Im Bundestag hat die Linke ihren Fraktionsstatus verloren, in Umfragen steht sie schlecht da. Dabei brauche es dringend eine linke Opposition in Deutschland, sagt Ex-Fraktionschef Dietmar Bartsch im Interview. Sein Appell an die Partei: "Endlich aufhören mit der Selbstbeschäftigung."

Auf den Gängen der Abgeordnetenbüros im Berliner Regierungsviertel ist Mitte Januar noch nicht viel los. Die Winterpause ist gerade erst vorbei. Bei der Linkspartei kommt noch etwas anderes hinzu: 108 Angestellte haben zu Jahresbeginn ihren Job verloren. Der Grund: Nachdem Sahra Wagenknecht und neun weitere Bundestagsabgeordnete die Partei im Oktober verlassen hatten, ging der Fraktionsstatus verloren.

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"Das war zweifellos ein Tiefpunkt", sagt Dietmar Bartsch, bis dahin Vorsitzender der Fraktion. Davon habe es aber in der bewegten Geschichte seiner Partei schon einige gegeben. Er bleibe Optimist. Nun gehe es darum, bei den Landtagswahlen in den ostdeutschen Bundesländern gut abzuschneiden. Für Bartsch liegt dort "die Herzkammer der Linken".

Herr Bartsch, hinter der Linken liegt ein schweres Jahr. Was macht Sie optimistisch, dass 2024 besser wird?

Dietmar Bartsch: Politischer Druck von links wird dringend gebraucht. Das sehen wir in diesen Tagen. Ob es die berechtigten Bauernproteste sind, die Inflation, die wieder anzieht, oder der obszöne Reichtum einiger weniger – all das erfordert eine linke Opposition im Bund. Vor allem, da die Ampel so hilflos agiert. Ich sehe es so: Wir haben nach einer viel zu langen Zeit der quälenden Selbstbeschäftigung nun die Chance, wieder Politik zu machen.

War das Aus der Linksfraktion im Dezember Ihre größte politische Niederlage?

Das war zweifellos ein Tiefpunkt. Aber davon hatten wir in der Vergangenheit schon einige. Es gab Zeiten, Anfang der 90er-Jahre, da haben wir den Einzug als Fraktion in den Bundestag verpasst, hatten faktisch keine West-Landesverbände. Oder als wir 2002 nur noch mit zwei Frauen im Parlament waren. Jedes Mal hieß es: Der Laden ist tot.

Das könnte man auch heute sagen.

Die Situation ist dramatisch, aber sie ist nicht chancenlos. Wichtig ist, dass wir jetzt zügig als Gruppe anerkannt werden und wieder erfolgreich werden – in Zusammenarbeit mit den Landtagsfraktionen, den Ländern, wo wir Verantwortung tragen, unseren Oberbürgermeistern und Landräten und den vielen engagierten Mitgliedern.

Im Bundestag haben die verbliebenen Abgeordneten der Linken Gruppenstatus beantragt. Wie ist der Stand?

Bevor wir den Gruppen-Antrag gestellt haben, habe ich mit den Fraktionsvorsitzenden der Ampel-Parteien und auch mit Friedrich Merz gesprochen. Der Deutsche Bundestag entscheidet darüber, ob wir als Gruppe anerkannt werden. Ich bin aber zuversichtlich, dass das in den nächsten Wochen geschieht.

Dietmar Bartsch: "Die Ampel macht katastrophale Politik"

Die "taz" hat Sie als "Nachlassverwalter" bezeichnet. Wie wollen Sie dafür sorgen, dass von der Linken noch etwas übrigbleibt?

Entscheidend ist letztlich die Bundestagswahl im nächsten Jahr. Da muss uns der Einzug als Fraktion gelingen. Zentral sind auf dem Weg dahin die drei Landtagswahlen im Osten, die im Herbst anstehen. Wir wollen an alte Erfolge anknüpfen. Ich kann mir keinen Bundestag vorstellen, in dem die SPD von Olaf Scholz die linkeste Partei ist. Die Ampel macht vielfach katastrophale Politik, aber stellen Sie sich vor, die einzige demokratische Opposition wäre die Union – da fehlt politisch etwas.

Die Ampel ist unbeliebt wie kaum eine Regierung vor ihr. Davon kann die Linke nicht profitieren. Woran liegt's?

