Eigentlich wollte der Bundestag an diesem Donnerstag Regeln für die Suizidhilfe aufstellen. Doch keiner der beiden Reformvorschläge erhielt eine Mehrheit. Dabei waren sich die Abgeordneten eigentlich einig: So wie es ist, kann es nicht bleiben.

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Zum Ende der Debatte sagte der FDP-Politiker Otto Fricke: "Wir reden in Deutschland zu wenig über den Tod." Die Abgeordneten hatten zuvor das Gegenteil versucht: Sie hatten mehr als anderthalb Stunden über die Frage diskutiert, wie der Staat mit Menschen umgehen muss, die nicht mehr leben wollen. Muss er ihnen einen Weg eröffnen, selbstbestimmt und in Würde zu sterben? Oder muss er vor allem dafür sorgen, dass mit diesem Wunsch kein Missbrauch betrieben wird?

Die Frage bleibt nach der Debatte weiterhin ohne Antwort. Denn beide Vorschläge für eine Reform der Suizidhilfe fanden keine Mehrheit unter den Abgeordneten.

Sterbehilfe-Vereine sind in Grauzone aktiv

Die Ausgangslage war kompliziert: Zunächst hat Paragraph 217 des Strafgesetzbuchs in Deutschland die "geschäftsmäßige" Suizidhilfe verboten. Das bedeutet: Wer als Einzelperson oder als Mitarbeiter von Organisationen oder Verbänden anderen Menschen dabei hilft, sich das Leben zu nehmen, riskierte eine Freiheits- oder Haftstrafe.

Im Februar 2020 hat das Bundesverfassungsgericht aber entschieden: Dieses Verbot ist unzulässig. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht in Artikel 2 des Grundgesetzes umfasse auch das Recht auf selbstbestimmtes Sterben – und dazu gehöre auch das Recht, sich das Leben zu nehmen. Dafür muss es dem Gericht zufolge möglich sein, Hilfe bei Dritten zu suchen – zum Beispiel, indem sich Sterbewillige ein tödlich wirkendes Medikament besorgen.

Seitdem ist geschäftsmäßige Suizidhilfe faktisch erlaubt: Sterbehilfe-Vereine können Suizidwilligen zu tödlichen Medikamenten verhelfen. Im Jahr 2021 zum Beispiel passierte das der Tagesschau zufolge in rund 350 Fällen. Weil Paragraf 217 des Strafgesetzbuchs aufgehoben ist, es aber keine neue Regelung gibt, handeln Sterbehilfe-Vereine in einer rechtlichen Grauzone. Daher war der Bundestag am Zug: Wenn er Regeln für das selbstbestimmte Sterben aufstellen wollte, musste er ein Gesetz verabschieden. Das ist am Donnerstag jedoch nicht geschehen.

© AFP

Strengerer Gesetzentwurf wollte höhere Hürden

Zur Wahl stand einerseits ein Gesetzentwurf von Lars Castellucci (SPD), Ansgar Heveling (CDU) und anderen Abgeordneten aus SPD, Union, Grünen, FDP und Linken. Dieser hätte der Suizidhilfe in Zukunft wieder höhere Hürden gesetzt.

"Niemand in diesem Land soll sich überflüssig fühlen."

Lars Castellucci, SPD

Die geschäftsmäßige Hilfe zur Selbsttötung wäre demnach wieder verboten und strafbar geworden. Erlaubt sein sollte sie nur unter den folgenden Voraussetzungen:

  • Die Person, die sich das Leben nehmen will, ist "volljährig und einsichtsfähig".
  • Ein nicht an der Selbsttötung beteiligter Facharzt oder eine Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie bescheinigt, dass der Sterbewunsch "freiwillig, ernsthaft und dauerhaft" ist und nicht auf einer psychischen Erkrankung beruht.
  • Es muss ein weiteres ergebnisoffenes Beratungsgespräch bei einem Mediziner oder Psychotherapeuten oder einer Beratungsstelle stattgefunden haben.
  • Die Werbung für die Hilfe zur Selbsttötung ist verboten.

Der Staat müsse den begleiteten Suizid ermöglichen – er dürfe ihn aber nicht fördern, sagte SPD-Politiker Castellucci. Da für den Umgang damit bisher keine Regeln galten, seien lebensmüde Menschen "einem möglichen Missbrauch schutzlos ausgeliefert". "Ich mache mir Sorgen um die Einsamen, die Zurückgelassenen, die Menschen, die sich fragen: Falle ich anderen zur Last?", so Castellucci. "Niemand in diesem Land soll sich überflüssig fühlen."

Liberalere Variante setzt auf Recht auf Selbsttötung

Zur Wahl stand zweitens eine freiheitlichere Alternative: Eine Gruppe von mehreren Abgeordneten aus SPD, Grünen, FDP und Linken wollte das Recht auf eine Selbsttötung gesetzlich verankern. Ärzte und Ärztinnen sollten das Recht erhalten, Sterbewilligen ein tödliches Medikament zu verschreiben, wenn diese sich vorher über Folgen und Alternativen ihrer Entscheidungen intensiv beraten ließen.

"Es gibt unfassbar viele Menschen da draußen, die sich die Sicherheit wünschen, selbstbestimmt gehen zu dürfen, wenn für sie die Zeit gekommen ist", sagte die Abgeordnete Katrin Helling-Plahr (FDP). Dieses Recht müsse der Staat akzeptieren – und dafür ein "flächendeckendes, umfassendes Beratungsangebot" schaffen.

Der andere strengere Antrag stigmatisiere Menschen, die aus dem Leben scheiden wollen, sagte die SPD-Abgeordnete Nina Scheer: "Das wird Menschen davon fernhalten, sich Hilfe zu suchen und beraten zu lassen." In diesem Fall würden Sterbewillige aber alleingelassen – und dann andere, weniger würdevolle Wege wählen, sich das Leben zu nehmen.

Keine Regelung nach drei Jahren Arbeit

Wie schwierig diese Abwägung den Abgeordneten fällt, wurde dann in den Abstimmungsergebnissen deutlich: Nach rund dreijähriger Arbeit fand keiner der beiden Anträge eine Mehrheit. Damit bleibt es – vorerst – beim Status Quo: Die geschäftsmäßige Suizidhilfe ist erlaubt, aber nicht geregelt. Eine Situation, die der Bundestag eigentlich beenden sollte. Klar ist damit nur: Die Abgeordneten werden sich noch einmal auf die Suche nach einer Regelung begeben müssen, die im Parlament eine Mehrheit überzeugt.

Wenn Sie oder eine Ihnen nahestehende Person von Suizid-Gedanken betroffen sind, wenden Sie sich bitte an die Telefon-Seelsorge unter der Telefonnummer 0800/1110-111 (Deutschland), 142 (Österreich), 143 (Schweiz).

Hilfsangebote für verschiedene Krisensituationen im Überblick finden Sie hier.


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