- Am Freitag verhandelt das Landgericht Berlin über die Mitgliedschaft von Andreas Kalbitz in der AfD.
- Der Streit um den früheren Brandenburger Landeschef ist nicht die einzige Baustelle der Partei.
- Seit dem Abgang von Jörg Meuthen befindet sich die AfD auf inhaltlicher und personeller Kurssuche.
Mal wieder steht für die AfD ein wichtiger Gerichtstermin an. Im März hat das Verwaltungsgericht Köln entschieden, dass der Verfassungsschutz die Partei als rechtsextremen Verdachtsfall beobachten darf. An diesem Freitag geht es am Landgericht Berlin nun um eine brisante Personalie: Dort klagt der frühere Brandenburger Landeschef Andreas Kalbitz gegen die AfD. Er will, dass seine Mitgliedschaft fortbesteht.
Kalbitz war in der AfD eine zentrale Figur. Die Journalistinnen Katja Bauer und Maria Fiedler bezeichnen ihn in ihrem Buch "Die Methode AfD" als "Strippenzieher der rechtsextremen Strömung". Dem früheren Parteichef
Erst warf Meuthen Kalbitz aus der Partei – dann ging auch Meuthen
Die Begründung: Kalbitz habe der AfD verschwiegen, dass er Mitglied der rechtsextremen "Heimattreuen Deutschen Jugend" war. Kalbitz will seitdem seine AfD-Mitgliedschaft vor Gericht erstreiten. Das Hauptsacheverfahren vor der Zivilkammer des Landgerichts Berlin beginnt am Freitag. Ob das Gericht noch am gleichen Tag eine Entscheidung fällt, ist offen.
Die Causa Kalbitz ist ein wichtiger Aspekt der widersprüchlichen Entwicklung der AfD in den vergangenen Jahren. Dass eine Mehrheit im Vorstand 2020 für den Ausschluss von Kalbitz stimmte, war ein Erfolg für den damaligen Vorsitzenden Meuthen und seine sogenannten Gemäßigten. Doch die Partei folgte seinem Kurs nicht, sondern driftete weiter in eine extreme Richtung. "Mehrere rechtsextreme Parteien in Europa haben sich in den vergangenen Jahren in Richtung Rechtspopulismus entwickelt", sagt der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder, Professor an der Universität Kassel, im Gespräch mit unserer Redaktion. "Bei der AfD ist es andersherum."
Im Oktober 2021 gab Meuthen bekannt, nicht mehr als Vorsitzender zu kandidieren. Ende Januar 2022 verließ er die Partei dann ganz. Im Gespräch mit WDR und NDR räumte Meuthen seine Niederlage gegen die radikaleren Kräfte in der AfD ein: Das Herz der Partei schlage "heute sehr weit rechts". Teile der Partei stünden "nicht auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung".
Die AfD-Spitze ist nun in einer seltsamen Situation: Sie muss vor Gericht den Ausschluss von Kalbitz vertreten, obwohl Jörg Meuthen als treibende Kraft dahinter gar nicht mehr in der Partei ist. Es erscheint inzwischen durchaus möglich, dass Kalbitz wieder einen Weg in die AfD findet – selbst wenn das Landgericht zum Schluss kommen sollte, dass die Annullierung seiner Mitgliedschaft rechtmäßig war. Kalbitz war in seinem Landesverband nie wirklich weg: Vor kurzem wurde seine Vertraute Birgit Bessin zur neuen AfD-Vorsitzenden in Brandenburg gewählt. Wie der Tagesspiegel berichtete, saß Kalbitz bei dem Parteitag auf der Tribüne.
Problem Nummer 1: Wie umgehen mit dem Verfassungsschutz?
Die Partei steht inzwischen vor mehreren Problemen gleichzeitig: Sie muss erstens einen Weg finden, um mit der Einstufung als verfassungsfeindlicher Verdachtsfall umzugehen. Vor allem Beamte unter den Mitgliedern befürchten Probleme mit ihren Arbeitgebern.
Gerade im Westen könne eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz der AfD Probleme bereiten, glaubt Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder: "Sie wird es dadurch schwerer haben, an rechtskonservative Kreise heranzukommen, die sich auf dem Boden des Grundgesetzes sehen." Eine Strategie, wie sie mit dem Thema umgehen will, habe die Partei noch nicht entwickelt.
Der Abgang von Meuthen könnte es für die AfD schwerer machen, auch Wählerinnen und Wähler anzusprechen, die sich nicht als Rechtsextreme verstehen. "Meuthen war eine Ikone der Selbstverharmlosung", sagt Politikwissenschaftler Schroeder. "Er hat eine exzellente Fähigkeit, sich als integrer Teil des politischen Systems, des Konservatismus zu präsentieren."
