Unterschiedlicher könnten Politiker kaum sein: Der laute Exzentriker Milei besucht am Sonntag den leisen Pragmatiker Scholz in Berlin. Viel wird man davon aber nicht mitbekommen.

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Im Wahlkampf ist er mit laufender Kettensäge aufgetreten, die sinnbildlich den aus seiner Sicht überbordenden Staat zerstückeln sollte. Er behauptet, mit seinem gestorbenen Lieblingshund zu kommunizieren, tituliert unliebsame Parlamentarier als "Ratten" und wettert gegen die Kaste - wie er das politische Establishment nennt. Bei der Vorstellung seines neuen Buchs "Kapitalismus, Sozialismus und die neoklassische Falle" griff der selbst ernannte "Anarchokapitalist" kürzlich zum Mikrofon und sang vor Tausenden Anhängern einen Rocksong. "Ich bin der König, ich werde dich zerstören. Ich habe Appetit für die ganze Kaste", schmetterte er.

An diesem Wochenende kommt Argentiniens Präsident Javier Milei, der häufig mit dem früheren US-Präsidenten Donald Trump verglichen wird, zu seinem Antrittsbesuch nach Deutschland. Die Europareise begann am Freitag in Madrid, am Samstag erhält er in Hamburg den Preis eines liberalen Ökonomenverbandes. Am Sonntag steht schließlich ein Treffen mit Kanzler Olaf Scholz im Kanzleramt auf seinem Programm. Der ist als Politiker so ziemlich das Gegenteil von Milei: Hier der kühle Pragmatiker, da der laute Exzentriker.

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Kein Empfang mit militärischen Ehren auf Wunsch Mileis

Vom Aufeinanderprallen dieser beiden Politikstile wird man aber nicht viel mitbekommen. Der ursprünglich geplante und öffentlich angekündigte Empfang mit militärischen Ehren - beim Antrittsbesuch eines Staatspräsidenten eigentlich üblich - wurde kurzfristig wieder abgesagt. Das sei auf Wunsch Mileis geschehen, sagte der deutsche Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Freitag. Er sprach auch von einer "klaren Weigerung des argentinischen Präsidenten, eine Pressekonferenz zu machen". Für den Besuch sei nun nur noch eine Stunde vorgesehen.

Dass Scholz sich überhaupt mit Milei trifft, verteidigte Hebestreit allerdings. "Ich glaube man kann es sich in der Weltpolitik nicht aussuchen, mit wem man es zu tun hat", sagte er. "Herr Milei ist demokratisch gewählt und er hat eine Einladung nach Berlin angenommen."

Medaille für "Weitsicht und Mut" in Hamburg

Der einzige öffentliche Auftritt Mileis in Deutschland wird nun am Samstag bei der Hamburger Friedrich-August-von-Hayek-Gesellschaft stattfinden, die ihm eine nach dem österreichischen Vordenker des Neoliberalismus Hayek benannte Medaille verleihen wird. Dort wird Milei auch eine Rede halten. "Es geht darum, dass Javier Milei die Weitsicht und den Mut besitzt, einem Land, das seit Jahrzehnten von einer Krise in die nächste taumelt, eine Runderneuerung anzubieten, die an den Wurzeln des Übels ansetzt", begründete der Vorsitzende Stefan Kooths die Entscheidung in einem Interview des "Handelsblatts".

Linke Organisationen haben zu Protesten aufgerufen. In der Nähe des Hamburger Veranstaltungsortes soll am Samstag eine Demonstration unter dem Motto "Kein Preis für die extreme Rechte - Keine Medaille für Milei" stattfinden.

Mileis Sparprogramm sorgt für gewalttätige Proteste

Mileis großes Thema ist der Abbau staatlicher Regulierungen und der Kampf gegen die Inflation. Seit seinem Amtsantritt im Dezember hat sich in dieser Hinsicht durchaus etwas getan. Erstmals seit langem ist der argentinische Staatshaushalt ausgeglichen und die Inflation ging deutlich zurück. Das hat allerdings seinen Preis: Das harte Sparprogramm würgt die Wirtschaftsleistung ab. Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 2,8 Prozent im laufenden Jahr.

