Wochenlang zofften sich SPD, Grüne und FDP über zahlreiche Themen. Nach einem Koalitionsausschuss betont die Ampel nun, dass die Streitigkeiten beseitigt sind. Doch die Kompromisse sind vor allem Zugeständnisse einer der drei Parteien. Und dort betont man jetzt schon: Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen.
Fast drei Tage Ringen hinter verschlossenen Türen. Am Ende habe sich das alles gelohnt, verkündeten die Spitzen der Ampel-Koalition am Dienstagabend. "Wir haben echte Durchbrüche erzielt", sagte FDP-Chef
Doch schaut man sich die Ergebnisse der Marathon-Koalitionsrunde genauer an, wirkt es so, als hätten die Grünen massiv zurückstecken müssen. Denn vor allem bei deren Kernthema Klimaschutz lässt sich bezweifeln, ob die Beschlüsse tatsächlich ein Fortschritt sind.
Besonders sichtbar wird dieser Umstand an dem geplanten Umbau am Klimaschutzgesetz. Bisher wird der jährliche Ausstoß an Treibhausgasen für die Wirtschaftsbereiche wie Energie, Industrie, Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft sowie Abfallwirtschaft und Sonstiges jeweils einzeln erhoben. Nun sollen die strikten jährlichen Grenzwerte aufgeweicht werden. Stattdessen soll die Einhaltung der Klimaschutzziele "zukünftig anhand einer sektorübergreifenden und mehrjährigen Gesamtrechnung überprüft werden", wie es in dem Beschlusspapier der Ampel heißt.
Anders gesagt: Nicht jeder Sektor muss die jeweils für ihn festgesetzte CO2-Grenzen einhalten, solange die eingesparte Menge insgesamt passt. Helfen dürfte das vor allem Verkehrsminister
Umweltschützer nennen Reform "absolute Katastrophe"
Die Ampel betont zwar, dass die Idee dahinter ist, dass sich die Sektoren untereinander aushelfen könnten. Doch in der Praxis könnte die Änderung eher dazu führen, dass sich die einzelnen Sektoren weniger in die Pflicht genommen sehen und insgesamt einfach weniger CO2 eingespart wird.
Außerdem sollen die für die jeweiligen Sektoren zuständigen Bundesministerien nicht mehr Sofortprogramme für mehr Klimaschutz ausarbeiten müssen, wenn die Ziele nicht eingehalten werden. Stattdessen muss die Regierung erst nachsteuern, wenn die Daten in zwei aufeinanderfolgenden Jahren auf eine Verfehlung der Klimaziele für das Jahr 2030 hindeuten - und zwar für alle Sektoren zusammen. Dadurch könnte der Prozess, bis 2045 klimaneutral zu werden, verlangsamt werden, weil nicht mehr umgehend auf mögliche Missstände reagiert werden muss.
Ähnlich sehen das auch Umweltschützer. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) nannte die Reform eine "absolute Katastrophe" und forderte den Bundestag auf, das "Desaster" zu verhindern. "Ohne dass die verantwortlichen Ministerien zu jährlichen Minderungen verpflichtet werden, verkommt das Klimaschutzgesetz zum Papiertiger – und das wird dazu führen, dass Deutschland seine Verpflichtungen des Pariser Klimaschutzvertrages zur Begrenzung der Erderhitzung reißt", erklärte DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch.
Nabu-Präsident Jörg-Andreas Krüger kritisierte, mit der Aufweichung der Sektorenziele falle die Ampel-Regierung hinter das Ambitionsniveau der Vorgängerregierung zurück. Der geschäftsführende Vorstand von Greenpeace, Martin Kaiser, monierte ebenfalls, mit der Aufgabe der Verpflichtung zur Umsetzung jedes einzelnen Sektorziels werde das Klimaschutzgesetz entkernt.
Grüne räumen schmerzhaften Kompromiss bei Autobahnen ein
Auch beim Streit über den Ausbau für Autobahnen gaben die Grünen nach. Die FDP wollte nicht nur Bahnstrecken, sondern auch Autobahnen schneller ausbauen, um Staus bei mehr Güterverkehr zu verhindern. Die Grünen stemmten sich lange dagegen. Nun sollen nach Angaben von FDP-Chef Christian Lindner 144 Autobahn-Projekte eine Sonderstellung erhalten und schneller durchgesetzt werden können. Unter anderem durch weniger aufwendige Umweltschutzprüfungen.
