Der Brexit ist beschlossene Sache und dürfte weitreichende Veränderungen in Wirtschaft und Politik nach sich ziehen - vor allem im Vereinten Königreich selbst. Denn der Austritt hat ein stark gespaltenes Land hinterlassen. Der Brexit könnte das Ende Großbritanniens in seiner jetzigen Form bedeuten.
Wie groß ist der Schaden, den sich das Vereinte Königreich selbst zugefügt hat? Seit dem Brexit-Votum schwebt diese Frage wie ein Damoklesschwert über dem Land. "Zerbrechen dürfte Großbritannien deshalb nicht", sagt Politikwissenschaftlerin Dr. Isabelle Borucki von der Uni Trier in einem Gespräch mit unserer Redaktion.
Es könne jedoch zu Abspaltungen innerhalb Großbritannien führen: "Das ehemalige Empire wird entweder kleiner oder muss aus den Fehlern der Vergangenheit lernen", sagt Borucki.
Die Abstimmung habe gezeigt, wie groß die Gräben in der britischen Gesellschaft seien. "Das Vereinte Königreich ist stark gespalten. Nicht nur zwischen Befürwortern und Gegnern der EU, sondern auch zwischen Jung und Alt, Land und Stadt, besser und schlechter Gebildeten und besser und schlechter Verdienenden", sagt Borucki.
Damit seien eigentlich überwunden geglaubte Gräben in der britischen Gesellschaft wieder aufgebrochen. "Das betrifft nicht auch die bereits durch die Devolution (Anm. d. Red.: Verlagerung der politischen Kompetenzen) mit mehr Autonomie-Rechten ausgestatteten Regionen Schottland, Nordirland und Wales.
Welche Szenarien sind nun innerhalb Großbritanniens möglich?
Die überwältigende Mehrheit der Schotten hat sich für einen Verbleib in der Europäischen Union ausgesprochen. "Das liegt daran, dass sich die Schotten traditionell eher als Europäer und näher an Europa sehen als die Engländer", erklärt die Politikwissenschaftlerin. Zurückzuführen sei das auf die Geschichte. Seit den "Union Acts" Englands mit Wales (1536) und Schottland (1707) hat die Verfassung Großbritanniens gewissermaßen einen Webfehler. Es ist ein zentralisiertes System in einem Land, das eigentlich eine föderale Struktur benötigen würde", sagt Borucki.
Ein erneutes Unabhängigkeitsreferendum Schottlands sei ziemlich wahrscheinlich. Zumal die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon bereits im Vorfeld erklärt hatte, sie sehe ihr Land auch im Falle eines Brexit in Zukunft als Teil der EU. Neben der politischen Motivation spielen dabei auch ökonomische Gründe eine Rolle: "Die regionale Wirtschaft der Schotten hat enge Beziehungen zur EU, und es besteht eine Anbindung schottischer Unternehmen an Firmen, die ihren Sitz in der Europäischen Union haben", so die Politikwissenschaftlerin.
Die Nordiren wollen mehr Unabhängigkeit
Auch die Nordiren haben gegen den Brexit gestimmt. Die irisch-nationalistische Partei Sinn Fein forderte nach der Auszählung der Stimmen eine Abstimmung über eine Wiedervereinigung Irlands. "Die britische Regierung (...) hat jedes Mandat, die Interessen der Menschen in Nordirland zu repräsentieren, verloren", zitiert die "Irish Times" den Sinn-Fein-Vorsitzenden Declan Kearney. Auch der Erste Minister Nordirlands, Martin McGuinness, gab bekannt, die britische Regierung habe nach dem Brexit-Entscheid die Pflicht, ein Referendum über eine Vereinigung Nordirlands mit Irland anzusetzen.
Für die Politikwissenschaftlerin Borucki ist eine Fusion zwischen Nordirland und Irland allerdings nicht besonders realistisch: "Die Vereinigung der beiden Länder halte ich für sehr unwahrscheinlich. Die religiösen Gräben und Differenzen sind aufgrund des jahrelangen IRA-Terrors zu tief." Nordirland habe sich zwar für einen Verbleib in der EU entschieden, das sei aber nicht gleichbedeutend mit einem Votum für eine Fusion mit der Republik Irland. "Nordirland wird sich vermutlich seinem Schicksal ergeben, aber für mehr Unabhängigkeit einsetzen", sagt Borucki.
Wales bleibt in Großbritannien
Mit seinen drei Millionen Einwohnern ist Wales die ärmste Region Großbritanniens und traditionell Hochburg der Labour-Partei. Die Waliser haben sich entgegen den Empfehlungen ihres Ersten Ministers, Carwyn Jones, für den Brexit entschieden.
Somit dürften dem kleinen spürbare finanzielle Einbußen drohen. Denn Wales profitiert ebenso wie Nordirland von EU-Geldern in Milliardenhöhe.
Dir Iren befürchten Wirtschaftsbremse
Als direkter Nachbar des Vereinten Königreichs haben die Iren den Brexit mit Sorge aufgenommen. Zu keinem anderen Mitgliedsland in der EU pflegen sie so enge Beziehungen wie zu den Briten. Großbritannien ist zudem Irlands größter Handelspartner.
"Unser Finanzminister hat jetzt die Befürchtung geäußert, der Brexit könnte das Wirtschaftswachstum der Republik Irland in den kommenden zwei Jahren um 1,6 Prozent dämpfen", wird Irlands Botschafter in Deutschland, Michael Collins, im "Tagesspiegel" zitiert. Und er schließt: "Das ist keine gute Aussicht."
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