Edward Snowden ist für die USA der Staatsfeind Nummer 1. Seine Ergreifung hat höchste Priorität. Eine bolivianische Regierungsmaschine musste wegen des Verdachts, Snowden heimlich auszufliegen, in Wien in der Nacht zu Mittwoch außerplanmäßig landen – ganz Südamerika ist in Aufruhr. Die Welt rätselt: Welchen Einfluss hatte US-Präsident Barack Obama und wie weit würden die USA bei der Jagd auf den Informanten gehen?

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In Südamerika herrscht Wut über den Zwangsstopp der bolivianischen Präsidentenmaschine in Wien. Regierungsvertreter sehen internationales Recht verletzt. Bolivien erwägt inzwischen sogar die Schließung der US-Botschaft in La Paz. Vor allem der bolivianische Präsident Morales, dessen Land Snowden am Anfang der Krise Asyl in Aussicht gestellt hatte, wettert aufgrund des Vorfalls gegen Amerika: "Ohne die USA stehen wir politisch und demokratisch besser da, ohne die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds geht es uns wirtschaftlich besser, deshalb brauchen wir sie nicht." Lateinamerika, China, Russland und einige europäische Staaten seien die neuen Alliierten Boliviens.

Auch andere südamerikanische Staaten ziehen laut Informationen der Nachrichtenagentur dpa nach. Die Staatschefs von Ecuador, Venezuela, Argentinien, Uruguay und Suriname fordern eine Erklärung von Frankreich, Italien, Portugal und Spanien zu den erteilten Überflugverboten für den bolivianischen Präsidenten und eine öffentliche Entschuldigung.

Hintergründe der Wien-Landung weiter unklar

Warum es in der Nacht zu Mittwoch zum Entzug der Überflugrechte für die Präsidentenmaschine kam, steht noch nicht endgültig fest. Doch Obama könnte durchaus auf die europäischen Partner Einfluss genommen haben, meint Sebastian Feyock, Amerika-Experte bei der Deutschen Gesellschaft für auswärtige Politik: "Ob die US-Diplomaten auch auf europäische Staaten Einfluss genommen haben, um dem bolivianischen Präsidenten Morales den Überflug zu verweigern, steht bislang noch nicht fest. Ausgeschlossen ist dieses Vorgehen aber nicht. Selbst wenn hier kein massiver Druck ausgeübt wurde, werden die europäischen Staaten gute Beziehungen zu den transatlantischen Partnern nicht für taktische Manöver in einem Kriminalfall riskieren. Letztendlich bleibt der Fall Snowden ein Fall für die US-amerikanische Justiz."

Auch das Schicksal von Snowden selbst bleibt rätselhaft. Noch immer soll er sich im Transit-Bereich des Moskauer Flughafens Scheremetjewo aufhalten. Asylanträge in mehreren Ländern, darunter auch Deutschland, wurden aufgrund formaler Fehler oder anderer Gründe abgelehnt.

Jagd auf Snowden: Wie weit gehen die USA?

Der Vorfall in Wien zeigt die Verunsicherung, die viele Staaten und deren Einwohner gerade heimsucht. Denn niemand kann abschätzen, wie weit die USA in ihrer Jagd auf Snowden gehen werden. Zum äußersten wird es aber wohl nicht kommen, meint Amerika-Experte Feyock: "Präsident Obama hat bislang betont, dass er keine militärischen Mittel zur Ergreifung Snowdens einsetzen werde. Ein möglicher Flug des ehemaligen Geheimdienstmitarbeiters in einer Linienmaschine würde demnach nicht durch US-Kampfjets abgefangen. Trotzdem werden die US-Behörden weiterhin versuchen, Snowden zurück in die USA zu bringen und vor ein Gericht zu stellen. Militärische Aktionen halte ich für ausgeschlossen, da es sich in erster Linie um ein juristisches Verfahren handelt. Dabei wird die Obama-Regierung vor allem auf das ganze Spektrum diplomatischer und rechtlicher Instrumente zurückgreifen."

Dass die Reise Snowdens, auch ohne die Gefahr einer amerikanischen Intervention, in Europa enden wird, ist laut Feyock allerdings fast ausgeschlossen. Die Europäische Union unterhält bereits seit Jahren ein Auslieferungsabkommen mit den USA. Vergleiche mit dem dort bereits geführten Prozess gegen Bradley Manning ließen darauf schließen, dass auch Edward Snowden dort nicht die Todesstrafe drohen sollte, womit die Auslieferung möglich wäre. Die Missachtung des Abkommens hätte die Brüskierung Washingtons zur Folge.

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