Problem Nummer 2: Von aktuellen Themen profitiert die AfD kaum
Das zweite Problem ist die inhaltliche Kurssuche der Partei: Zur Zeit wirkt die AfD wenig präsent. Das mag damit zu tun haben, dass die Medien ihr weniger Beachtung schenken, seit sie nicht mehr die größte Oppositionspartei ist. Allerdings schweißen die großen Themen dieser Zeit – die Corona-Pandemie und der Krieg in der Ukraine – die Partei auch deutlich weniger zusammen als die Flüchtlings- und Integrationspolitik.
"Über Corona hat die AfD zwar Anschluss an eine Bewegung gefunden", sagt Wolfgang Schroeder. "Allerdings ist das ein Thema, das auch innerhalb der eigenen Partei von 30 bis 40 Prozent skeptisch betrachtet wird." Nicht jedes AfD-Mitglied spielt die Gefährlichkeit des Virus oder die Sinnhaftigkeit von Impfungen so herunter wie die Parteiführung.
Auch der Krieg in der Ukraine sei für die AfD ein problematisches Thema, sagt Schroeder: "Die AfD ist die Partei, die am stärksten am System Putin hängt. Im Osten kommt das zum Teil gut an, im Westen eher nicht." Die AfD-Spitze versucht einen Balanceakt: Sie äußert zwar Kritik am russischen Angriff, will die Ukraine militärisch aber nicht unterstützen, damit Deutschland nicht in den Krieg hineingezogen wird. Doch damit besetzt sie keine politische Marktlücke, denn diese Haltung vertreten auch die Linke und Teile der SPD. In bundesweiten Umfragen liegt die AfD zwischen 9 und 11 Prozent und damit ungefähr auf dem Niveau des Ergebnisses bei der Bundestagswahl 2021.
Problem Nummer 3: Ungeklärte Personalfrage
Drittens befindet sich die AfD in einem personellen Schwebezustand. Im vergangenen Dezember sollten die Delegierten eigentlich einen Nachfolger von Jörg Meuthen in der Doppelspitze wählen. Doch der Parteitag in Wiesbaden musste wegen der Pandemie abgesagt werden. Deshalb führt der Sachse Tino Chrupalla die AfD derzeit alleine. Er ist zwar an der Basis beliebt, innerhalb der notorisch zerstrittenen Parteiführung aber durchaus umstritten. Die Deutsche Presse-Agentur berichtete, dass nicht nur sein russlandfreundlicher Kurs zum Teil auf Widerspruch stößt. Auch seine Führungsqualitäten werden in Zweifel gezogen. Bei einer Vorstandssitzung Ende März wurde demnach die Frage aufgebracht, ob er der richtige Bundessprecher sei.
Die östlichen Landesverbände haben innerhalb der AfD eine starke Stellung. "Sie haben im Vergleich zum Westen die besseren Wahlergebnisse zu Tage gefördert. Sie sind zwar radikaler, aber auch stärker in der Wählerschaft verankert", sagt Politikwissenschaftler Schroeder. "In Sachsen-Anhalt und Thüringen haben sie es sogar geschafft, die CDU zu spalten."
Die jüngsten Diskussionen über Chrupalla zeigen jedoch, dass die westlichen Landesverbände weiter mitreden wollen. Dort läuft gerade die Suche nach einem neuen Co-Vorsitzenden. Als Kandidaten im Gespräch sind unter anderem die Bundestagsabgeordneten Joachim Wundrak, Rüdiger Lucassen und Joana Cotar. Doch so richtig scheint sich bisher niemand aufzudrängen. "Es müsste ein bürgerliches Gesicht sein – aber gleichzeitig jemand, der die Existenz des rechtsextremen Flügels akzeptiert und für die Partei einzusetzen weiß", sagt Wolfgang Schroeder. An diesem Kunststück ist jedoch zuvor schon Jörg Meuthen gescheitert.
Quellen:
- Gespräch mit Prof. Dr. Wolfgang Schroeder
- Deutsche Presse-Agentur
- Berlin.de: Landgericht Berlin: Terminhinweis im Rechtsstreit von Herrn Kalbitz gegen die Alternative für Deutschland (PM Nr. 13/2022)
- Katja Bauer/Maria Fiedler: Die Methode AfD – Der Kampf der Rechten: Im Parlament, auf der Straße – und gegen sich selbst, Verlag Klett-Cotta
- Tagesspiegel.de: Triumph des Kalbitz-Lagers in der Brandenburger AfD
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