Teile Nordsyriens an der Grenze zur Türkei werden wohl sehr bald zum Kriegsgebiet. Ursprünglich sollte dort eine Sicherheitszone entstehen. Was steckt hinter dem Säbelrasseln Erdogans, dem Abzug der USA und was hat die EU-Flüchtlingspolitik damit zu tun?

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In Nordsyrien droht in Kürze der Einmarsch türkischer Truppen. Die USA haben bereits mit dem Abzug ihrer Streitkräfte aus dem Gebiet begonnen. Was hat es mit der türkischen Offensive auf sich? Welche Rolle spielen die 3,6 Millionen syrischen Flüchtlinge in der Türkei? Und warum lassen die USA den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gewähren? Wir haben die Antworten auf die wichtigsten Fragen zusammengestellt.

Was bezweckt die Türkei mit dem Einmarsch?

Erdogan begründet die geplante Offensive in dem von einem jahrelangen inneren Krieg zerrissenen Nachbarland mit türkischen Sicherheitsinteressen. Seit August überwachen die Nato-Verbündeten Türkei und USA gemeinsam das Grenzgebiet in Nordsyrien. Eine von Erdogan gesetzte Frist bis Ende September für die Einrichtung einer Sicherheitszone verstrich ergebnislos.

Die Türkei will das Gebiet südlich seiner Grenze zu Syrien seit langem allein militärisch kontrollieren. Zudem solle Syrern, die vor dem Krieg in ihrer Heimat in die Türkei geflüchtet sind, die Heimkehr ermöglicht werden, so Erdogan. Vor kurzem hatte er bereits Pläne angekündigt, zwei Millionen der rund 3,6 Millionen in der Türkei lebenden syrischen Flüchtlinge in die geplante Sicherheitszone in Nordsyrien umzusiedeln.

Der türkische Außenminister Cavusoglu hob derweil via Twitter die "Entschlossenheit" seines Landes hervor, die Region von "Terroristen zu säubern". Seit Beginn des Syrien-Krieges habe die Türkei die "territoriale Integrität" Syriens unterstützt, betonte Cavusoglu. Dies werde seine Regierung weiterhin tun. "Wir werden dazu beitragen, Ruhe, Frieden und Stabilität in die Region zu bringen".

Um welches Gebiet geht es und was hat es mit der Kurdenmiliz YPG auf sich?

Das Gebiet liegt in Nordsyrien an der Grenze zur Türkei, östlich des Flusses Euphrat, und wird seit 2012 von den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) kontrolliert. Von der Türkei werden sie als Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und damit als Terrororganisation betrachtet. Die USA unterstützen sie dagegen mit Waffen und Spezialkräften im Kampf gegen die Dschihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS). Die Türkei ist seit 2016 bereits zwei Mal gegen die YPG-Miliz in Nordsyrien vorgegangen.

Was spricht gegen den Einsatz der Türkei in der Region?

Das von Kurden geführte Bündnis Syrische Demokratische Kräfte (SDF) warnt, ein solcher Militäreinsatz würde den Kampf gegen den IS um Jahre zurückwerfen und könne überlebende IS-Anführer dazu motivieren, aus ihren Verstecken zurückzukehren. Unklar ist, ob der Militäreinsatz eine neue Flüchtlingswelle auslösen wird.

Europa schweigt bislang – warum?

Die Türkei hatte 2016 mit der EU einen Flüchtlingspakt geschlossen, der unter anderem Milliardenhilfen für die Flüchtlingshilfe in der Türkei zusichert. Seit Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien hat die Türkei 3,6 Millionen Flüchtlinge aufgenommen.

Erdogan hatte jüngst gedroht, den Flüchtlingen die Türen Richtung Europa zu öffnen, sollte von dort nicht mehr finanzielle Unterstützung kommen sowie Hilfe für die Einrichtung der Zone in Nordsyrien. Eine Rückführung der Flüchtlinge nach Syrien liegt im Interesse der EU, daher ist kaum Kritik am Militäreinsatz zu erwarten.

Warum ziehen die USA ihre Truppen ab?

US-Präsident Donald Trump hat den Abzug der US-Truppen von der syrisch-türkischen Grenze mit dem Argument begründet, dass die Konfliktparteien in der Region die Verantwortung für die Lage in der Region übernehmen sollten. Die USA müssten aus "diesen lächerlichen und endlosen Kriegen" aussteigen, schrieb Trump am Montag auf Twitter. Es sei Zeit für sein Land, "unsere Soldaten heimzuholen".

Es sei nun an der "Türkei, Europa, Syrien, Iran, Irak, Russland und den Kurden", die Situation zu lösen. "Wir sind 7.000 Meilen entfernt und werden IS erneut niederschlagen, wenn sie irgendwo in unsere Nähe kommt."

Nach dem "Sieg" über den IS sehen die USA zudem keine Notwendigkeit mehr für die Präsenz ihrer Streitkräfte in der Region. Nach einem Telefonat zwischen US-Präsident Donald Trump und Erdogan erklärte das Weiße Haus in Washington, man werde sich der türkischen Militäroffensive nicht in den Weg stellen, sich daran aber auch nicht aktiv beteiligen oder sie unterstützen. Die Kurden sollen darüber informiert worden sein, dass sie keine Hilfe von US-Seite gegen türkische Angriffe zu erwarten hätten.

Am Montagmorgen hatte der Abzug der US-amerikanischen Truppen begonnen, wie Mustafa Bali, Sprecher der SDF, auf Twitter bestätigte. Damit ließen die USA zu, dass die Gegend zum Kriegsgebiet werde, schrieb Bali.

Was passiert mit den gefangenen IS-Kämpfern?

Die Türkei sei künftig für alle in diesem Gebiet festgenommenen Kämpfer der IS-Terrormiliz verantwortlich, heißt es aus dem Weißen Haus. Deutschland, Frankreich und andere europäische Länder, aus denen die IS-Anhänger stammten, hätten diese trotz des Drucks aus Washington nicht zurückgenommen. Die USA würden sie nicht festhalten, weil dies hohe Kosten für den Steuerzahler bedeuten könnte.

Verwendete Quellen:

  • Agenturmaterial von dpa und afp
  • www.spiegel.de: "USA ziehen in Nordsyrien Truppen von der Grenze ab"
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