Mit empfindlichen Sanktionen will US-Präsident Donald Trump die Türkei dazu zwingen, ihre Offensive in Nordsyrien abzubrechen. Dabei hat er selbst den Einmarsch erst ermöglicht. Eine prominente Kritikerin spricht von "Trumps Saigon".

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Donald Trump verlässt sich gern auf sein Bauchgefühl. So getroffene Entscheidungen haben im Ausland schon öfter zu Irritationen geführt.

Mit seinen letzten Bauchentscheidungen hat der US-Präsident aber sein bisher größtes außenpolitisches Chaos angerichtet. Mit dem Abzug der US-Truppen aus Nordsyrien ermöglichte Trump der Türkei dort den Einmarsch. Er trieb damit die bisher mit den USA verbündeten Kurdenmilizen in die Arme des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad und Russlands. Und er hauchte so womöglich der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) neues Leben ein.

Syrien-Konflikt: Donald Trump versucht sich in Schadensbegrenzung

Nun übt sich Trump in Schadensbegrenzung - indem er Sanktionen gegen die Türkei verhängt. Er versucht so, einen Stopp der türkischen Offensive in Nordsyrien zu erwzingen.

Mit dem Truppenabzug hatte Trump in den USA einen Sturm der Entrüstung über Parteigrenzen hinweg ausgelöst. Enge Verbündete wie der Senator Lindsey Graham gehörten auf einmal zu den schärfsten Kritikern des republikanischen Präsidenten.

Der Druck auf Trump wuchs, gegen die türkische Offensive vorzugehen - zumal Graham deutlich machte, dass Republikaner und Demokraten im Kongress auch ohne Trump Strafmaßnahmen gegen Ankara verhängen würden.

Graham hatte dem NATO-Partner Türkei "Sanktionen aus der Hölle" angedroht, die denen gegen den Iran ähnelten. So hart sind die Strafmaßnahmen nicht, die Trump am Montag (Ortszeit) verhängt hat. Sie werden die Türkei dennoch empfindlich treffen.

Trump verdoppelt die Strafzölle auf türkische Stahlimporte wieder auf 50 Prozent, Gespräche über ein Handelsabkommen im Umfang von 100 Milliarden Dollar mit der Türkei werden umgehend gestoppt.

Außerdem wird etwaiger Besitz der drei türkischen Minister für Verteidigung, Energie und Inneres in den USA eingefroren.

USA fordern Waffenruhe in Syrien

Trump teilt mit, er habe Recep Tayyip Erdogan, seinem Amtskollegen in Ankara, unmissverständlich klar gemacht: "Das Vorgehen der Türkei führt eine humanitäre Krise herbei und schafft die Voraussetzungen für mögliche Kriegsverbrechen." Trump fordert nun eine sofortige Waffenruhe in Nordsyrien - und schickt seinen Vize Mike Pence zu Verhandlungen nach Ankara, um das das "Blutvergießen" (Pence) zu beenden.

Schon im August vergangenen Jahres hatte Trump der Türkei schweren wirtschaftlichen Schaden zugefügt. Damals forderte er die Freilassung des in der Türkei festgehaltenen US-Pastors Andrew Brunson, er verdoppelte die Zölle auf Stahlimporte aus der Türkei auf 50 Prozent. Erst im vergangenen Mai wurden sie wieder auf 25 Prozent reduziert.

Gegen den türkischen Innen- und den Justizminister wurden Sanktionen verhängt. Die Maßnahmen beschleunigten die Talfahrt der Türkischen Lira dramatisch, sie hat sich bis heute nicht vollständig erholt.

Der außenpolitische Schaden ist groß

Brunson ist längst wieder frei. Den außenpolitischen Schaden, den Trump mit seinem Truppenabzug angerichtet hat, können die neuen Sanktionen allerdings nicht rückgängig machen.

Trump verstrickt sich seit Tagen in wirren und widersprüchlichen Aussagen, um seinen Schritt zu verteidigen. So sagte er etwa mit Blick auf die Kurden: "Sie haben uns nicht im Zweiten Weltkrieg geholfen, sie haben uns nicht mit der Normandie geholfen." Kritiker verwiesen darauf, dass das für Deutschland und Japan allerdings ganz besonders gelte - und dass beide Länder heute zu den engsten US-Verbündeten gehören.

Trump teilte am Montag auf Twitter mit, ihm sei egal, wer Assad bei der Verteidigung der Kurden helfe - "ob es Russland, China oder Napoleon Bonaparte ist". Er verteidigte den Truppenabzug wiederholt mit seinem Versprechen, die US-Soldaten aus den "endlosen Kriegen" zurückzuholen.

Am Freitag hatte das Pentagon angekündigt, zahlreiche Soldaten zur Verstärkung in den Nahen Osten zu schicken - nicht zum Schutz der Kurden, sondern zum Schutz Saudi-Arabiens gegen den Iran.

Trump fährt einen Schlingerkurs

Auch im Umgang mit der Türkei fährt Trump einen Schlingerkurs, der im besten Fall unbeholfen wirkt. An einem Tag droht Trump, er werde die türkische Wirtschaft "vollständig zerstören". Am nächsten Tag teilt er mit, er habe Erdogan für den 13. November ins Weiße Haus eingeladen: "Er kommt als mein Gast in die Vereinigten Staaten."

Trump verweist auch darauf, dass die Türkei ein wichtiger Handelspartner der USA sei und den Stahlrahmen für den F-35-Kampfjet liefere. Trump nimmt es mit Details nicht genau, womöglich ist ihm entfallen, dass seine eigene Regierung Ankara aus dem F-35-Programm ausgeschlossen hat - ab kommendem März wollen die USA keine Teile aus der Türkei für den Kampfjet mehr beziehen. Grund für den Ausschluss aus dem F-35-Programm war der türkische Kauf des russischen S-400-Raketenabwehrsystems, gegen den erbitterten Widerstand der USA.

Trump beharrt darauf, dass die USA die Kurden in Nordsyrien nicht im Stich gelassen haben. Nicht nur die Kurdenmilizen dort sehen das anders.

Trumps Lieblingssender Fox News zitierte einen namentlich nicht genannten Soldaten der US-Spezialkräfte, die an der Seite der von der Kurdenmiliz YPG geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) waren, mit den Worten: "Ich schäme mich das erste Mal in meiner Laufbahn." Zu Trumps Entscheidung sagte der Soldat: "Er versteht das Problem nicht. Er versteht die Konsequenzen daraus nicht."

Die frühere Nationale Sicherheitsberaterin von Trumps Amtsvorgänger Barack Obama, Susan Rice, bemüht in ihrer Kritik historische Vergleiche: "Es ist Trumps Saigon, und es ist nichts weniger als katastrophal und beschämend", sagte sie dem Sender NPR am Sonntag.

Jeder Amerikaner kennt die Bilder von den letzten Hubschraubern, die 1975 im Vietnam-Krieg vom Dach der US-Botschaft in Saigon abhoben. Etliche vietnamesische Verbündete nahmen sie nicht mit - sie überließen die Amerikaner den vorrückenden Vietcong-Soldaten. (Can Merey und Lena Klimkeit, dpa/ank)

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