Trotz aller Krisen vertraut die Mehrheit der Jugendlichen in Deutschland auf Staat und Demokratie – ein nicht unerheblicher Teil ist aber politikverdrossen. Einen Rechtsruck unter Jugendlichen sehen die Forscher der neuen Shell-Jugendstudie explizit nicht. Allerdings machen sie unter männlichen Teenagern einen Trend aus.
Einer neuen Studie zufolge ist der Anteil junger Männer, die sich politisch "eher rechts" verorten, seit 2019 deutlich gestiegen. Demnach gaben bei einer Befragung Anfang 2024 ein Viertel aller männlichen Jugendlichen in Deutschland an, politisch "rechts" oder "eher rechts" zu stehen. Im Jahr 2019 lag der Anteil noch bei 16 Prozent – und damit unter einem Fünftel.
Bei jungen Frauen sei die Entwicklung mit einer leichten Steigerung von zehn auf elf Prozent im Vergleich zu 2019 dagegen eher stabil geblieben. Das geht aus der repräsentativen Shell-Jugendstudie hervor, die am Mittag in Berlin vorgestellt wurde.
Wie wurde die Studie durchgeführt?
- Befragt wurden nach Angaben des Energieunternehmens Shell, das die Studie in Auftrag gegeben hat, 2.509 Jugendliche zwischen zwölf und 25 Jahren nach ihren Einstellungen zu diversen Themen – unter anderem zu Familie, Freunden, politischen Einstellungen und aktuellen Konflikten in der Welt.
- Die Erhebung fand auf Grundlage eines standardisierten Fragebogens im Zeitraum Januar bis Ende März 2024 statt.
- Im Rahmen der qualitativen Studie wurden rund zweistündige vertiefende leitfadengestützte Gespräche mit 20 Jugendlichen dieser Altersgruppe durchgeführt.
- Wissenschaftler der Universität Bielefeld und der Pädagogischen Hochschule Vorarlberg werteten das Material in Zusammenarbeit mit dem demoskopischen Institut Verian aus.
Beachtlicher Anteil an verdrossenen Jugendlichen
Die Befunde der Forscher sind angesichts der jüngsten Wahlergebnisse bei den Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern und der Europawahl nicht überraschend: Bei allen Wahlen war der Anteil junger Menschen, die sich für die AfD entschieden, besonders hoch. In Thüringen setzten laut Forschungsgruppe Wahlen 35 Prozent der Menschen zwischen 18 und 29 Jahren ihr Kreuz bei der in dem Land als rechtsextrem eingestuften Partei.
"Wir sehen einen beachtlichen Anteil an verdrossenen Jugendlichen, insgesamt rund zwölf Prozent der jungen Leute", erklärte Studienleiter Mathias Albert. Zudem gebe es einen erheblichen Anteil kritischer und unzufriedener Jugendlicher.
Diese seien leicht durch Populismus erreichbar, kritisch gegenüber Staat und Gesellschaft eingestellt und sähen sich als benachteiligte Modernisierungsverlierer. Sie positionieren sich der Studie zufolge konträr zu allem, was pluralisierten Lebensstilen entspricht. Jugendliche mit eher niedriger Bildung, aber auch aus den neuen Bundesländern und auffallend viele junge Männer gehörten zu dieser Gruppe.
"Nichtsdestotrotz: Die verdrossenen und unzufriedenen Jugendlichen prägen keinesfalls die ganze Generation", betonte Albert. So stuften sich die befragten Jugendlichen auf einer Skala von eins für links bis elf für rechts mit einem Durchschnittswert von 5,3 sogar als leicht links ein. Damit bleibt dieser Wert stabil.
Jugendliche haben klarere Vorstellung zu politischer Einstellung
Einen pauschalen Rechtsruck unter jungen Leuten sehen Albert und sein Team nicht. Auffällig sei unter anderem, dass junge Menschen unabhängig vom Geschlecht eine klarere Vorstellung zu ihren politischen Einstellungen hätten als noch vor fünf Jahren: Während 2019 noch etwa 17 Prozent der jungen Männer angaben, nicht zu wissen, wo sie politisch stünden, waren es 2024 nur noch acht Prozent, die zu dieser Frage "weiß nicht" angaben. Bei jungen Frauen war die Entwicklung ähnlich.
Das spiegelt sich auch in der Informationsbeschaffung wider: Erstmals informiert sich eine Mehrheit der Jugendlichen zu politischen Themen. Mehr als die Hälfte (51 Prozent) geben an, sich aktiv, ob online oder offline, über das politische Geschehen zu informieren. 2019 waren es mit 36 Prozent insgesamt noch deutlich weniger junge Menschen. Digitale Kanäle spielen dabei eine immer größere Rolle.
