Der Wirtschaftsweise Achim Truger über Auswege aus der Haushaltskrise, eine mögliche Reform der Schuldenbremse und die Frage, ob der Staat nicht schlicht mit dem Geld auskommen sollte, das er hat.

Ein Interview

Die Ampel-Koalition sucht einen Weg aus der Haushaltskrise: Nachdem das Bundesverfassungsgericht die nachträgliche Umwidmung von Corona-Hilfen in Höhe von 60 Milliarden Euro in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) für unzulässig erklärt hat, muss die Bundesregierung Löcher im Etat stopfen.

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Was also tun: Sparen, Steuern erhöhen oder die Schuldenbremse erneut – es wäre das vierte Mal in Folge – aussetzen?

Der Wirtschaftsweise Achim Truger hat eine klare Meinung: Die Politik sollte alles unterlassen, was die Konjunktur abwürgt. Er wirbt für mehr Pragmatismus in der Finanzpolitik.

Herr Truger, im Bundeshaushalt klafft ein Milliardenloch. Finanzminister Christian Lindner will die Ausgaben kürzen, SPD und Grüne würden lieber neue Schulden machen. Was raten Sie?

Achim Truger: Klar, das kann man machen, diese kreditfinanzierten Ausgaben einfach wegfallen lassen. Oder an anderer Stelle im Haushalt Mittel kürzen. Das würde aber die Konjunktur abwürgen. Es gibt bereits Studien, die zu dem Ergebnis kommen, dass das Bruttoinlandsprodukt dann im nächsten Jahr um 0,6 bis 0,9 Prozent niedriger ausfallen würde. Das heißt konkret: Deutschland würde schon wieder in die Rezession gedrückt. Der Aufschwung fiele aus. Von einer Kürzungspolitik rate ich ab.

Eine andere Möglichkeit, an mehr Geld zu kommen, wäre, die Steuern zu erhöhen.

Es wäre denkbar, eine Art Energie- und Klima-Soli als Zuschlag zur Einkommensteuer zu erheben. Das würde die obersten Einkommen etwas stärker belasten, auch die Unternehmen. Das wäre verträglicher als zu kürzen, aber auch höhere Steuern wirken wachstumsdämpfend. Das ist nicht das, was man im Augenblick gesamtwirtschaftlich wollen kann.

Truger: "Bundesverfassungsgericht hat die Schuldenbremse scharfgestellt"

Muss der Staat nicht mit dem Geld auskommen, das er hat?

Bislang dachte man: Auch mit der Schuldenbremse lassen sich genug Kredite aufnehmen, um auf Krisen, unvorhergesehene Ereignisse oder die Notwendigkeit der wirtschaftlichen Transformation reagieren zu können. Das ist jetzt nicht mehr so. Das Bundesverfassungsgericht hat die Schuldenbremse scharfgestellt. In der Vergangenheit war es möglich, aus den Schulden rauszuwachsen, die Defizite schrittweise zu verringern. Auch das erlaubt die Schuldenbremse kaum.

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Was schlagen Sie also vor?

Die ideale Lösung wäre, die Schuldenbremse so zu verändern, dass sie öffentliche Investitionen – etwa für Klimaschutz – privilegiert. Bis zu einer gewissen Höhe könnte man sie davon ausnehmen. Es geht dabei schließlich nicht um Konsum, sondern um Dinge, die in Zukunft wichtig sind und die Wohlstand schaffen.

Die Schuldenbremse lässt auch jetzt neue Kredite zu. Allerdings nur in Höhe von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Es gab in den letzten Jahren eine Verkettung von Krisen, und die Konjunktur erholt sich immer noch nicht. Da wäre es falsch, im nächsten Jahr wieder zur Regelgrenze der Schuldenbremse zurückzukehren. Sie müsste dahingehend ein Update bekommen, dass es möglich ist, für einen begrenzten Zeitraum – drei bis vier Jahre – höhere Kredite aufzunehmen, um erst aus der Krise zu wachsen und langsam zu konsolidieren.

Dafür aber müsste das Grundgesetz geändert werden, was Union und FDP ablehnen.

Weniger konfliktträchtig könnte ein Klimasondervermögen sein, das man ins Grundgesetz schreibt. Für die Bundeswehr hat man das auch gemacht. Diese 100 Milliarden unterliegen nicht der Schuldenbremse. Das wäre auch in Form eines Klimasondervermögens möglich. Natürlich: Auch da müsste die Union mitmachen.

