• Die Grünen wollen das Kanzleramt holen.
  • Wer von ihnen im Erfolgsfall dort einziehen soll, das wollten die Parteivorsitzenden miteinander ausmachen.
  • Kurz bevor der Vorschlag offiziell wird machen beide noch einen Ausflug in die politische Heimat.

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Robert Habeck hat die Kandidatur in der Tasche. Nicht die für das Kanzleramt, aber immerhin schon einmal die als grüner Direktkandidat für den Wahlkreis Flensburg-Schleswig. 72 Stimmen bekommt Habeck bei einer coronakonformen Freiluft-Veranstaltung im Örtchen Steinbergkirche von den Mitgliedern der Kreisverbände von Flensburg und dem Kreis Schleswig-Flensburg. Nur einer votiert gegen den einzigen Bewerber. Er wolle sich einsetzen für seine Region, verspricht Habeck, und: "Ich will die Grünen in die Regierung führen."

Zwei Tage, bevor der Parteivorstand bekannt geben will, ob Parteichefin Annalena Baerbock (40) oder Co-Chef Habeck Kanzlerkandidat (51) werden soll, genießt der frühere schleswig-holsteinische Umweltminister ein Heimspiel im hohen Norden. "Wir werden das am Montag fröhlich und souverän verkünden", sagt Habeck ohne zu verraten, ob Baerbock und er sich untereinder schon geeinigt haben. Ein Parteitag im Juni muss den Kandidaten oder die Kandiatin noch formal bestätigen.

Baerbock: "Dieses Land muss besser regiert werden"

Auch für Baerbock werden am Samstag Weichen für die Bundestagswahl gestellt, knapp 400 Kilometer von Steinbergkirche entfernt. "Dieses Land muss besser regiert werden", ruft sie den Delegierten beim Brandenburger Landesparteitag in Potsdam zu. "Wir fordern die Union heraus."

Mit 106 von 109 Stimmen wählt ihr Landesverband Baerbock als einzige Bewerberin auf Platz 1 der Brandenburger Liste für die Bundestagswahl, bei einer Gegenstimme und zwei Enthaltungen. Direktkandidatin für die Landeshauptstadt Potsdam, wo sie auch lebt, ist sie bereits. Sie gibt sich ehrgeizig: "Wir wollen das erste bündnisgrüne Direktmandat in Ostdeutschland seit 30 Jahren gewinnen."

Habeck wirkt gelöst bei seinem Auftritt auf der Wiese des Jugendhofs in Steinbergkirche wie er es nur selten auf der Berliner Bühne ist. Dass er gegen das Krächzen zahlreicher Krähen anreden muss bei diesem Freiluft-Termin ficht den früheren "Draußenminister", wie er sich selbst gern bezeichnet hat, nicht an.

Die rund 20 Kilometer aus Flensburg hat er mit dem Rad zurückgelegt. Die "Nordabstinenz", die er sich nach dem Wechsel nach Berlin auferlegt habe, um mit dem "Phantomschmerz" des Abschieds aus Schleswig-Holstein klarzukommen, habe er mit der Entscheidung für das Direktmandat beendet. "Ich habe gemerkt, wie sehr diese Region tatsächlich Heimat ist", sagt Habeck. Nicht nur politisch, sondern auch familiär. Er lobt die kulturelle Vielfalt der Region, mitten in seiner Rede wechselt er ins Dänische.

Bei Auftritten in Berlin verheddert sich der Vater von vier erwachsenen Söhnen manchmal in den eigenen Gedankengängen. In Steinbergkirche ist er auf den Punkt, beredt, locker. Die Bundespolitik sei manchmal zu sehr auf Berlin konzentriert, Meeresschutz habe kaum eine Bedeutung, sagt Habeck. Was nütze die schwarze Null bis 2030, wenn dafür das Klima ruiniert werde. "Politik wirkt im Konkreten", sagt interessanterweise auch Baerbock in ihrer Rede und verweist auf ihr Engagement für Geflüchtete in Potsdam und auf die Nöte von Kindern in der Pandemie.

Bundestagswahl 2021: Grüne als Hauptgegner der Union

Seit sie die Führung der Grünen Anfang 2018 übernommen haben, leben Baerbock und Habeck mit dem ständigen Vergleich. Er lag lange vor ihr in den Umfragen, auch wenn sich das Blatt zuletzt wendete. Während Habeck bei den schleswig-holsteinischen Grünen rasch Karriere machte, arbeitete sie in Gremien der Bundespartei mit und war Vorstandsmitglied der Europäischen Grünen Partei. Die Mutter zweier kleiner Töchter gilt als parteiintern exzellent vernetzt. Im Vergleich zu ihrem Co-Parteichef wirkt sie inhaltlich sattelfester, bringt aber auch weniger vom Außenseiter-Charme des Buchautors und studierten Philosophen Habeck mit.

Womit die Ökopartei bei Wählerinnen und Wählern eher punkten kann, darüber lässt sich trefflich streiten. Habecks Ausstrahlung könnte weiter über das grüne Milieu hinausreichen, Baerbock einen harten Wahlkampf womöglich unfallfreier überstehen. So oder so wollen beide die Grünen als Spitzenduo in den Wahlkampf führen, "unabhängig davon, wer einen halben Schritt zurückgeht", wie Habeck es formuliert.

Dass beide nach der Wahl Ende September in den Bundestag einziehen, daran bestehen keine Zweifel. Zwar dürfte es Habeck schwer haben, der Konkurrentin von der CDU das Direktmandat abzujagen, denn der ländliche Raum im Norden Schleswig-Holsteins ist fest in Hand der CDU - und bei Landwirten und Windkraftgegnern dort hat er nicht nur Freunde. Er steht allerdings auf dem sicheren Platz zwei der Landesliste. Auch bei Baerbock ist das Direktmandat keineswegs sicher. Ihr Potsdamer Wahlkreis ist heiß umkämpft, sie tritt dort unter anderem gegen den SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz an.

Bei Fragen nach der grünen Kanzlerkandidatur bleibt auch Baerbock am Samstag auf Linie. Eine Spitze gegen die Union, wo CSU-Chef Markus Söder und CDU-Chef Armin Laschet immer noch um die Kandidatur der Union ringen, verkneift sie sich nicht: Anders als andere halte man sich an das verabredete Verfahren. "Was vorher gilt, gilt auch nachher. Und deswegen werden wir all diese Entscheidungen am Montag dann verkünden." (Martina Herzog/André Klohn/Klaus Peters/dpa/ash)

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