch in den bundesweiten Umfragen liegt die FDP nur bei fünf bis sieben Prozent. Die 11,5 Prozent, die sie bei der Bundestagswahl erzielte, scheinen derzeit unerreichbar.

Ein wichtiges Indiz dafür, wie zufrieden die Parteibasis mit dem bisher Erreichten in der Ampelkoalition ist, wird das Wahlergebnis von Parteichef Lindner sein. Der stellt sich am Freitag zur Wiederwahl. Dass sich die Liberalen erneut für Lindner entscheiden, gilt als ausgemacht. Ein merklich schlechteres Ergebnis als vor zwei Jahren, als 93 Prozent der Delegierten für ihn stimmten, wäre aber ein deutliches Zeichen der Unzufriedenheit mit dem Kurs der Partei.

Das Kabinettsproblem

Die Minister und Ministerin der FDP im Bundeskabinett machten zuletzt oft keine gute Figur. Bettina Stark-Watzinger verantwortet mit dem Bildungsressort ohnehin einen schwierigen Bereich, weil die Zuständigkeit weitgehend bei den Ländern liegt. Für großen Unmut sorgte dann die lange Verzögerung bei der Energiepauschale für Studierende.

Verkehrsminister Volker Wissing wiederum macht Negativschlagzeilen mit mangelndem Klimaschutz und dem wochenlangen Tauziehen um das Verbrenner-Aus und E-Fuels. Klima-Aktivistin Luisa Neubauer warf Wissing in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zuletzt sogar eine "klimapolitische Arbeitsverweigerung" vor. Er müsse zurücktreten. Justizminister Marco Buschmann arbeitet hingegend weitgehend geräuschlos. Doch damit bleibt er in der Außenwahrnehmung auch blass.

Und Finanzminister Lindner selbst? Er konnte sich mit den anderen im Kabinett bisher nicht auf Haushalts-Eckpunkte für 2024 verständigen. Zwar beharrt er bislang erfolgreich auf seinen Prinzipien, die Schuldenbremse einzuhalten und keine Steuern zu erhöhen. Doch eine Lösung bringt das noch nicht.

Das Personalproblem

Auch wenn mittlerweile andere FDP-Männer wie Fraktionschef Christian Dürr oder Generalsekretär Bijan Djir-Sarai eine beachtliche Medienpräsenz haben: Lindner bleibt mit Abstand der prominenteste Liberale. Innerparteiliche Stimmen, die anders klingen – etwa Parteivize Johannes Vogel mit einem eher sozialliberalen Profil und der um den Klimaschutz besorgte bayerische Generalsekretär Lukas Köhler – dringen selten durch.

Verlässlich für Schlagzeilen sorgt hingegen FDP-Urgestein Wolfgang Kubicki, der allerdings statt auf konstruktive Vorschläge meist auf Stammtischparolen setzt. Er tritt auf dem Parteitag abermals als Vizevorsitzender an.

Das Frauenproblem

Die FDP hat einen Männeranteil von etwa 80 Prozent – Tendenz steigend. "Wenn es nach den Neueintritten ginge, wären wir praktisch eine Monokultur von Männern", warnte Ombudsmitglied Christopher Gohl auf dem Parteitag im April 2022. Parteitagsbeschlüsse von 2019 zur Steigerung des Frauenanteils in Ämtern und Mandaten mittels Zielvereinbarungen wurden nie umgesetzt. Das Thema gilt in der Partei als äußert schwierig, das Wort "Quote" als Teufelszeug. (afp/dpa/thp)

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