Achim Truger: Ein höherer Finanzbedarf ist absolut plausibel

Ob sie das tut, ist fraglich. Bleibt als letzte Möglichkeit also nur: Die Schuldenbremse erneut aussetzen?

Es wäre aus meiner Sicht problemlos möglich, auch im nächsten Jahr das Ziehen der Ausnahmeregelung ökonomisch zu begründen. Bei dieser Verkettung von Krisen – der Krieg in der Ukraine, die stark gestiegenen Energiepreise, die vielen Geflüchteten – ist ein höherer Finanzbedarf absolut plausibel. Die Schuldenbremse auch im nächsten Jahr auszusetzen, würde etliche Milliarden an Entlastung für den Bundeshaushalt bringen.

Der Finanzminister sagt, dass neue Schulden auch die Inflation befeuern. Hat er da keinen Punkt?

Nein, da muss ich widersprechen. Die 60 Milliarden Euro aus dem KTF waren Kredite. Die fallen nun weg. Werden die Ausgaben jetzt doch wieder kreditfinanziert – etwa, indem die Schuldenbremse ausgesetzt wird –, entsteht kein zusätzlicher Inflationsdruck. Die Finanzpolitik ist in den kommenden Jahren ohnehin restriktiv ausgerichtet. Und: Wir sehen schon jetzt, dass sich die Teuerungsrate schneller als erwartet in Richtung Inflationsziel von zwei Prozent bewegt.

Befürworter der Schuldenbremse meinen: Nachfolgenden Generationen darf kein Schuldenberg hinterlassen werden. Ist finanzielle Nachhaltigkeit kein valides Argument?

Natürlich gibt es Grenzen von Staatsverschuldung. Etwa, wenn kreditfinanzierte Ausgaben so weit ausgedehnt werden, dass dadurch Inflation entsteht. Oder wenn der Schuldenstand stark steigt, die Zinsbelastung so zunimmt, dass man sie nicht mehr bedienen kann. Oder an den Kapitalmärkten Zweifel an der Solvenz eines Staates bestehen. Nur: All das trifft auf Deutschland nicht zu.

"Was uns beschränkt, sind die Regeln der Verfassung und Dogmen bei manchen in der Politik."

Achim Truger, Wirtschaftsweiser

Ist die deutsche Angst vor Schulden unbegründet?

Mit Blick auf die aktuelle Schuldenquote, also das Verhältnis von Staatsschulden zur Wirtschaftsleistung: sicher ja. Sie lag 2022 bei 66 Prozent, das ist weltweit ein sehr niedriges Niveau. In Frankreich sind es 110 Prozent, in den USA 120 Prozent. Im internationalen Vergleich ist die deutsche Staatsverschuldung unproblematisch. Oder anders ausgedrückt: Die Staatsschulden beschränken uns nicht darin, Investitionen in gewisser Höhe über mehr Kredite zu finanzieren. Was uns beschränkt, sind die Regeln der Verfassung und Dogmen bei manchen in der Politik – die aber ökonomisch nicht gerechtfertigt sind.

Heißt also: Es ist ein Irrglaube, dass der Staatshaushalt ähnlich wie ein Privathaushalt funktioniert und Schulden grundsätzlich schlecht sind?

Diese Analogie ist schwierig. Zum einen: Der öffentliche Haushalt hat alle Steuerzahlerinnen und Steuerzahler im Rücken – und meistens eine Zentralbank. Wenn Mittel gebraucht werden, gibt es also Möglichkeiten. Und zweitens: Auch der Privathaushalt, die gern zitierte schwäbische Hausfrau, würde nicht 60 oder 70 Jahre sparen, um sich eine Immobilie zu kaufen. Sie würde sich verschulden. Genauso wie es auch Unternehmen tun, um Investitionen zu tätigen. Ich kann Ihnen sagen: Das Ausland schaut einigermaßen perplex auf Deutschland und seine Regeln, mit denen sich die Finanzpolitik selbst ins Knie schießt.

Über den Gesprächspartner

  • Achim Truger ist Professor für Sozioökonomie mit Schwerpunkt Staatstätigkeit und Staatsfinanzen an der Universität Duisburg-Essen. Seit März 2019 ist er Mitglied im "Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung" und damit einer der fünf Wirtschaftsweisen. Truger studierte Volkswirtschaftslehre an der Universität zu Köln, wo er im Bereich Finanzwissenschaft promovierte.
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