Jugendliche wünschen sich zudem mehr Medienkompetenz: 90 Prozent der Befragten halten es für (sehr) wichtig, dass der Umgang mit digitalen Medien und das Erkennen von Fakenews in der Schule verpflichtend unterrichtet werden. 60 Prozent finden, dass der Umgang mit Künstlicher Intelligenz (KI) verpflichtender Inhalt in der Schule sein soll.
Vertrauen in Institutionen und Staat
Insgesamt sei das Vertrauen in Staat und Demokratie stabil, stellten die Forscher fest. Junge Leute zeigen demnach ein grundsätzlich hohes Staatsvertrauen. 75 Prozent sind mit der Demokratie eher oder sogar sehr zufrieden. Während die Demokratiezufriedenheit bei Jugendlichen im Westen mit 77 Prozent stabil bleibt, geht sie bei den Jugendlichen im Osten allerdings etwas zurück und erreicht aktuell 60 Prozent.
Das Vertrauen in die zentralen Institutionen der Bundesrepublik hat in den letzten 20 Jahren mehr oder weniger kontinuierlich zugenommen. Junge Menschen in Deutschland vertrauen den regierungsunabhängigen staatlichen Institutionen wie etwa dem Bundesverfassungsgericht oder der Polizei überdurchschnittlich stark. Auch das Vertrauen in die Bundeswehr ist gewachsen. Bei dem Vertrauen in die Bundesregierung zeigen sich die befragten Jugendlichen gespalten: Es ist gesunken, aber im Durchschnitt nach wie vor positiv. In Parteien und Kirchen haben Jugendliche eher weniger Vertrauen.
"Insgesamt betrachtet kann, trotz aller scharf formulierter Kritik, keine Rede davon sein, dass die Einstellungen und Haltungen der jungen Menschen in Deutschland gegenüber Staat und Gesellschaft fundamental ins Wanken geraten oder gar gekippt seien", heißt es in der Studie.
Große Unterschiede bei Wertorientierungen
Bei den Wertorientierungen gibt es besonders große Unterschiede zwischen jungen Männern und Frauen. So sind progressive Themen Frauen deutlich wichtiger als Männern.
Weiblichen Jugendlichen ist Feminismus wichtiger als männlichen (59 zu 20 Prozent), außerdem eine vielfältige, bunte Gesellschaft (72 zu 56 Prozent) und vegane Ernährung (21 zu sieben Prozent). Für junge Männer hingegen sind Männlichkeit (67 zu 20 Prozent), sportliche Autos oder Motorräder (48 zu 14 Prozent), Wettbewerb (44 zu 36 Prozent) und Markenkleidung (44 zu 35 Prozent) relevant.
Was halten Jugendliche vom Gendern?
Es gibt deutlich mehr Jugendliche in Deutschland, die sich gegen das Gendern aussprechen als dafür: 42 Prozent der Jugendlichen lehnen Gendern (völlig oder eher) ab, 22 Prozent sind (völlig oder eher) dafür und 35 Prozent ist das Thema egal.
Auch hier gibt es einen bedeutenden Unterschied zwischen den befragten jungen Frauen und den Männern: 33 Prozent der weiblichen Jugendlichen sind für das Gendern, aber nur zwölf Prozent der jungen Männer.
Teils optimistischer Blick in die Zukunft
Trotz vieler Krisen blicken mit 56 Prozent so viele Jugendliche wie seit 2002 nicht mehr zuversichtlich auf die Zukunft der Gesellschaft. "Gerade in schwierigen Zeiten schätzen junge Menschen offensichtlich besonders, wie gut es ihnen in Deutschland im Vergleich zu anderen Regionen der Welt geht", heißt es in der Shell-Jugendstudie.
Nicht ganz so rosig fällt jedoch der Blick in die eigene Zukunft aus: Seit 2019 ist der Anteil der Jugendlichen, die mit Optimismus in die eigene Zukunft schauen, von 58 auf 52 Prozent gesunken.
Die heutige Generation habe es laut der Studie mit großen Sorgen zu tun. Die Weltpolitik habe "ihre Spuren hinterlassen". 80 Prozent der Teilnehmer gaben an, Angst vor einem Krieg in Europa zu haben. Ein ebenfalls großer Teil sorge sich um die wirtschaftliche Lage und eine möglicherweise wachsende Armut. (tas)
Verwendete Quellen
- dpa
- afp
- shell.de: Zusammenfassung der Shell-Jugendstudie (PDF)
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