Eine Ursache ist das Bild der Zerstrittenheit, das wir zu lange nach außen abgegeben haben. Es wirkte so, als würden wir uns nur mit uns selbst beschäftigen. Natürlich: Wir müssen in der Sache um den besten Weg streiten. Aber die persönlichen Angriffe müssen aufhören, das ist verheerend. Ich weiß aus Erfahrung: Der Abstieg geht schnell, zurückzukommen dauert länger, das ist harte Arbeit. Ich hoffe, dass alle in meiner Partei begriffen haben, dass wir nur gemeinsam eine Chance haben.

In diesem Jahr stehen drei Landtagswahlen und die Europawahl an. Auch Sahra Wagenknecht möchte mit ihrer neuen Partei antreten. Was ist sie für Sie: Gegnerin oder auch mögliche Koalitionspartnerin?

Wenn diese Partei antritt, ist ein Konkurrent mehr da – nicht mehr und nicht weniger. Der Bezugspunkt unserer Politik ist nicht Sahra Wagenknecht. Auf Bundesebene ist das die Ampel. Und in den Ländern brauchen wir jetzt nicht über Koalitionen sprechen. Klar ist: Wir wollen, dass Bodo Ramelow in Thüringen Ministerpräsident bleibt.

Sind Sie froh, dass Sahra Wagenknecht weg ist?

Nein, ich habe bis zum Schluss darum gekämpft, dass sie und ihre Mitstreiter in der Fraktion bleiben. Historisch haben Spaltungen und Abspaltungen in der Linken noch nie zu mehr Erfolg geführt – das gilt bis heute. Schauen wir nach Griechenland: Dort hat Syriza regiert, inzwischen ist sie mehrfach gespalten. Schauen wir nach Italien. Die Kommunistische Partei hat in besseren Zeiten bis zu 35 Prozent geholt. Heute gibt es fünf linke Parteien, mehr oder weniger alle bedeutungslos.

Es gibt in Deutschland keinen Platz für zwei linke Parteien?

Ich kümmere mich darum, dass es einen Platz für eine linke Partei gibt. Wenn wir das hinkriegen: super! Bei der Wagenknecht-Partei ist überhaupt nicht klar, ob es eine linke Partei sein wird. Das sagt sie selbst. Und das ist legitim. Es gibt schließlich auch konservative und liberale Parteien. So funktioniert Demokratie. Für mich sind aber nicht die anderen entscheidend, sondern wir müssen unsere Hausaufgaben machen.

"Ich bin ein Gegner der permanenten Fixierung auf die AfD"

Blicken wir nach Thüringen, wo die Linke den Ministerpräsidenten stellt. Umfragen sehen die AfD klar vorne, die CDU auf Platz zwei. Ist es denkbar, dass der nächste Ministerpräsident Björn Höcke heißt?

Nein. Es wird keine absolute Mehrheit für die AfD geben. Es wird auf die Entscheidung Bodo Ramelow oder Mario Voigt von der CDU hinauslaufen. Ich halte nichts davon, jede Umfrage hochzujazzen, sie umgehend mit Zuschreibungen wie "Umfrage-Schock" zu versehen. Ich bin ein Gegner der permanenten Fixierung auf die AfD und auf Björn Höcke. Es muss darum gehen: Wer hat die besseren Konzepte für Thüringen? Was würde unter einer unionsgeführten Landesregierung schlechter laufen? Das müssen wir deutlich machen.

Die Regierungsbildung in Thüringen könnte kompliziert werden. Wäre die Linke bereit, mit der Union zusammenzuarbeiten, gar eine Koalition zu erwägen?

Wir werben im Wahlkampf für Bodo Ramelow als Ministerpräsidenten und für nichts anderes. Man darf sich nicht von Umfragen kirre machen lassen. Wenn wir jetzt ernsthaft darüber nachdenken, ob die Linke mit der Union zusammenarbeitet, nützt das nur der AfD. Für mich ist klar: Die Union ist unser politischer Gegner. Ramelow oder Voigt! Wir machen deutlich, was die Pole sind. Das wird die AfD kleiner werden lassen.

Früher hat die Linke die Unzufriedenen im Osten eingesammelt. Heute macht das die AfD. Warum erreichen Sie die Menschen nicht mehr?

