Helge Braun ist ein Arzt aus Hessen, zugleich aber Chef des Bundeskanzleramts. Bislang hielt er sich für die Öffentlichkeit stark zurück. Doch mit der Coronavirus-Pandemie wird Braun nun zur neuen kommunikativen Schlüsselfigur Merkels - und ersetzt zusehends Jens Spahn.

Dr. Wolfram Weimer
Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Wolfram Weimer dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

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Die Coronakrise sortiert Deutschlands Politik neu. Während die CDU ein gewaltiges Comeback erlebt, stürzen Grüne und AfD in den Umfragen regelrecht ab. Es ist die Stunde der Exekutive und so gewinnen die Regierenden wie die alten Volksparteien an Zuspruch. Die SPD holt die Grünen plötzlich wieder ein. Es wachsen zudem politische Gewinnerfiguren heran wie Markus Söder (CSU) und Olaf Scholz (SPD), die beide in der Krise ihre Kanzlertauglichkeit demonstrieren. Spiegelbildlich bergab geht es dagegen mit Robert Habeck (Grüne), der plötzlich wie aus der Zeit gefallen wirkt, wie ein plaudernder Schönwetterkapitän für Dinnerabende auf einer Eisbärenkreuzfahrt.

Doch jede Krise bringt auch politische Durchstarter und Aufsteiger hervor. Anfangs schien diese Rolle Gesundheitsminister Jens Spahn zuzufallen. Doch seit einigen Tagen überlässt er Virologen und dem Präsidenten des Robert-Koch-Instituts (RKI) die Bühne und damit Deutungshoheit. In Berlin wundert man sich, warum die ungelenken RKI-Pressekonferenzen plötzlich den Nachrichtentakt der Coronakrise vorgeben - und nicht der Tonfall eines besonnen-souveränen Ministers, den Spahn anfangs so gut intoniert hat.

Helge Braun sitzt im Notarztwagen der Republik

In diese Lücke ist nun Helge Braun vorgestoßen. Helge wer?, fragten selbst politisch Interessierte noch vor kurzem. Doch seit dieser Woche hört und sieht man ihn auf allen Nachrichtenkanälen. Helge Braun ist Chef des Bundeskanzleramts, Angela Merkels wichtigster Manager und seit dieser Woche ihr Sprachrohr in der Coronakrise.

Braun besetzt für Merkel perfekt die Rolle des medizinischen Krisennavigators, denn der hochgewachsene Mann war vor seiner politischen Karriere Narkosearzt und Intensivmediziner am Uni-Klinikum Gießen. Wie kein anderer in der Regierung versteht er, was Virusbekämpfung konkret heißt. Vor Ausbruch der Pandemie veröffentlichte er auf seiner Homepage das ungewöhnliche Bekenntnis, was er denn in seinem bürokratischen Leben als Kanzleramtschef vermisst: "Zuweilen träume ich schon davon, im Notarztwagen zu sitzen, mal wieder praktischer zu arbeiten." Nun sitzt er im Notarztwagen der Republik.

Braun passt geschmeidig zum politischen Habitus Angela Merkels. Wie sie ist auch er ein preußisches Naturell, ein uneitler Mann der pflichtbewussten Töne. Beide, die Physikerin und der Mediziner, eint ein sachlicher, beinahe naturwissenschaftlicher Blick auf die Welt. Das ausgleichende Wesen Brauns hat der Großen Koalition schon manchen Schiffbruch erspart. Insbesondere zu den Ministerpräsidenten pflegt er einen guten Draht und minimiert so die Zahl der Vermittlungsverfahren wie der öffentlichen Streitereien.

Und so hält er auch inmitten der Krisenspannungen hinter den Kulissen die Fäden zusammen. Manche rufen ihn bereits den "Buddha von Berlin". Inmitten des politischen Gezänks, wer denn jetzt der beste Krisenmanager Deutschlands sei, beruhigte er die erhitzten Gemüter mit einem typisch-weisen Helge-Braun-Satz: "Die Krise ist so groß, da ist für jeden ein Heldenstück dabei."

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Braun hat Erfahrung im Kampf gegen das Ebolavirus

Braun hat eine seltene, aber wertvolle innere Distanz zu den Eitelkeiten des Politikbetriebs. Er wurde 2002 erstmals in den Bundestag gewählt, doch nach der vorgezogenen Neuwahl 2005 war er sein Mandat schon wieder los. Er arbeitete fortan wieder als hauptberuflicher Narkosearzt, bis er 2009 den Wahlkreis Gießen zurückeroberte und als direkt gewählter Abgeordneter ins Parlament einzog.

Er wurde parlamentarischer Staatssekretär im Bildungs- und Forschungsministerium. In dieser Zeit engagierte er sich im Kampf gegen den Ebolavirus in Afrika - eine Erfahrung, die ihm nun in der Pandemie ebenfalls hilft.

Braun verfügt damit in der Coronakrise über eine seltene Fachkompetenz und das passende Naturell sachlicher Ernsthaftigkeit. Zugleich aber - und das unterscheidet ihn von Angela Merkel - ist er ein heiter-katholisches Naturell. Er speist und lacht gerne. In seinem Büro haben seine Vorgänger ein pathetisches Bild Bismarcks aufgehängt, er hingegen das Trikot seiner Gießener Basketballmannschaft, für die er einmal gespielt hat. Er ist ein bodenständiger, typisch hessischer Optimist. Er schaut lieber in das halb volle Glas des Lebens.

Und so gibt Helge Braun mit seinem Auftreten der Coronakrise plötzlich einen neuen Ton der Zuversicht. Zwar warnt er vor übereilten Hoffnungen auf ein vorzeitiges Ende der Kontaktsperren. Aber er lässt zugleich durchblicken, dass er einen Plan für das Ende des nationalen Zwangskomas in der Tasche hat. Eine Aufgabe, wie geschaffen für den mächtigsten Anästhesisten Deutschlands, der in der Medizin wie in der Politik die Kunst der Dosierung beherrscht und verschmitzt sagt: "Die Kunst des Anästhesisten ist nicht, dass jemand einschläft, sondern dass alle wieder aufwachen."

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