Kaum eine Branche leidet so sehr unter den andauernden Einschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie wie die Veranstaltungs- und Kulturwirtschaft. Die Grünen präsentierten nun einen Zehn-Punkte-Plan zur Rettung.

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Florian Weber spürt, wie Existenzängste den gesamten Kulturbereich erfasst haben. "In meinem nahen Umfeld vollzogen sich teilweise drastische Umstrukturierungen, Neuausrichtungen bis hin zu völliger Abwendung vom Künstlerdasein", sagt Flo, wie der Schlagzeuger der Deutschrock-Band "Sportfreunde Stiller" genannt wird.

Während in den allermeisten Branchen trotz Corona-Pandemie wieder einigermaßen normal gearbeitet werden kann, leiden Musiker, Schauspieler, Veranstalter, Toningenieure, Bühnenbauer und Caterer weiter. Alle Bundesländer untersagen bis Jahresende Veranstaltungen mit mehr als 1.000 Menschen, teilweise dürfen sogar nur einige Hundert Gäste kommen.

Die gesamte Veranstaltungs- und Kulturwirtschaft stehe mit dem Rücken zur Wand, eine Million Jobs seien bedroht, klagen mehrere Branchenverbände und das Aktionsbündnis #AlarmstufeRot. Bereits Ende September haben sie in einer gemeinsamen Erklärung massive Änderungen bei den Corona-Hilfen gefordert.

Der grüne "Zehn-Punkte-Plan zur Rettung der Veranstaltungswirtschaft"

"Was jetzt in ganz Deutschland an kultureller Vielfalt und Infrastruktur wegbricht, droht dauerhaft verloren zu gehen. Ein erneuter Aufbau wäre um ein Vielfaches teurer, als jetzt unbürokratisch und wirksam zu helfen", warnt Grünen-Chef Robert Habeck.

Er will Veranstaltern und Kulturschaffenden deshalb "unter die Arme greifen", wie er sagt. "Die Veranstaltungsbranche war die erste im Shutdown und sie wird die letzte sein, die wieder in ihren Berufsalltag zurückkehren kann", erklärt Habeck. Ihm zufolge würden die Hilfsprogramme der Bundesregierung an den Bedürfnissen der Betroffenen vorbeigehen.

Zusammen mit dem kulturpolitischen Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Erhard Grundl, hat Habeck einen "Zehn-Punkte-Plan zur Rettung der Veranstaltungswirtschaft" aufgesetzt. Das achtseitige Dokument liegt unserer Redaktion vor. Darin fordern die Grünen unter anderem ...

  • … ein Überbrückungsprogramm durch einen monatlichen Zuschuss von mindestens 2 Prozent des letzten Jahresumsatzes für alle bedrohten Unternehmen. Auch Fix- und Betriebskosten sollen bei erheblichen Umsatzeinbrüchen bis zu 80 Prozent übernommen werden. Die Mittel müssen nicht zurückgezahlt werden.
  • … die Einführung eines pauschalen und bundesweiten Existenzgeldes für Soloselbstständige in Höhe von 1.200 Euro monatlich.
  • …, dass Kosten für ausgefallene Veranstaltungen wie in Österreich unbürokratisch ersetzen werden. Dazu soll ein Schutzschirm eingerichtet werden.
  • … eine Anpassung der EU-Beihilferahmen für Härtefälle. Die aktuelle Höchstgrenze von 800.000 Euro soll ausgeweitet werden.
  • … die Schaffung einer zentralen Anlaufstelle, die über die Kultur-Hilfen des Bundes und der Länder informiert und persönlich berät.
  • …, zusammen mit Experten eine "Post-Corona-Strategie für die Branche" zu entwickeln.

Umsatz zu 100 Prozent eingebrochen

In der Branche selbst wird der Plan der Grünen positiv aufgenommen. "Er geht in die richtige Richtung", sagt der Geschäftsführer der Münchner Konzertagentur Target Concerts, Michael Löffler. Er fügt hinzu: "Wenn das tatsächlich alles passieren würde, könnten wir damit anständig durchhalten und ruhig schlafen."

Löffler hat neun Angestellte, dazu zwei freie Mitarbeiter. Seine Konzertagentur veranstaltet deutschlandweit Konzerte und Tourneen unter anderem von "Die Ärzte", "Sum 41", "Chemical Brothers" oder "Portugal. The Man". Aber mit Beginn der Corona-Pandemie sei der Umsatz zu 100 Prozent eingebrochen.

