Mammutvorhaben, Vorzeigeprojekt und Zankapfel: Die Ampelkoalition streitet über die Kindergrundsicherung. Während SPD und Grüne einen Bedarf von jährlich 12 Milliarden Euro anmelden, hält Finanzminister Lindner (FDP) den Geldbeutel geschlossen. Was ist die Kindergrundsicherung, wer bekommt sie und worüber gibt es Streit? Die wichtigsten Hintergründe.

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Es ist ein Mammutprojekt und endgültig hat sich die Ampel noch immer nicht geeinigt: Die Kindergrundsicherung soll einzelne Leistungen bündeln, automatisieren und die Bürokratie von Familienkassen, Sozial- und Finanzämtern vereinfacht organisieren. Ein Dickicht aus Einzelleistungen, von Bildung und Teilhabe bis hin zu Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch, soll damit abgeschafft werden.

Wie ist die Lage aktuell?

Seit 1954 bekommen alle Familien mit Kindern in Deutschland Kindergeld. Es wird unabhängig vom eigenen Einkommen ausgezahlt. Regelmäßig werden die Sätze überprüft und angepasst. Wer mehrere Kinder hat, bekommt ab dem dritten Kind einen höheren Satz pro Kind. Zusätzlich zum Kindergeld gibt es etwa 150 individuelle Familienförderungsleistungen. Dazu zählen zum Beispiel Leistungen im Bildungs- und Teilhabepaket, Kinderzuschlag für Familien mit geringem Einkommen und Leistungen im Rahmen der Grundsicherung. Der Anteil der Leistungsberechtigten, die die Unterstützung in Anspruch nehmen, liegt allerdings nur bei etwa 30 Prozent.

Was ist die Kindergrundsicherung?

Die Ampel hat sich im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, eine Kindergrundsicherung auf den Weg zu bringen. Sie soll systematisch gegen Kinderarmut helfen.

Hierzulande waren nach Angaben der Bertelsmann-Stiftung im Jahr 2021 fast 2,9 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren armutsgefährdet –mehr als jedes fünfte Kind.

Konkret wird im Koalitionsvertrag von einem "Neustart der Familienförderung" gesprochen, im Rahmen dessen bisherige finanzielle Leistungen "einfach, automatisiert berechnet und ausgezahlt" werden sollen. Die Kindergrundsicherung soll aus zwei Teilen bestehen – einem einkommensunabhängigen Garantiebetrag und einem gestaffelten Zusatzbetrag, der vom Einkommen der Eltern abhängt.

Wie hoch ist die Kindergrundsicherung?

Wie hoch die Kindergrundsicherung ausfällt, steht noch nicht endgültig fest. Der Garantiebetrag soll sich an der Höhe des aktuellen Kindergeldes orientieren – also mindestens 250 Euro betragen. Er soll in einem Abstand von zwei Jahren auf Grundlage des Existenzminimumberichts der Bundesregierung angepasst werden.

Eine Arbeitsgruppe, an der sieben Ressorts beteiligt sind, ist derzeit mit konkreten Berechnungen befasst. Was den Zusatzbeitrag angeht, gehen die Vorstellungen der einzelnen Parteien auseinander. Fest steht, dass er neben einer Pauschale für Bildung und Teilhabe eine Kinderwohnkostenpauschale umfassen soll. Je höher das Einkommen einer Familie ist, desto geringer fällt der Zusatzbeitrag aus. Ab einer bestimmten Einkommenshöhe, die bislang noch nicht definiert ist, ist man für den Zusatzbeitrag nicht mehr berechtigt.

Wer bekommt die Kindergrundsicherung?

Mit der Kindergrundsicherung soll ein Paradigmenwechsel einhergehen. Bislang besteht eine sogenannte Holschuld – Anspruchsberechtigte müssen sich selbst darum kümmern, dass ihnen die Leistungen ausgezahlt werden. Die Kindergrundsicherung soll den Staat zum Servicedienstleister machen, der in der Bringschuld steht, Familienleistungen auszuzahlen. Außerdem sollen volljährige Anspruchsberechtigte die Leistung direkt erhalten.

Unterstützt werden sollen alle Kinder ab Geburt bis zum Alter von mindestens 18 Jahren. Auszubildende oder Studierende können die Kindergrundsicherung bis zum 25. Geburtstag beziehungsweise bis zum 27. Lebensjahr bekommen. Der Zugang zu Leistungen soll in einem digitalen Kinderchancenportal zusammengefasst werden, geplant ist außerdem eine eigene Kindergrundsicherungsstelle, die Informationen etwa von den Finanzämtern und Berufs- oder Hochschulen bekommt.

Wann kommt die Kindergrundsicherung?

Im Januar hat das Bundesfamilienministerium dem Bundesfinanzministerium ein Eckpunktepapier vorgelegt. Geplant ist, noch im Herbst 2023 einen Gesetzesentwurf zu verabschieden, damit 2025 mit der Auszahlung der Kindergrundsicherung begonnen werden kann. An dem Konzept sind neben dem Familienministerium auch das Finanz-, Justiz-, Arbeits-, Bildungs- und Bauministerium beteiligt. Die Ampel hat zugesagt, bis zur Einführung der Kindergrundsicherung von Armut betroffene Kinder mit einem Sofortzuschlag zu unterstützen.

Worüber gibt es Streit?

Die Koalitionsparteien haben unterschiedliche Vorstellungen über das Volumen und die Finanzierung der Kindergrundsicherung. Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) fordert ab 2025 eine Summe von 12 Milliarden Euro pro Jahr zur Finanzierung der geplanten Kindergrundsicherung. SPD-Chefin Esken hat sich hinter diese Forderung gestellt.

Die FDP blockiert das Vorhaben aktuell. Finanzminister Lindner (FDP) erklärte, er sehe kaum Spielraum im Haushalt für das Projekt. Die Bundesregierung müsse sparen, an Mehrausgaben sei nicht zu denken. Der "Bild am Sonntag" sagte Lindner, für Familien und Kinder sei bereits viel passiert – so sei beispielsweise das Kindergeld auf 250 Euro erhöht worden.

Was will die FDP?

"Insgesamt stellen wir für Familien und Kinder sieben Milliarden Euro pro Jahr mehr zur Verfügung", so der FDP-Vorsitzende. Mehr sei wünschenswert, aber nicht möglich. Von FDP-Fraktionschef Christian Dürr kam die Kritik, es werde nur immer mehr "Geld auf den Haufen" gelegt. Man müsse mit dem vorhandenen Steuergeld auskommen.

Während das ursprüngliche Konzept der SPD beispielsweise flächendeckend beitragsfreie Kitas, kostenlose Ganztagsangebote für Schulkinder und freie Fahrt im ÖPNV vorsah, fordern die Liberalen, dass der Fokus auf vereinfachten und digitalisierten Antragsverfahren liegt. Die SPD will ihren Koalitionspartner aber darauf festnageln, was vereinbart wurde. "Wir haben eine klare Verabredung - die Kindergrundsicherung soll kommen und wird kommen", sagte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert laut Tagesschau im Interview bei "RTL" und "ntv". Einfach "Nein" zu sagen, werde nicht reichen, um die Diskussion zu überstehen.

Verwendete Quellen:

  • bundesregierung.de: Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und FDP
  • bertelsmann-stiftung.de: Kinderarmut in Deutschland
  • tagesschau.de: Eckpunkte für Kindergrundsicherung stehen
  • bundesfinanzministerium.de: Bundesfinanzminister Christian Lindner im Interview mit der BILD am Sonntag
  • tagesschau.de: SPD kritisiert FDP-Blockade
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