Die Bundesrepublik steuert auf eine Haushaltskrise zu. In der Ampel herrscht Uneinigkeit, wie es mit der Schuldenbremse weitergehen soll. Und auch die Opposition ist gespalten.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Fabian Hartmann und Fabian Busch sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Saskia Esken kommt am Montag schnell zur Sache. Als die SPD-Chefin mittags im Berliner Willy-Brandt-Haus vor die Presse tritt, verliert sie ein paar Worte zur Situation in Gaza, sendet Grüße an die wiedergewählte Grünen-Parteispitze und ist dann auch schon bei dem Thema, das die Politik seit nunmehr zwei Wochen in Atem hält: die Haushaltskrise.

Mehr aktuelle News

Die Koalition werde "schnell und rechtssicher" zu einer "gemeinsamen Lösung kommen", verspricht Esken. Diese werde man "baldmöglichst" präsentieren.

Die Zeit drängt.

Der Ampel fehlen 60 Milliarden Euro, mindestens. Geld, das ursprünglich für die Bekämpfung der Corona-Krise eingeplant, aber nicht abgerufen war und das die Koalition in den klimagerechten Umbau der Wirtschaft stecken wollte – ein Buchungstrick, dem das Bundesverfassungsgericht einen Riegel vorgeschoben hat.

Seitdem herrscht Ratlosigkeit, wie es weitergehen soll. Und wieder einmal zeigen sich tiefe Gräben. In der Koalition, aber auch die Opposition ist alles andere als geschlossen.

In diesem Jahr umgeht die Regierung die Schuldenbremse – und dann?

Fakt ist: Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat angekündigt, für 2023 einen Nachtragshaushalt vorlegen zu wollen. Die Regierung plant, nachträglich die Ausnahmeregel der Schuldenbremse zu nutzen, um so einen Teil des Milliardenlochs zu stopfen. Doch unklar ist: Was kommt danach?

SPD-Chefin Esken sagt am Montag, dass es ein Fehler war, nicht bereits zu Beginn des Jahres die Schuldenbremse auszusetzen. Und: Auch in den kommenden Jahren gebe es "viele sich stapelnde Krisen", die nicht allein aus dem laufenden Haushalt zu finanzieren seien. Was im Klartext heißt: Geht es nach der SPD, dann sollte die Schuldenbremse auch im kommenden Jahr ausgesetzt werden.

Für die Genossen ist sie ohnehin inzwischen eine Investitionsbremse. Die Partei verlangt eine Reform des Regelwerks. Darauf hat sich die SPD-Spitze in einem Leitantrag für den Parteitag am übernächsten Wochenende verständigt. Die Zustimmung gilt als sicher.

Lesen Sie auch: Katrin Göring-Eckardt zur Ampel-Koalition: "Wir können uns wieder zusammenraufen"

"Wir brauchen eine aktive Wirtschaftspolitik, einen handlungsfähigen Staat", sagt Esken. Die Schuldenbremse unterscheide nicht zwischen Konsumausgaben und Investitionen – also zwischen Geld etwa für Steuersenkungen auf der einen Seite und Mitteln, die in Infrastruktur oder den Umbau der Wirtschaft fließen, auf der anderen Seite. Das ist aus Sicht der SPD-Chefin ein Konstruktionsfehler. Sie stellt klar: "Die Schuldenbremse darf nicht zur Zukunftsbremse werden".

Markenkern der Liberalen: FDP steht hinter der Schuldenbremse

Die Worte richten sich vor allem an den Koalitionspartner, an die Liberalen. Solide Staatsfinanzen sind der Markenkern der FDP. In der Ampel ist es vor allem das unterschiedliche Verständnis von Wirtschafts- und Finanzpolitik, das die Liberalen von SPD und Grünen trennt. Das Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts legt diesen (Grund-)Konflikt erneut offen – und zwar mit voller Wucht. Für die Liberalen ist die Schuldenbremse so etwas wie der heilige Grahl der deutschen Politik.

Viel wird jetzt von der FDP abhängen, deren Vorsitzender Christian Lindner bekanntlich auch Bundesfinanzminister ist. Die Liberalen haben neue Schulden und Steuererhöhungen bisher ausgeschlossen.

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai schließt bei seiner Pressekonferenz am Montagabend zwei Auswege kategorisch aus – und bleibt bei anderen Möglichkeiten vage. Erstens: Steuererhöhungen seien mit der FDP auf keinen Fall zu machen. Zweitens sind die Liberalen gegen eine Reform der Schuldenbremse, die die Obergrenze bei der Kreditaufnahme flexibler gestalten würde.