Die Inflation in Argentinien ist noch immer eine der höchsten der Welt. Die zweitgrößte Volkswirtschaft Südamerikas leidet unter einem aufgeblähten Staatsapparat, geringer Produktivität der Industrie und einer großen Schattenwirtschaft, die dem Staat viele Steuereinnahmen entzieht. Die Regierung strich Tausende Stellen im öffentlichen Dienst, kürzte Subventionen und wickelte Sozialprogramme ab. Nach Angaben der Katholischen Universität Argentiniens leben knapp 56 Prozent der Menschen in Argentinien unter der Armutsgrenze und rund 18 Prozent in extremer Armut.

Nach monatelangen Verhandlungen brachte Milei, der im Parlament in Buenos Aires über keine eigene Mehrheit verfügt, in der vergangenen Woche schließlich ein Reformpaket durch den Senat. Die Gesetzesinitiative sieht unter anderem die Privatisierung mehrerer staatlicher Unternehmen, Steuererleichterungen für Großinvestoren sowie Arbeitsmarkt- und Steuerreformen vor. Soziale Bewegungen und die linke Opposition verurteilen das Reformpaket als neoliberal und unsozial. Während der Debatte im Kongress kam es auf dem Vorplatz zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei.

Treffen mit Trump und Musk statt mit Biden in den USA

Bislang hat Milei erst wenige typische Auslandsreisen absolviert. Seit seinem Amtsantritt im Dezember vergangenen Jahres war er in offizieller Mission lediglich in Israel, Italien und El Salvador. Zudem nahm er zuletzt am G7-Gipfel in Italien und der Friedenskonferenz für die Ukraine in der Schweiz teil. Die für argentinische Präsidenten üblichen Reisen in die wichtigen Nachbarländer wie Brasilien und Chile ließ Milei wegen ideologischer Differenzen hingegen ausfallen.

Stattdessen traf sich der Staatschef in den USA mit Tesla-Boss Elon Musk, besuchte den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump auf der ultrakonservativen CPAC-Konferenz und trat in Spanien auf Einladung des Rechtspopulisten Santiago Abascal bei einer Kundgebung zur Europawahl auf. Dort wetterte er gegen den Sozialismus und ließ sich wie ein Rockstar feiern. Außerdem bezeichnete er die Frau von Ministerpräsident Pedro Sánchez als korrupt und löste damit einen diplomatischen Eklat aus.

Spanien warf ihm "Einmischung in die inneren Angelegenheiten" und ein "Frontalangriff auf unsere Demokratie, auf unsere Institutionen und auf Spanien" vor. Die Forderung nach einer öffentlichen Entschuldigung lehnte Milei ab. Er setzt seitdem seine Verbalattacken fort.

Kein Termin bei König oder Regierung in Spanien

Am Freitag kehrte Milei trotzdem nach Madrid zurück. Der Eklat mit Sánchez führte dazu, dass es dort gar keine Treffen mit Regierungsvertretern oder König Felipe VI. gab. Stattdessen wurde er unter anderem von der Regionalpräsidentin Isabel Díaz Ayuso empfangen. Die konservative Politikerin verlieh ihm abends die "Medalla Internacional" ihrer sogenannten Autonomen Gemeinschaft.

Die Zentralregierung warf Ayuso vor, Sánchez damit "provozieren" und "ärgern" zu wollen. Die Menschen, die sich vor dem regionalen Regierungssitz an der Puerta del Sol im Zentrum Madrids versammelten, sahen das anders. Sie ließen den Gast aus Argentinien hochleben und skandierten "Milei, Milei!", "Freiheit, Freiheit!", und "Freund Milei, Spanien steht dir zur Seite!" In einer Rede wiederholte der Gast einige seiner Überzeugungen: "Lasst nicht zu, dass Sozialismus euer Leben ruiniert" und "Der Sozialismus basiert auf Neid, Hass und Ressentiments", rief er energisch. (dpa/br)

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