Das "D-Day"-Papier zum Ampel-Aus erschüttert die FDP. Generalsekretär Bijan Djir-Sarai verkündet seinen Rücktritt. Doch damit dürfte die Debatte nicht beendet sein. Den Liberalen drohen heftige Auseinandersetzungen.
Wenn Pressestellen kurzfristig Termineinladungen verschicken, passiert in der Regel etwas Großes – und Dinge sind ins Rollen geraten. So auch an diesem Freitag. Um 10:22 Uhr versendet die FDP eine Mail an die Hauptstadtpresse und informiert über ein Statement, das Generalsekretär Bijan Djir-Sarai knapp eine Stunde später geben wird. Zu diesem Zeitpunkt ist bereits klar: Djir-Sarai muss gehen.
Um kurz nach halb 12 tritt der Noch-General schließlich vor die Mikrofone und Kameras im Hans-Dietrich-Genscher-Haus, der Parteizentrale der Liberalen. In wenigen Sätzen verkündet er seinen Rücktritt. Djir-Sarai sagt, er übernehme politisch die Verantwortung für das "D-Day"-Papier – auch, wenn er davon nicht gewusst habe. Das Statement dauert keine Minute, dann geht er. Nachfragen sind nicht zugelassen.
Auch der Bundesgeschäftsführer muss gehen
Kurz darauf verschickt die FDP eine weitere Mail: Auch Bundesgeschäftsführer Carsten Reymann tritt zurück. Der Vertraute von Parteichef
Die Liberalen stehen vor einem Scherbenhaufen. Ihre Glaubwürdigkeit ist massiv beschädigt.
Generalsekretär Djir-Sarai hatte noch am 18. November über "D-Day"-Formulierungen gesagt: "Das stimmt nicht. Dieser Begriff ist nicht benutzt worden". "Zeit" und "Süddeutsche Zeitung" hatten zuvor berichtet, wie die FDP minutiös das Ampel-Aus geplant hatte – mit eben der entsprechenden Formulierung aus dem Zweiten Weltkrieg. Als D-Day wird die Landung der Alliierten in der Normandie im Sommer 1944 bezeichnet, der Anfang vom Ende des Hitler-Regimes mit Millionen Toten.
Während Finanzminister Christian Lindner, zumindest offiziell, noch mit Bundeskanzler
Das Drehbuch dazu hat die FDP am späten Donnerstagnachmittag selbst veröffentlicht. Die Begründung verwundert zunächst: Man wolle Transparenz herstellen, hieß es von Seiten der Partei. Warum sich die FDP selbst überführt hat, dürfte aber vor allem einen Grund haben: die entsprechenden Medienanfragen dazu. Das achtseitige Papier – die Anleitung zum Ampel-Sturz – war Journalisten schon zugespielt worden. Das Genscher-Haus war dabei, die kommunikative Kontrolle vollends zu verlieren.
Parteichef Lindner äußert sich zum "D-Day"-Papier
Also die Flucht nach vorne. Und der Rücktritt des Generalsekretärs einen Tag später. Die Frage ist nun: Reicht das? Und vor allem: Ist der geschasste Djir-Sarai nur das Bauernopfer, um Parteichef Lindner aus der Schusslinie zu nehmen? Der FDP-Chef zeigt sich am Freitag nicht vor die Presse. Am Nachmittag verschickt die Partei eine Erklärung Lindners. Darin heißt es: "Das öffentlich gewordene Papier des Genscher-Hauses war lediglich ein Entwurf". Er selbst habe es nicht zur Kenntnis genommen und "hätte es auch nicht gebilligt".
Lindner gilt als Politiker, der strategisch denkt und gerne die Kontrolle behält. Der dann aber nicht wusste, was Mitarbeiter im Genscher-Haus aufschreiben? Und nach entsprechenden Medienberichten auch nicht nachfragt?
Warum Christian Lindner in der FDP unangefochten ist
Klar ist: Lindner ist die unumstrittene Nummer eins der FDP. Die selbsternannte Partei der Individualisten hat sich kollektiv hinter einer Person versammelt: Christian Lindner. Früher war die FDP wenig zimperlich, wenn es darum ging, ihr Führungspersonal auszutauschen. Unter Lindner hat sich das geändert. Er hat die zerstrittene Partei nach dem Bundestags-Aus 2013 übernommen, sie aus der außerparlamentarischen Opposition erst zurück in den Bundestag – und dann in die Regierung geführt. Viele FDPler verdanken ihr Mandat dem Zugpferd Lindner. Das diszipliniert.
Fraktionsvize Gyde Jensen sagte im Gespräch mit dieser Redaktion: "Christian Lindner ist unser Spitzenkandidat und hat die volle Zustimmung der Freien Demokraten – von Partei und Fraktion."
Doch jetzt durchlebt Lindner die schwerste Krise als Parteichef. Die "Bild"-Zeitung, den Liberalen bislang wohlwollend gesonnen, fragt bereits: "Muss jetzt auch Lindner gehen?" Die Antwort dürfte auch davon abhängen, ob es intern jemanden gibt, der im Wahlkampf mehr zieht als Lindner. Danach sieht es aber nicht aus.
Ampel-Aus wird Alptraum für FDP
Für die Liberalen entwickelt sich das Ampel-Aus – eigentlich als Befreiung gedacht – mehr und mehr zum Alptraum. Losgelöst von den Fesseln der ungeliebten Regierung wollte die FDP endlich wieder sie selbst sein. Dabei hatte sie sogar eine Mehrheit auf ihrer Seite: Viele Deutsche waren der Ampel überdrüssig. Schuld am Bruch wollte die FDP allerdings nicht sein. Diese Rolle war Olaf Scholz zugedacht.
Bis zu den "D-Day"-Recherchen hätte dieser Plan auch aufgehen können. Das Medienecho jetzt ist verheerend – und die FDP in der Defensive. In den Umfragen lagen die Liberalen zuletzt unterhalb von fünf Prozent, ob der Wiedereinzug in den Bundestag gelingt, ist völlig offen. "Das Entscheidende für die FDP ist, ob sie bei ihrer Kernwählerschaft an Glaubwürdigkeit verloren hat", sagt der Politikwissenschaftler Uwe Jun von der Universität Trier. Er glaube das nicht. Wer die FDP ablehnt, werde dies weiter tun und sich bestätigt sehen. Und ein Großteil der Wechselwähler werde nach Weihnachten – dann, wenn die heiße Phase des Wahlkampfs beginnt – nicht mehr über das Ampel-Aus nachdenken, sagt Jun.
Darauf dürften auch Spitzenliberale setzen. Dass sich der Rauch legt und Christian Lindner halbwegs unbeschadet aus dieser Krise kommt. Bis zur Wahl sind es nichtmal mehr 100 Tage. "Wir haben nur noch wenige Wochen Zeit, um Vertrauen glaubhaft zurückzugewinnen", sagt Fraktionsvize Gyde Jensen. Für die FDP beginnt spätestens ab heute ein Überlebens-Wahlkampf.
Verwendete Quellen
- Pressestatement der FDP im Hans-Dietrich-Genscher-Haus
- Gespräch mit Gyde Jensen
- Gespräch mit Uwe Jun
- zeit.de: Das liberale Drehbuch für den Regierungssturz
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.