Allerdings ließe das Grundgesetz noch eine weitere Möglichkeit zu: Der Bundestag könnte für das Jahr 2024 – so, wie es sich auch SPD-Chefin Saskia Esken wünscht – erneut feststellen, dass sich das Land in einer Notsituation befindet und damit die Schuldenbremse außer Kraft setzen. Das ist schon in den Jahren 2020, 2021 und 2022 geschehen – und soll nun wohl auch für 2023 gelten. Nicht nur SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, sondern auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) haben sich dafür ausgesprochen.

Djir-Sarai will über dieses Thema aber am Montag – noch – nicht sprechen. Es gehe jetzt zunächst darum, den Haushalt für das noch laufende Jahr "umzubauen". Zum folgenden Jahr sagt er nur: "Auch der Haushalt 2024 wird verfassungsgemäß aufgestellt. Konsolidierende Sparmaßnahmen werden dabei eine zentrale Rolle spielen."

Das lässt zwischen den Zeilen Raum für Spekulationen. Denn auch wenn Sparen die "zentrale" Rolle spielt, könnten zusätzliche Schulden zumindest eine Nebenrolle spielen. Allerdings will sich der FDP-Generalsekretär nicht genauer zu dem Thema äußern. "Ich werde nicht in der Öffentlichkeit diese Dinge diskutieren, zumal die noch nicht in den zuständigen Gremien diskutiert wurden", sagt er.

Gut möglich, dass sich auch die FDP noch in dieser Frage bewegt.

Debatte um Schuldenbremse erreicht auch die Union

Was auffällig ist: Auch CDU und CSU als die größte Oppositionsfraktion sind nicht so geschlossen, wie es zunächst erscheint. Zwar war es die Unionsfraktion, die Klage beim Verfassungsgericht gegen den Ampel-Haushalt eingereicht hat. Doch auch für die Union, die in vielen Ländern den Ministerpräsidenten stellt, ist dieses Urteil mit Gefahren verbunden. Einige sagen das auch ganz offen.

Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) war der erste, der sich aus der Deckung wagte. "Die Schuldenbremse ist im Sinne solider Finanzen eine gute Idee. Ihre derzeitige Ausgestaltung halte ich allerdings für gefährlich", schrieb Wegner auf X, ehemals Twitter. Im "Stern"-Interview ließ Wegner wissen, er befürchte, "dass die Schuldenbremse mehr und mehr zur Zukunftsbremse wird". Damit grenzte sich Wegner deutlich von CDU-Chef Friedrich Merz ab, der an der Schuldenbremse so, wie sie ist, festhalten möchte.

Vor allem im Osten regt sich Widerstand. Auch die Ministerpräsidenten aus Sachsen-Anhalt und Sachsen, Reiner Haseloff und Michael Kretschmer, haben sich für eine Reform der Schuldenbremse ausgesprochen. Die Debatte erreicht nun auch die CDU.

CDU-General: "Deutschland hat ein Ausgabenproblem"

Die Parteispitze will davon – bislang – nichts wissen. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sagte unserer Redaktion: "Die Frage nach einer Reform der Schuldenbremse stellt sich in Wahrheit doch gar nicht. Deutschland nimmt annähernd eine Billion Euro Steuern ein. Das zeigt: Deutschland hat kein Einnahmeproblem, sondern ein Ausgabenproblem". Linnemann fordert die Bundesregierung auf, den Verfassungsbruch anzuerkennen und bei den Ausgabenwünschen im Haushalt Prioritäten zu setzen.

"Ganz Europa blickt auf uns. Wenn wir jetzt mit unseren Prinzipien brechen, gibt es in Europa kein Halten mehr."

Carsten Linnemann, CDU-Generalsekretär

Eine schnelle Abkehr von der Schuldenbremse ist ohnehin nicht zu erwarten. Für eine Reform müsste das Grundgesetz geändert werden. Und dafür bräuchte es eine 2/3-Mehrheit im Bundestag. Die ist aktuell nicht in Sicht. CDU-Generalsekretär Linnemann stellte gegenüber unserer Redaktion klar: "Wir, die Union, stehen fest zur Schuldenbremse. Ganz Europa blickt auf uns. Wenn wir jetzt mit unseren Prinzipien brechen, gibt es in Europa kein Halten mehr."

Nach dem Wochenende allerdings ist klar: Diese strikte Haltung wird längst nicht mehr von allen in der Union so geteilt.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.