Dass die Grünen damit nicht glücklich sind, räumte
Bei Umweltverbänden stieß die Einigung dennoch auf harsche Kritik. Nabu-Präsident Krüger sprach davon, dass das Klima weiter vor die Wand gefahren werde, wenn jetzt zusätzliche "klimaschädliche Autobahnprojekte" beschleunigt durchs Land asphaltiert würden.
Heizungsstreit: Die FDP setzt sich durch
Und auch den Heizungsstreit, den Wirtschaftsminister Robert Habeck in den vergangenen Wochen erbittert mit den Koalitionspartnern geführt hatte, scheint die Partei verloren zu haben. Ab 2024 soll möglichst jede neu eingebaute Heizung zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Das hatte die Koalition bereits vor einem Jahr beschlossen. Doch weil ein erster Gesetzesentwurf aus Habecks Ministerium dazu als ein De-facto-Einbauverbot neuer Gas- und Ölheizungen interpretiert wurde, gab es heftigen Gegenwind für die Partei.
Nun heißt es in dem Papier dazu, dass man darauf achten werde, "dass ein technologieoffener Ansatz verfolgt wird". Eine Formulierung, die so eins zu eins auch aus einem FDP-Pressestatement stammen könnte. Denn die Liberalen betonen in der Debatte um den Klimawandel immer wieder, dass man den Kampf gegen selbigen mit neuen Technologien und nicht mit Verboten führen müsse.
Was genau der "technologieoffener Ansatz" bedeutet, lässt das Beschlusspapier derzeit noch offen. Laut FDP-Chef Christian Lindner sollen Heizungen zum Beispiel auch mit grünem und blauem Wasserstoff oder Biomasse genutzt werden können; Heizungen mit fossilen Energieträgern sollten entsprechend weiterbetrieben werden können, wenn sie künftig klimafreundliche Gase verwenden.
Opposition sieht Beschlüsse als Schlappe für die Grünen
Auch in der Opposition sieht man den Koalitionsausschuss vor allem als Schlappe für die Grünen. Man könne den Eindruck gewinnen, "dass die Grünen ziemlich gerupft aus dieser Veranstaltung rausgehen", erklärte etwa CSU-Politiker und Ex-Verkehrsminister Alexander Dobrindt. "Das Klimaschutzgesetz ist arg geschliffen worden." Außerdem sei die Austauschpflicht bei den Heizungen, "wohl ein Herzensprojekt von Herrn Habeck", jetzt vom Tisch.
"Dass die Grünen sich an dieser Aufweichung des Klimaschutzes beteiligen, ist ein Armutszeugnis", erklärte Linken-Chefin Janine Wissler. "144 neue Autobahnprojekte soll es geben; dass dort entlang dann zwingend Solaranlagen installiert werden sollen, grenzt an Realsatire." Weiter erklärte sie, die Beschlüsse kämen vor allem Verkehrsminister Volker Wissing entgegen und liefen somit auf eine "Lex Wissing" hinaus.
Lang: "Reicht das, was an Klimaschutz drinsteht? Nein"
Die Ampel-Parteien waren hingegen am Mittwoch sehr bemüht darum, ihre Einigungen als gelungen Kompromiss zu präsentieren. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert sagte etwa, dass die Beschlüsse aus seiner Sicht ein Ende der Streitereien innerhalb der Koalition darstellen. Er gehe davon aus, "dass die Diskussion nicht nochmal in zwei oder drei Wochen von vorne losgeht", sagte Kühnert gegenüber "Bayern 2".
Aussagen der Grünen-Vorsitzenden Lang lassen hingegen Zweifel an dieser Einschätzung aufkommen. Denn bei den Grünen ist man offenbar selbst nicht wirklich zufrieden mit den Ergebnissen. "Ich will ganz ehrlich sagen: Reicht das, was an Klimaschutz drinsteht? Nein", erklärte Lang am Mittwoch im ARD-"Morgenmagazin".
"Zufrieden geben kann man sich mit dem, was auf dem Tisch liegt, noch nicht." Dennoch enthalte das 16-seitige Papier Fortschritte, sagte Lang. Ihre Partei wolle innerhalb der Koalition für mehr Klimaschutz kämpfen. "Oft tun wir das ehrlich gesagt ziemlich alleine."
Verwendete Quellen:
- Agence France-Presse (afp)
- Deutsche Presse-Agentur (dpa)
- Sueddeutsche.de: Verkehrsministerium reißt Klimaziele
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