Die Fronten zwischen Russland und dem Westen in der Ukraine-Krise verhärten sich weiter. Trotzdem glaubt Russland-Experte Stefan Meister nicht an einen Krieg. Darauf seien weder die USA noch Russland vorbereitet.

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In einer Woche sollen die Bewohner der Krim entscheiden, ob sie der Russischen Föderation beitreten oder weiter zur Ukraine gehören wollen. Was Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in einem Telefonat mit Russlands Präsident Wladimir Putin am Sonntag als illegale Volksabstimmung bezeichnete, erklärt dieser für internationales Recht. Und was Putin dieser Tage für richtig hält, schafft Fakten. Während das Asyl für Whistleblower Edward Snowden durchaus positiv zu bewerten ist, hat Russlands Veto gegen die Absetzung von Syriens Staatschef Baschar al-Assad zu einer Lähmung der internationalen Gemeinschaft geführt. Und auch im Fall der Ukraine gelingt es Putin offenbar, die USA und ihre Verbündeten erneut auszubremsen. Russland-Experte Stefan Meister vom Think Tank European Council on Foreign Relations bezweifelt jedoch, dass der schwelende Konflikt das Potenzial für einen neuen Kalten Krieg hat.

Die Auseinandersetzungen um die Krim scheinen sich täglich zuzuspitzen. Wie weit wird Putin noch gehen?

Stefan Meister: Das Maximum, das sich Russland leisten kann, ist die Krim und eventuell die Ostgebiete der Ukraine unter seine Kontrolle zu bringen. Also sie ökonomisch, etwa durch eine Zollunion, an sich zu binden. Aber nicht durch ein weiteres Referendum, sondern indem man Druck auf die Regierung in Kiew ausübt. Wobei allerdings der Widerstand in der Ost-Ukraine gegen einen solchen Vorstoß viel größer sein wird als auf der Krim. Aber es ist unwahrscheinlich, dass es überhaupt so weit kommt. Eine Spaltung der Ukraine hätte für Russland einen prekären Staat in nächster Nachbarschaft zur Folge, was hochgefährlich ist. Russland setzt jetzt schon Dynamiken in der ukrainischen Bevölkerung in Gang, die es gar nicht kontrollieren kann.

Unbewaffneten Beobachtern der OSZE wurde am Samstag zum dritten Mal der Zugang zur Krim verwehrt. Was genau bezweckt Russland mit der Besetzung der Krim?

Mit der Absetzung Janukowitschs hat Moskau verstanden, dass es die Ukraine aus seinem Einflussgebiet verloren hat. Mit einer proeuropäischen Regierung in Kiew, das weiß Russland, wird nicht nur eine Anbindung an den Westen zustande kommen, sondern auch ein Nato-Beitritt. Das ist das Worst-Case-Szenario der Leute, die momentan im Kreml sitzen. Deshalb hat man jetzt die Muskeln spielen lassen. Denn ein Staat, dessen Territorium auch nur zum Teil unter der Herrschaft eines anderen Staates steht, kann nicht in die Nato integriert werden.

Russland scheint immer mächtiger zu werden. Hat Putin Obama im Schwitzkasten?

Obama befindet sich im Schwitzkasten der Republikaner. Die Krise in der Ukraine ist in den USA eher eine innenpolitische Debatte als eine außenpolitische. Die USA sind dabei, sich aus dem postsowjetischen Raum zurückzuziehen, weil der strategisch nicht mehr wichtig ist. Aber jetzt ist Obama getrieben durch Putin und muss zugleich auf die Kritik der Republikaner reagieren.

Vor kurzem hat Obama Kampfjets nach Litauen und Polen verlegt und nach eigenen Angaben Sanktionen gegen ukrainische und russische "Einzelpersonen und Institutionen" verhängt. Droht bald ein neuer Krieg zwischen beiden Großmächten?

Die Amerikaner werden den Konflikt mit Putin nur solange eskalieren lassen, wie sie sich einen solchen Konflikt leisten können. Alles, was sie im Moment tun, kostet sie relativ wenig. Und solange sind sie auch nicht bereit, in dieser Situation deeskalierend zu wirken, wie es Europa momentan versucht. Aber Putins Politik tut den Amerikanern auch weniger weh als den Europäern, die um russische Investitionen fürchten. Wo die Amerikaner Russland treffen könnten, nämlich im Energiesektor, das wird in den USA gar nicht diskutiert. Denn das will keiner, dass große amerikanische Unternehmen, die mit großen staatlichen Unternehmen aus Russland kooperieren, ihre Projekte auf Eis legen.

Also ist Putin am Ende doch der Stärkere?

Was Putin getan hat, hat zu Verlusten bei Gazprom geführt und zu Inflation im Land. Russland wird durch sein Vorgehen weiter an Einfluss im postsowjetischen Raum verlieren, weil sich weitere Länder künftig eher an der EU orientieren werden. Die Zeit arbeitet gegen Russland. Auch wenn Putins derzeitige Stärke die momentane Schwäche des Westens ist.

Besteht nicht trotzdem die Gefahr einer Spaltung zwischen Ost und West, wie zu Zeiten des Kalten Kriegs?

Ich finde einen historischen Vergleich hier unsinnig, weil die Bedingungen von damals nicht mit denen von heute zu vergleichen sind. Allein die Debatte um die Sanktionen zeigt ja, wie groß die gegenseitigen Abhängigkeiten heutzutage sind. Und wenn wir Putin ernsthaft sanktionieren wollten, um ihn zu isolieren, dann tun wir uns selber weh.

Wie wird sich die Krisendiplomatie auf das künftige Verhältnis zwischen Russland und dem Westen auswirken?

Ich denke, dass wir eine Verhärtung der Beziehungen haben werden und der Kommunikationsstil kühler wird. Doch es wird bei symbolischen Akten wie dem Aussetzen von Gipfeln bleiben – der Gesprächsfaden wird deshalb noch lange nicht abreißen. Keiner hat die Ressourcen, einen dauerhaften Konflikt aufrecht zu erhalten.


Dr. Stefan Meister hat bis August 2013 für die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin gearbeitet. Er war mehrfach als Wahlbeobachter für die OSZE tätig und hat Lehrprojekte in Russland durchgeführt.
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