Es gibt viele Ursachen. Wenn ich nur alle wüsste … Ein Punkt ist: Die Linke hat bis auf Sachsen überall regiert. Viele sehen darin ein Ankommen im System. Wer früher gegen Berlin oder Brüssel war, hat uns gewählt. Das ist nicht mehr so. Wir sind inzwischen auch eine andere Partei. Ein zweiter Grund: Der Osten ist die Herzkammer der Linken. Diese Verankerung ist leider ein Stück weit verloren gegangen. Wir müssen an diese Tradition anknüpfen, um bundespolitisch überhaupt eine Chance zu haben. Deswegen sind die drei Ost-Landtagswahlen für unser Comeback entscheidend.

Haben Sie die Ost-Interessen vernachlässigt?

Ein Stück weit offensichtlich ja. Wir waren hier Volkspartei. Diesen Anspruch brauchen wir wieder. Mit den richtigen Personen und dem richtigen Konzept ist das möglich. Schauen Sie: Die Löhne im Osten sind Tausende Euro niedriger als im Westen. Wie sind die Spitzenpositionen in Politik, Wirtschaft, Justiz, Medien besetzt? Vor allem mit Westdeutschen. Kennen Sie einen Ostdeutschen, der im Westen Minister ist? Ich nicht. Umgekehrt aber schon. Ich will das Thema der benachteiligten Ostdeutschen wieder stärker ins Zentrum unserer Politik rücken.

"Ich kann die Wut der Bauern verstehen"

Wie lässt sich der Höhenflug der AfD stoppen?

Wir sollten nicht ständig über die AfD reden, sondern darüber, wie wir das Land voranbringen. Ich bleibe dabei: Den Menschen zuhören und vernünftige Politik machen. Ich kann zum Beispiel die Wut der Bauern verstehen. Wenn Christian Lindner sagt, dass alle ihren Beitrag leisten müssen, frage ich mich: Warum dann keine einmalige Vermögensabgabe? Warum keine Reform der Erbschaftssteuer? Die Ampel plant auf der anderen Seite, 200 Millionen für drei neue Helikopter für sich selbst anzuschaffen. Auch das Kanzleramt soll großzügig erweitert werden. Oder nehmen wir das verpfuschte Heizungsgesetz, das die Leute massiv verunsichert hat. All das erzeugt Frust. Damit muss Schluss sein.

Diskutiert wird aktuell auch ein mögliches AfD-Verbotsverfahren.

Ich habe da eine gewisse Skepsis. Der juristische Weg würde Jahre dauern. Ausgang ungewiss. Bei der NPD haben wir es doch erlebt: So bekommt eine Partei erst recht Aufmerksamkeit. Es wurde mehr über die NPD geredet als alles andere. Am Ende wurde sie nicht verboten. Ich finde schon die Debatte um das AfD-Verbot – bist du dafür, bist du dagegen – wenig zielführend. Wir brauchen die politische Auseinandersetzung mit denen in der Gesellschaft, in Kirchen, Gewerkschaften. Jede und jeder kann einen Beitrag leisten.

Im kommenden Jahr wählen die Deutschen den Bundestag. Entscheidet sich dann die Zukunft der Linkspartei?

Ja, und ich bin Optimist. Ich werde alles dafür geben, dass die Linke im nächsten Bundestag vertreten ist. Deswegen muss der Charakter der Linken als gesellschaftliche Opposition deutlicher werden. Die nächsten zwei Jahre entscheiden.

Was muss Ihre Partei tun?

Zuallererst aufhören mit der Selbstbeschäftigung. Und wieder an gesellschaftliche Stimmungen – sei es im Kleingartenverein oder bei der Ökologie – andocken. Mir ist wichtig, dass wir unser Licht nicht unter den Scheffel stellen. In Sachsen sind wir drittstärkste Kraft, das sind wir auch in Sachsen-Anhalt. In Thüringen stellen wir den Ministerpräsidenten. Wir brauchen wieder einen höheren Anspruch im Osten. Wenn das klappt, steigen auch unsere Chancen im Westen.

Über den Gesprächspartner

  • Dietmar Bartsch wurde 1958 in Stralsund in der damaligen DDR geboren. In Moskau promovierte er 1990 in Volkswirtschaft. 1977 wurde er Mitglied der SED. Nach der deutschen Wiedervereinigung engagierte er sich in deren Nachfolgepartei PDS, die später in der Partei Die Linke aufging. Für diese kandidierte er 2017 als Co-Spitzenkandidat für die Bundestagswahl. Von 2010 bis zu ihrem Ende im Dezember 2023 war er einer der Vorsitzenden der Linksfraktion.
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