Annähernd hundert Veranstaltungen und Tourneen habe Löffler abblasen müssen. "Wir versuchen weiter, durchzuhalten, einen Mitarbeiter mussten wir allerdings schon entlassen", erzählt der Unternehmer.

Ihm fehlt vor allem ein bundesweit einheitliches Vorgehen bei den Corona-Maßnahmen. "Bei Vorlaufzeiten von sechs Monaten bis hin zu einem Jahr machen der derzeitige Flickenteppich der Verbote und die unterschiedlichen Vorgaben der Ämter eine Tourneeplanung so gut wie unmöglich und stressig."

Opposition kann Regierungskoalition nicht überzeugen

Auch der kulturpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Hartmut Ebbing, stimmt dem Vorstoß der Grünen grundsätzlich zu. Statt 1.200 Euro im Monat für Soloselbstständige, wie es die Grünen favorisieren, hat Ebbing bereits im Frühjahr eine Soforthilfe in Höhe von 9.000 Euro bis Ende des Jahres vorgeschlagen. Die genaue Ausgestaltung sei aber gar nicht das Problem, sagt der FDP-Politiker.

"Es gibt bei dem Thema Bereitschaft bei den Grünen und der Linkspartei, mit der FDP zusammenzuarbeiten. Wir bekommen einen Konsens binnen kürzester Zeit hin." Doch egal welcher Vorschlag aus der Opposition kommt: "Aus den zuständigen Fachministerien kommt kein Signal. Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, der Bundeswirtschaftsminister sowie der Finanzminister wollen nicht und spielen Pingpong, was die Zuständigkeit und Verantwortlichkeit angeht", sagt der FDP-Politiker.

Er kritisiert vor allem die Haltung der SPD: "Wir können nicht auf der einen Seite das Kurzarbeitergeld verlängern und auf der anderen Seite eine ganze Branche fallen lassen – das ist unfair. Wir brauchen eine schnelle Hilfe für die Veranstaltungswirtschaft und insbesondere die Soloselbstständigen. Es ist untragbar, dass diese nun zum Arbeitsamt müssen."

Kultur ist der große Verlierer der Corona-Pandemie

Elisabeth Motschmann ist die Sprecherin für Kulturpolitik der CDU/CSU-Bundestagsfaktion. Sie finde "es positiv, dass die Grünen sich über die Rettung der Veranstaltungswirtschaft Gedanken machen". Aus ihrer Sicht sei die schwarz-rote Regierung "allerdings längst in Vorleistung gegangen".

CDU-Politikerin Motschmann verweist auf das eine Milliarde Euro schwere Programm "Neustart Kultur" und Überbrückungshilfen des Bundeswirtschaftsministeriums. Zugleich gesteht sie aber, dass die Überbrückungshilfen "nicht so recht auf freischaffende Künstler und Kreative passen". "Denn diese haben kaum Betriebskosten, die erstattet werden könnten." Sie schlägt deshalb "eine Art Unternehmerlohn" vor, der auf dem Jahreseinkommen von 2019 basiert.

"Ohne Musik wird uns die Puste ausgehen"

Konzerte, Festivals, Partys, Kongresse, Messen oder Musicals im großen Umfang wird es wohl erst mit einem Impfstoff geben – doch der lässt weiter auf sich warten.

"Damit aber die Kulturlandschaft nicht verschwindet, ist eine finanzielle Unterstützung unerlässlich", sagt "Sportfreunde"-Schlagzeuger Flo. "Und damit meine ich nicht nur die Hochkultur, mit der sich die Politik gerne schmückt. Sondern die gesamten Kulturschaffenden bis ins Mark." Es brauche verantwortungsvolle Ideen und vor allem eine schnelle Umsetzung der Finanzfragen. "Keine Korinthenkackerei, keine Erbsenzählerei, keine Peanuts", sagt der Musiker.

Er befindet sich in einer vergleichsweise komfortablen Situation. Die "Sportfreunde Stiller" zählen zu den bekanntesten deutschsprachigen Bands des Landes, das Trio hat bereits mehrere Gold- und Platinalben veröffentlicht. Doch auch dem 46-Jährigen ist klar: "Ohne Musik und deren Live-Erlebnis wird uns allen irgendwann die Puste ausgehen."

Verwendete Quellen:

  • Bündnis 90/Die Grünen: "10 Punkte-Plan zur Rettung der Veranstaltungswirtschaft"
  • Schriftliche Stellungnahmen von Robert Habeck, Erhard Grundl, Elisabeth Motschmann und Florian Weber
  • Telefonat mit Michael Löffler und Hartmut Ebbing
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